Die Tour de France startet dieses Jahr am Mont Saint-Michel

Drahtesel statt Schafe

Veröffentlicht am 02.07.2016 um 00:01 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA) – Lesedauer: 
Sport

Caen ‐ Könnte es einen spektakuläreren Startort für die Tour de France geben als den Mont Saint-Michel? Die erste Etappe des berühmten Radrennens führt heute von dem bekannten Klosterberg bis zum Utah Beach.

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Die erste, noch sehr flache Etappe über 188 Kilometer beginnt an der Klosterinsel in der Normandie und endet historisch: am Utah Beach in Sainte-Marie-du-Mont, einem von fünf Landungsstränden bei der Invasion der Westalliierten in der Normandie im Juni 1944. Der Klosterberg Mont Saint-Michel gehört zum Weltkulturerbe der Unesco und ist einer der größten Touristenmagnete Frankreichs. Nach über einem Jahrhundert zunehmender Verlandung ist er zuletzt mit Hilfe eines groß angelegten Rückbauprogramms wieder zur Insel geworden.

Morgennebel und gestreckter Galopp

Morgennebel und gestreckter Galopp: Schon die Geschichte des Mont Saint-Michel beginnt in einem Gespinst aus Legenden und Mythen. Die Anfänge des Klosters, so will es die Sage, gehen auf das Jahr 708 zurück. Der Erzengel Michael erscheint dem heiligen Autbertus, Bischof von Avranches, dreimal im Traum und weist ihm - zum Schluss gar handgreiflich - den Ort für die Gründung eines Kirchleins auf dem ehemaligen Totenberg der Kelten, inmitten der Wälder von Scissy.

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Es ist ein Meilenstein der seit1995 laufenden Renaturierungsarbeiten: Seit dieser Woche ist der Klosterberg Mont Saint-Michel über eine neue Brücke mit dem Festland verbunden. Heute wird der Steg für die Besucher freigegeben.

Autbert, von den schlagenden Argumenten überzeugt, schickt Geistliche zum Monte Gargano nach Süditalien, um von dort Reliquien zur Ausstattung der Kirche zu holen. Kurz darauf sucht die große Flut des Jahres 709 die Küste der Normandie heim. Bei ihrer Rückkehr finden die Emissäre anstelle von Wäldern nur noch das nackte Eiland aus Granit in einem endlosen Meer aus Sand. Doch die Reliquien sind nun mal da; und so wird eine neue Kirche für anfangs zwölf Kanoniker errichtet.

Von Beginn an zieht der Michaelsberg Pilger an. Zudem bietet die Abtei Schutz gegen die Wikinger. So entsteht im neunten Jahrhundert ein Dorf am Fuße des Klosters. 966 werden 30 Benediktiner aus dem Reformkloster Saint Wandrille eingesetzt. Die eigentliche Grundsteinlegung des steinernen Gebirges geht auf das Jahr 1017 zurück, als die karolingische Kirche zur Krypta Notre-Dame-sous-Terre umgebaut wird. Auf dem Unterbau von vier solcher Krypten ruht die gigantische Konstruktion bis heute. Die Abtei entwickelt sich zur meistbesuchten Wallfahrtsstätte Frankreichs nach dem Grab des heiligen Martin in Tours. Zudem wird sie von Wilhelm dem Eroberer mit Geschenken überhäuft.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts nehmen die Verbündeten des französischen Königs Philipp II. August die Normandie in Besitz. Sie brennen auch die Abtei auf dem Michaelsberg nieder und belasten so das Gewissen des Königs. Mit dessen Wiederaufbauhilfe gelingt eines der architektonischen und logistischen Meisterwerke des Mittelalters: die gotische "Merveille", das "Wunder": zwei dreigeschossige Gebäude, 1228 gekrönt von einem Kreuzgang mit 227 Säulen und dem Speisesaal 80 Meter über dem Meer.

Bild: ©Thomas Launois/Fotolia.com

Die erste Etappe der Tour de France führt in diesem Jahr über 188 Kilometervon der Klosterinsel in der Normandie zum Utah Beach in Sainte-Marie-du-Mon.

Jedem Eindringling hält die Gottesburg stand. Es braucht erst Jahrhunderte des geistlichen Niedergangs, um das Bauwerk zu erschüttern: 1780 stürzen drei Joche der Kirche ein. Nachdem König Ludwig XVI. Teile des Klosters zum Staatsgefängnis umfunktioniert hat, machen die Revolutionstruppen dem religiösen Leben ganz den Garaus. Das Kloster wird 1790 aufgehoben, seine Schätze geplündert.

Einst Gefängnis, heute Touristenmagnet

1863 schließt Kaiser Napoleon III. die gefürchtete "Zweigstelle der Bastille" und vermietet den Ort an die Bischöfe von Coutances und Avranches. Der Michaelsberg wird nun zum Objekt romantischer Verzückung, und sein trauriger Zustand verstärkt noch den schwermütigen, tragischen Zug, der bis heute spürbar ist. 1874 wird der einstige Pilgermagnet unter Denkmalschutz gestellt und restauriert. Es beginnt eine neue Ära: als Touristenmagnet.

Stichwort: Mont Saint-Michel

Der Mont Saint-Michel zwischen Normandie und Bretagne ist ein einzigartiges Denkmal mittelalterlicher Kloster- und Festungsarchitektur; er gehört zum Weltkulturerbe der Unesco. Der Legende nach war der Ort schon im sechsten Jahrhundert von einem Einsiedler bewohnt. Die Anfänge des Klosters sollen auf das Jahr 708 zurückgehen. Der Erzengel Michael habe den damaligen Bischof von Avranches im Traum angewiesen, auf einem ehemaligen Totenberg der Kelten eine Kirche für zwölf Kanoniker zu errichten. Der Berg wurde Michaelsberg benannt. Die Priester wurden 966 durch 30 Benediktiner aus dem Reformkloster Saint Wandrille ersetzt. Im Hochmittelalter entwickelte sich die Benediktinerabtei zur meistbesuchten Wallfahrtsstätte Frankreichs nach dem Grab des heiligen Martin in Tours. Nach der Zerstörung im Zuge der französischen Eroberung der Normandie gelang zu Beginn des 13. Jahrhunderts der Wiederaufbau als eines der architektonischen und logistischen Meisterwerke des Mittelalters: zwei dreigeschossige gotische Gebäude entstanden, 1228 gekrönt von einem Kreuzgang mit 227 Säulen. Nach Jahrhunderten geistlichen und baulichen Niedergangs machte König Ludwig XVI. Teile des Klosters zum Staatsgefängnis; Revolutionstruppen setzten dem religiösen Leben 1790 ein Ende. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Mont Saint-Michel zum Objekt romantischen Schwärmertums und schließlich des Massentourismus. Seit 1874 steht er unter Denkmalschutz. Seit 1969 wohnen dort wieder Ordensleute: zunächst Benediktiner, seit 2001 die Fraternite Monastique de Jerusalem. (luk/KNA)
Von Alexander Brüggemann (KNA)