Ehemaliger Zeitsoldat leitet Kita im Oberbergischen

Von der Waffe an die Windel

Veröffentlicht am 28.07.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © KNA
Kindertagesstätte

Engelskirchen ‐ Ein warmer Sommertag in der Kita Engelskirchen-Loope. Kinderlachen erklingt, die Kleinen buddeln eifrig in der Sandkiste. Erzieherinnen putzen Nase und Knie - ganz normaler Kindergartenalltag. Fast, denn inmitten der bunten Kinderschar behält ein Mann routiniert den Überblick. Horst Rieger ist der einzige männliche Erzieher in der Kita.

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Und damit nicht genug: Der 47-jährige Kindergartenleiter war vorher Zeitsoldat. Statt Waffen zu putzen, wickelt er jetzt Windeln, anstelle Manöver zu kommandieren, spielt er mit den Kleinen, aus "Gefreiter Müller" wird einfach nur der "kleine Leon". Eine moderne Version von "Schwerter zu Pflugscharen".

Rieger ist ein lebenslustiger Mann, den so schnell kaum etwas aus der Ruhe bringt. "Mich stresst nichts", sagt er. "Ich war zwölf Jahre bei der Bundeswehr." Aber auch die Kleinen können ganz schön fordernd sein. Wenn Rieger sie energisch ermahnt oder Mitarbeitern knappe Anweisungen erteilt, scheint der Soldat in ihm durch. Zugleich kann der Kita-Leiter aufmerksam zuhören und Streit schlichten. Dann ist Rieger ganz in seinem Element als Erzieher.

Ein langer Weg bis hin zum Kindergärtner

Bis dahin war es ein langer Weg. Der gebürtige Österreicher war zunächst Koch, dann Maler und Lackierer mit Schwerpunkt Kirchenrestauration. Als die Aufträge ausblieben, ging er zur Bundeswehr. Aus den vier Jahren, für die Rieger sich anfänglich verpflichtete, wurden insgesamt zwölf. Der Zeitsoldat bildete Rekruten aus und arbeitete in der Personalverwaltung. In Kampfhandlungen verwickelt war er nie. "Gott sei Dank", wie er sagt.

Bei der Bundeswehr können sich bereits seit den 1970er Jahren Zeitsoldaten zu staatlich anerkannten Erziehern umschulen lassen. Nach Ende seiner Dienstzeit ging auch Rieger diesen Weg. Aus dem Oberfeldwebel wurde ein Zivilist. Zunächst arbeitete Rieger in der Kinderpsychiatrie, ließ sich zum Erlebnispädagogen und Therapeuten für jugendliche Sexualstraftäter weiterbilden. Eine intensive Zeit, in der er an seine Grenzen kam: "Ich hatte die Faxen dicke."

Seit April 2012 ist der Pädagoge Leiter der katholischen Kindertagesstätte Herz-Jesu in Engelskirchen-Loope. Er ist der einzige Mann unter den neun Fachkräften. Bundesweit liegt der Anteil der männlichen Erzieher bei nur 3 Prozent, in den 670 katholischen Kitas im Erzbistum Köln bei 2,3 Prozent.

Ein Kind beim Spielen.
Bild: ©Pavel Losevsky/Fotolia.com

Ein Kind beim Spielen.

Erster Tag in KiTa ein "Kulturschock"

Sein erster Tag im Kindergarten sei ein "Kulturschock" gewesen, erzählt er. Kinder und Soldaten hätten jedoch mehr gemeinsam, als man denkt: "Sie sind neugierig, hilfsbereit, sozial und lernfreudig." Von seinen Erfahrungen beim Bund habe er profitiert, sagt Rieger. Er habe gelernt, zielorientiert zu denken, konkrete Handlungsanweisungen zu geben und "auch mal Arschloch zu sein".

Der Mann packt an, anstatt lange Diskussionen zu führen: "Wir haben einen Bildungsauftrag umzusetzen." Dazu brauche es Erzieher mit Lebenserfahrung und mehr Wahlfreiheit für Kinder statt immer gleiche Abläufe. Seine Haltung gefällt längst nicht jedem, aber der ehemalige Soldat kämpft für bessere Kitas.

Seine Kollegen hätten ihn als "Bastel- und Spielonkel" zunächst belächelt, erinnert sich Rieger, seine Entscheidung dann aber akzeptiert. Bei den Eltern sei die Reaktion positiv gewesen. Befürchtungen vor möglichem sexuellem Missbrauch durch männliche Erzieher begegnet er sehr offen. "Meine Erfahrungen als Therapeut schaffen Vertrauen."

Rieger hätte gerne mehr männliche Kollegen

Gerne hätte Rieger mehr männliche Kollegen, aber viele scheuten sich, den vermeintlich typischen Frauenberuf zu ergreifen. Hauptursache ist neben schlechter Bezahlung und fehlender öffentlicher Anerkennung nach seiner Ansicht das "Gezicke" vieler Frauen. Aber erst wenn mehr Männer in Kitas arbeiteten, ändere sich das Klima. "Erzieher müssen ganz normal werden."

Rieger bereut nicht, diesen Weg gegangen zu sein. Kurz hängt der 47-Jährige seinen Erinnerungen nach, dann holt ihn der Alltag ein. Felix hat Bauchschmerzen, Marie will ihm einen Marienkäfer zeigen und Lukas möchte auch endlich den Roller. Ganz normaler Kindergartenalltag eben.

Von Tjalke Weber (KNA)