Bob Dylan erhält den Literaturnobelpreis

"Na ja, ich bin ein wahrer Gläubiger"

Veröffentlicht am 13.10.2016 um 13:14 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 
Musik

Bonn ‐ Einer der ganz Großen der Musikgeschichte erhält den Literaturnobelpreis: Bob Dylan. Immer noch ist er auf Tour, und immer wieder geht es in seinen Songs um den Glauben. Eine Würdigung des religiösen Bob Dylan.

  • Teilen:

Geboren wird Bob Dylan als Robert Allen Zimmerman in Duluth/Minnesota in eine jüdische Familie – Nachfahren jüdischer Immigranten aus Odessa. Sehr religiös war er allerdings nicht, wichtiger war die Musik. Unter dem neuen Namen Bob Dylan in New York feiert er nur ein Fest, Weihnachten, sagt seine damalige Freundin Suze Rotolo über ihn.

Religiöse Motive sind für sein Werk trotzdem wichtig – als eine von vielen Quellen des anspielungsreichen Gewebes seiner Motive neben dem Stoff des „Great American Songbooks“, jener Sammlung der goldenen Ära der frühen amerikanischen populären Musik, neben der Literatur und neben der Mythologie. Gospel, Blues und Folk prägten den frühen Dylan, sein Debutalbum schließt mit "See That My Grave Is Kept Clean" von Blind Lemon Jefferson, der in den 20ern aus dem Gospel den Texas Blues entwickelte. Das Album endet mit den Worten "Well my heart stopped beating and my hands turned cold / Now I believe what the Bible told." ("Mein Herz hat aufgehört zu schlagen, meine Hände sind kalt / Jetzt glaube ich, was in der Bibel steht.")

Jüdische Wurzeln, christliche Erweckung

Ende der 60er, nach einem Motorradunfall, der ihm fast das Leben gekostet hatte, besinnt er sich kurzzeitig auf seine jüdischen Wurzeln. Er steht in Kontakt mit dem Gründer der rechtsextremen "Jewish Defense League", Rabbi Meir Kahane, überlegt auch, nach Israel auszuwandern – was er dann doch verwirft.

Offen religiös wird Dylan erst in der darauf folgenden Phase seines Werks: Ein Kreuzanhänger, bei einem Konzert auf die Bühne geworfen, führt zum Erweckungserlebnis. Bob Dylan ist jetzt ein Christ, born again, charismatisch wiedergeboren, evangelikal, explizit spirituell. Die Alben dieser Phase verstören die Fans – stärker, als der kontroverse Wechsel vom akustischen Folk zur E-Gitarre Ende der 60er. (Ein enttäuschter Fan nannte ihn 1966 in Manchester "Judas" – der wutentbrannte Schrei ist noch heute auf den Aufnahmen zu hören.) Die drei Alben Slow Train Coming (1979), Saved (1980) und Shot of Love (1981) gelten als ein Tiefpunkt seiner musikalischen Karriere; nicht notwendig ein gerechtfertigtes Urteil, hört man die Alben aus 30 Jahren Distanz und ohne den Schock des evangelikalen Coming Outs: das kräftige, eindringliche "Gotta Serve Somebody" betont die Pflicht zur Entscheidung, die Pflicht, von der Freiheit Gebrauch zu machen. Es versöhnt mit den süßlichen Gospelchören des simplen – wenn auch mitreißenden – Lobpreisliedes "Pressing on". "The Groom's Still Waiting at the Altar" zeigt Dylan auf der Höhe seiner literarischen Kraft und zeichnet eine Apokalypse in dichten, opaken Metaphern, die an die großen, dunklen Rätsellieder wie "Visions of Johanna" oder "A Hard Rain's A-Gonna Fall" erinnern.

