Syrienkrieg ist "Spiel mit dem Feuer"
Frage: Herr Erzbischof, Sie haben Ihr Amt mitten im Krieg übernommen. Wie erleben Sie die Situation in Ihrem Erzbistum seitdem?
Erzbischof Jean-Abdo Arbach: Als ich am 1. Januar 2013 ankam, waren Kalamun und Homs von den Rebellen umzingelt. Unser Bischofssitz und die Kathedrale im Christenviertel Hamidiyeh in Homs waren das Hauptquartier der Rebellen, der Saal über der Kathedrale diente ihnen als Militärkrankenhaus. Am 9. Mai 2014, Tag der Befreiung von Homs, konnten wir erstmals - zu Fuß - die Stadt betreten und die Zerstörungen begutachten. Einen Tag später explodierte mittags eine Bombe in der Kathedrale, es gab fünf Verwundete, einer erlag seinen Verletzungen. Es war der Bruder des syrisch-orthodoxen Bischofs. Das Eisenportal der Kirche wurde von der Wucht der Explosion herausgeschleudert. Von den vielen Bomben, die im Krieg in unsere Gebäude eingeschlagen sind, steckt bis heute noch eine nicht detonierte Bombe im Dach, die wir täglich wässern.
Frage: Haben Sie inzwischen mit dem Wiederaufbau begonnen?
Arbach: Vor allem haben wir die Aktivitäten in Homs wieder aufgenommen. Seit dem 1. Januar ist wieder ein Priester permanent in Homs, ich selbst bin täglich einige Stunden in der Stadt. Im Mai haben wir mit der Restaurierung der Kathedrale begonnen und dort wieder eine Erstkommunion gefeiert, inmitten der noch sichtbaren Zerstörungen. Sonst finden die Messen in einem Saal des Bischofssitzes statt. Inzwischen sind 70 melkitische Familien in das Viertel zurückgekehrt.
Frage: Wie viele Familien zählt Ihre Diözese?
Arbach: Meine Diözese ist die größte in Syrien. Sie reicht von Homs über Hama und Kussair bis an die libanesische Grenze und umfasst auch Kalamun, Jabrud und Nabk, insgesamt 17 Pfarreien mit gegenwärtig rund 5.000 Familien. Das entspricht etwa 22.000 Gläubigen. 1.200 Familien sind seit Kriegsbeginn in andere Gebiete Syriens geflohen, einige auch in den Libanon.
Frage: Und eine Abwanderung in den Westen?
Arbach: Viele Menschen wollen abwandern, vor allem die Jungen, um nicht ins Militär zu müssen, um Arbeit zu finden und wegen der Unsicherheit. Das ist gegenwärtig ein großes Problem.
Frage: Wie reagieren Sie auf den Abwanderungswunsch?
Arbach: Ich bin dagegen! Ich bin in meiner Diözese immer präsent. Jeden Tag gehe ich in unsere Dörfer, feiere Messen, bete mit den Menschen. Allen gegenüber insistiere ich, dass sie hierbleiben müssen: Das hier ist unser Land, unsere Heimat, unser Christentum. Aber die Leute antworten mir: Welche Sicherheit haben wir? Meine Frage richtet sich an Europa: Will Europa weiterhin Christen im Nahen Osten, nicht nur in Syrien?
Frage: Und die Antwort?
Arbach: Nach der Erfahrung des libanesischen Bürgerkriegs glaube ich, dass Europa und Amerika nicht wollen, dass die Christen hierbleiben. Warum? Es gibt keinen Grund. Gleichzeitig arbeitet die Kirche mit Enthusiasmus dafür, dass die Christen bleiben.
Frage: Wie sehen Sie die nahe Zukunft Syriens und des Nahen Ostens?
Arbach: Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Alles hängt von der Politik Außenstehender ab.
Frage: Der Krieg in Syrien ist also ein Krieg von außen?
Arbach: Es ist ein Spiel mit dem Feuer zwischen Russland und Amerika, eine Komplizenschaft nicht nur gegen Syrien, sondern gegen die Christen. Ich sage: Hört auf mit dem Krieg und gebt uns Frieden. Wir sind des Kriegs müde und wollen in Würde leben. Die Menschen wollen zurückkommen. Die Syrer, denen man den Frieden gibt, wollen keine Hilfe, sie wollen in Frieden arbeiten.
Frage: Können die Christen des Westens dabei helfen?
Arbach: Die Menschen in Europa haben nichts verstanden über die Motive des Kriegs im Nahen Osten. Sie sind nicht einverstanden mit dem Krieg, aber die neue Politik des Westens lautet: Jedes Land will profitieren. Seit dem Bürgerkrieg im Libanon, den ich persönlich erlebt habe, glaube ich, dass es für keinen der Kriege in Nahost gerechte Gründe gibt, am wenigsten im Irak. Und die Verantwortlichen der Kriege sind bis heute an der Macht. Wer leidet, das sind die Familien.
"Mensch, stimmt, da war was"
An vielen Orten der Welt herrschen grauenvolle Krisen. Wie kommt es, dass wir sie dennoch manchmal einfach vergessen? Sid Peruvemba von Malteser International hat eine Vorstellung, woran das liegt.Frage: Was immer aus Syrien werden wird: Können die Kriegswunden zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen heilen?
Arbach: Wir haben bis heute kein Problem mit dem Zusammenleben im regierungskontrollierten Gebiet. Die von Europa angenommene Spaltung zwischen Muslimen und Christen gibt es nicht. Wir haben gute Beziehungen. Die Probleme, die es gibt, sind lokal begrenzt und personenbezogen, nicht allgemein. Im Gegenteil, die Christen können nicht ohne die Muslime leben und umgekehrt. Viele unserer Arbeiter sind Muslime, auch in der Kathedrale.
Frage: Heißt das, Europa sollte Präsident Assad stützen und gegen die Rebellen vorgehen?
Arbach: Eine Familie, die ihren Vater verliert, kann nicht leben. Ein Land ohne Präsident kann nicht überleben. Unsere Regierung ist eine Regierung, unser Präsident ist unser Präsident. Ohne den Präsidenten wäre Syrien wie Libyen oder wie der Libanon. Das wäre viel gefährlicher, denn wer soll dann das Land regieren?
Frage: Sie haben also keine Angst um Ihr Land?
Arbach: Ich habe keine Angst um Syrien. Im Libanon ist es gefährlicher als in Syrien. Auch Europa hat Angst vor dem IS, und das zu Recht: Mit der Ankunft der Russen haben Tausende IS-Kämpfer das Land verlassen. Aus Kalamun und Jabrud sind binnen 24 Stunden 3.000 Rebellen verschwunden - wohin? Und was, wenn die syrische Armee weiter voranschreitet? Wo ist die Zukunft der Rebellen? Unter ihnen sind viele Ausländer, aus 80 Ländern, darunter viele Konvertiten aus Europa...
Frage: Gibt es Christen unter den Rebellen?
Arbach: Wenn es Christen unter den Rebellen gibt, dann, weil sie bezahlt wurden; das sind die Regeln des Kriegs. Es gibt sie, aber es sind nicht viele. Zu Beginn waren viele Christen auf der Seite der Revolution. Aber als sie die Motive verstanden und gesehen haben, wohin die Revolution geht, sind sie umgekehrt.