Mit Israels Angriffen auf Gaza nimmt der Antisemitismus in Europa zu

"Eine Hetze gegen Juden"

Veröffentlicht am 22.07.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Antisemitismus

Bonn ‐ Der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen wirkt sich auf das jüdische Leben in Deutschland aus: Immer wieder sind bei Protesten gegen die israelische Bodenoffensive antisemitische Parolen zu hören. Nun mehren sich die Stimmen, die ein härteres Eingreifen von Politik und Polizei fordern – und angesichts weiterer angekündigter Demonstrationen vor einer noch größeren Eskalation warnen.

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So hat der Zentralrat der Juden in Deutschland wegen antisemitischer Kommentare auf seiner Facebook-Seite die Polizei eingeschaltet. Nach Angaben der Organisation vom Dienstag gab es zu einem Brief von Zentralrats-Präsident Dieter Graumann innerhalb von wenigen Stunden mehr als 60 Kommentare. Etwa ein Viertel davon sei wegen antisemitischer Äußerungen, Volksverhetzung oder Herabsetzung des Staates Israel gleich wieder gelöscht worden. In besonders schlimmen Fällen habe man sich jedoch an die Polizei gewandt.

Graumann hatte sich in dem Offenen Brief am Montag über "antisemitische Slogans von übelster und primitivster Natur" beklagt, die bei Demonstrationen gegen Israels Vorgehen im Gaza-Konflikt skandiert worden seien. "Niemals im Leben hätte ich mir vorgestellt, dass wir so eine Hetze gegen Juden in Deutschland wieder hören könnten."

"Explosion an bösem und gewaltbereiten Judenhass"

In Berlin hatten Demonstranten am vergangenen Donnerstag die Parole gerufen "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein". Ähnliche Vorfälle ereigneten sich bei einer Demonstration am Samstag. Die Kundgebungen sollten sich, wie auch Protestmärsche in anderen Städten, gegen die jüngste militärische Intervention Israels im palästinensischen Gazastreifen richten.

Auch das ehemalige Direktoriums-Mitglied im Zentralrat, Rolf Verleger, verurteilte am Dienstag im Deutschlandfunk die judenfeindlichen Äußerungen. Protest gegen "Israels nationalreligiöse Politik" müsse jedoch möglich sein. "Ich finde es eine Absurdität, sich hinzustellen und zu sagen, das sei das selbstverständliche Verteidigungsrecht Israels, dieses Massaker in Gaza anzurichten", sagte der Psychologe und Buchautor. "Jeder vernünftige Mensch sagt sich, da stimmt doch was nicht."

Mehrere schwarz gekleidete Rabbis mit langen Bärten stehen nachts mit Kerzen in der Hand vor dem erleuchteten Brandenburger Tor.
Bild: ©picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

200 Rabbiner gedenken am 12.11.2013 in Berlin des 75. Jahrestages der Pogromnacht.

Politiker, die sich mit Verweis auf die von den Nationalsozialisten betriebene Auslöschung des europäischen Judentums mit Kritik an Israel zurückhalten, nannte Verleger "Angsthasen". Weiter sagte er: "Was hat das mit meiner ermordeten Verwandtschaft zu tun, dass da jetzt ein solches Unrecht im Nahen Osten geschieht? Man kann doch nicht mit Verweis auf schreckliche Dinge in der Vergangenheit weiter heute Unrecht geschehen lassen."

Die Wurzel des Nahost-Konflikts umschrieb Verleger mit den Worten, Europa sei vor 100 Jahren mit seiner jüdischen Minderheit nicht fertig geworden und habe das Problem nach Palästina exportiert. "Das fällt jetzt alles wieder auf uns zurück."

Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) verurteilte antisemitische Parolen bei Demonstrationen gegen die Politik Israels. "Wer Judenhass predigt oder meint, im Zuge des Gaza-Krieges Antisemitismus verbreiten zu müssen, bewegt sich außerhalb unserer Gemeinden", sagte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur in Köln. "Selbstverständlich darf und muss Kritik am kriegerischen Vorgehen Israels weiter möglich sein", betonte Mazyek. Der Missbrauch dieser Kritik für Rassismus und Antisemitismus sei aber entschieden abzulehnen.

Französische Bischofskonferenz verurteilt Ausschreitungen

Schockiert über die derzeitige Situation zeigte sich auch das American Jewish Committee (AJC), das scharfe Kritik an Polizei und Politik in Deutschland äußerte. Der Direktor des Europäischen AJC-Büros zum Antisemitismus, Stephan Kramer, sagte der "Welt", die Polizei müsse "umgehend einschreiten, wenn sie Gewalt und Hassparolen vor Ort miterlebt". Ein Verbot von pro-palästinensischen Demonstrationen wie in Frankreich, wo es ebenfalls zu Ausschreitungen kam, sieht Kramer jedoch skeptisch: "Das Recht auf Meinungsfreiheit ist eines der wichtigsten, was wir in unserer Verfassung haben."

Die Französische Bischofskonferenz verurteilte die antisemitischen Ausschreitungen im Pariser Vorort Sarcelles. "Wir sind geschockt wie ein Großteil der Franzosen", erklärten die Bischöfe am Montag. Sie riefen die Regierung auf, alles dafür zu tun, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Am Sonntag waren Proteste gegen den Konflikt im Gazastreifen in Gewaltausbrüche gemündet. Demonstranten lieferten sich vor zwei Synagogen Straßenschlachten mit der Polizei. In dem von vielen Juden bewohnten Stadtbezirk Sarcelles brannte ein Geschäft für koschere Lebensmittel.

Kritik aus der Politik

Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat mit seinen Kollegen aus Frankreich und Italien die jüngsten judenfeindlichen Parolen in Europa verurteilt. "Antisemitische Hetze und Anfeindungen gegen Juden, Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens und Synagogen haben in unseren Gesellschaften keinen Platz", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die am Dienstag veröffentlicht wurde. "Nichts, einschließlich der dramatischen militärischen Konfrontation in Gaza, rechtfertigt ein solches Handeln bei uns in Europa."

Kritik kam auch von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD): "Judenfeindliche Hassparolen sind absolut unerträglich und durch nichts zu entschuldigen", sagte Maas in Berlin. "Antisemitismus darf in Deutschland nie wieder eine Bühne bekommen". SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi betonte, Judenhass sei "unsäglich und absolut inakzeptabel". Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: "Gewalt gegen Gegendemonstranten, antisemitische Hassparolen und Holocaust-Leugnung oder -Vergleiche haben nichts, aber wirklich rein gar nichts mit Solidarität gegenüber der palästinensischen Bevölkerung zu tun." (som/KNA/dpa)