Nach der Erweckung

Die Erleuchtung währt nur drei Alben. Das 83er-Album – ohne Gospelchöre und von Mark Knopfler produziert – heißt schon wieder "Infidels", "Ungläubige". Immer noch sind religiöse Motive stark – aber der Fokus ist kritischer, misstrauischer. "Could be the Führer / Could be the local priest / You know sometimes Satan comes as a man of peace" ("Es könnte der Führer sein, es könnte der Pfarrer daheim sein / weißt du, manchmal kommt Satan als Mann des Friedens"). Persönlich wendet sich Dylan wieder dem Judentum zu; er engagiert sich für die orthodoxe Chabad-Lubawitsch-Bewegung, seine Söhne gehen zur Bar Mitzwah, er wird in Synagogen gesehen. Immer wieder thematisiert er seinen Glauben, ohne sich festzulegen, ob er sich nun als Jude oder Christ versteht; 2009 veröffentlicht er ein Weihnachtsalbum, immer wieder singt er die Songs aus seiner christlichen Phase, er spielt für Johannes Paul II. in Bologna beim Eucharistischen Kongress – auch wenn das dem damaligen Kardinal Ratzinger missfällt.

Von Anfang an bis ins Spätwerk gehört die Religion für Dylan zu den Quellen, aus denen er schöpft – die Torah und die Bibel verwebt er so selbstverständlich, so respektlos und respektvoll in seinen Werken wie den Kanon der Literatur, der Popkultur, der Urgeschichte der modernen Musik.

Das würdigt schließlich auch das Nobelpreiskomitee: 2016 wird er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

Der religiöse Dylan in seinen Songs

Gotta Serve Somebody

Es war nicht alles schlecht in Dylans Jesus-Phase. "Gotta Serve somebody" gehört zu den stärksten Liedern dieser Zeit.

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Little Drummer Body

Ist das jetzt ernstgemeint oder nicht? Die Fans rätselten über das Weihnachtsalbum von 2009, "Christmas in the Heart" – im Interview darauf angesprochen, dass er ja wie ein echter Gläubiger singe, sagte Dylan: "Naja, ich bin ein wahrer Gläubiger."

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Knocking on Heaven's Door

Einer der bekanntesten Dylan-Songs, viel gecovert, hier bei MTV unplugged. "Knocking on Heaven's Door" gehört zum Soundtrack des Westerns "Pat Garrett and Billy the Kid", in dem Dylan auch selbst eine Rolle spielt.

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Blowing in the Wind

Der Dylan-Klassiker der frühen Folk-Phase – "Blowing in the Wind", ist voll von biblischen Referenzen: Die Taube, die Noah den Weg weist, taucht auf, Jesaja klingt an, der betet und klagt, dass den Menschen die Ohren geöffnet werden mögen, und Dylan fragt, wie Jesaja: "Wie lange, Herr?" – und beim eucharistischen Kongress in Bologna predigt sogar Johannes Paul II. darüber: "Ihr sagt, die Antwort ist in den Wind geschrieben, meine Freunde. So ist es. Aber es ist nicht der Wind, der Dinge wegbläst, sondern der Atem des Heiligen Geistes, die Stimme, die ruft und sagt: Komm!"

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Tryin' to Get to Heaven

Eines der stärksten Lieder auf den 97er-Album "Time out of mind" verzichtet wieder auf allzu expliziten Glauben und zeichnet bildgewaltig ein melancholisches Panorama, um im Refrain von der Hoffnung auf Erlösung zu sprechen – "Ich versuche, in den Himmel zu kommen, bevor sie den Himmel zumachen."

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

I dreamed I Saw St. Augustine

Ein altes Gewerkschaftslied über den Gewerkschafter Joe Hill wird bei Dylan zur Vorlage für eine Meditation über Schuld und das Böse – der heilige Augustinus ist dabei mehr Motiv dafür, als dass seine Theologie ausgeführt wird.

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

I Shall be Released

Es brauchte gar nicht erst der Bekehrung zehn Jahre später: Schon 1968 lässt sich Dylan von Gospel inspirieren und singt über Fehlbarkeit und das Bedürfnis nach Erlösung.

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Von Felix Neumann

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.