75 Jahre Lübecker Märtyrer: Ökumenische Zeugen gegen das NS-Regime
Rund 10.000 Menschen kommen jährlich in die "Gedenkstätte Lübecker Märtyrer" in der Propsteikirche Herz Jesu in Lübeck. Denkmäler in Hamburg und Osnabrück erinnern an die Glaubenszeugen. Und ihre Seligsprechung im Jahr 2011 war eine kleine Sensation. Die Lübecker Märtyrer sind für die Christen in Norddeutschland zu wichtigen Identifikationsfiguren geworden. An ihre Hinrichtung, die sich am Samstag zum 75. Mal jährt, erinnern Katholiken wie Lutheraner mit zahlreichen Gottesdiensten.
Die drei katholischen Kapläne Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller sowie der evangelisch-lutherische Pastor Karl Friedrich Stellbrink wirkten während der NS-Zeit in Lübeck. Die vier Geistlichen konnten kaum verschiedener sein. Der aus einer gutbürgerlichen Familie in Ostfriesland stammende Lange war als gebildeter und anspruchsvoller Prediger bekannt. Müller dagegen wuchs in einfachen Verhältnissen im schleswig-holsteinischen Neumünster auf. In der Lübecker Gemeinde war er bei den Jugendlichen besonders beliebt und baute mit ihnen einen Kohlenkeller zum Jugendraum um - die heutige Krypta. Prassek stammte aus Hamburg-Barmbek und war charismatischer Seelsorger. Er hatte schon im Priesterseminar Polnisch gelernt und kümmerte sich in Lübeck - trotz strengen Verbots - um die polnischen Zwangsarbeiter.
Der evangelische Pastor vollzog eine Kehrtwende
Der Protestant Stellbrink, gebürtiger Münsteraner, ist nicht unumstritten. Als Veteran des Ersten Weltkriegs war er zunächst glühender Anhänger von Hitlers Machtfantasien. Erst während seiner Zeit als Pastor an der Lübecker Lutherkirche vollzog er nach und nach eine Kehrtwende. Es war im Mai oder Juni 1941, als der 46-jährige Stellbrink bei einer Trauerfeier dem knapp 30-jährigen Prassek begegnete und in ihm einen Gesinnungsbruder erkannte.
Fortan suchten Stellbrink und die drei Kapläne Wege des Widerstands, hörten gemeinsam "Feindsender" und verbreiteten die regimekritischen Predigten, in denen der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, unter anderem die "Euthanasie", die "Tötung unwerten Lebens", angeprangert hatte.
Im Abstand weniger Minuten enthauptet
In der Predigt am Palmsonntag 1942 sagte Stellbrink, durch den britischen Luftangriff auf Lübeck in der Vornacht habe Gott mit mächtiger Stimme gesprochen. Kurz darauf, am 7. April 1942, wurde er von der Gestapo verhaftet. Wenig später kamen auch die Kapläne nacheinander in Haft. Im Juni 1943 wurden die vier vom Volksgerichtshof in Lübeck wegen "Rundfunkverbrechen, landesverräterischer Feindbegünstigung und Zersetzung der Wehrkraft" zum Tode verurteilt. Fünf Monate nach ihrem Prozess wurden die vier Geistlichen in einem Hamburger Gefängnis im Abstand von wenigen Minuten enthauptet.
Das Gedenken an die vier setzte bald nach deren Tod ein, initiiert durch die katholische Gemeinde. Die evangelische Kirche tat sich lange mit der Verehrung der Märtyrer schwer. Erst in den 1990er-Jahren setzte sich der damalige Lübecker Bischof Karl Ludwig Kohlwage für die Rehabilitierung Stellbrinks ein. Mittlerweile finden Gedenkfeiern häufig in ökumenischer Verbundenheit statt. Am 25. Juni 2011 wurden die drei katholischen Kapläne seliggesprochen. Stellbrink erhielt dabei ein ehrendes Gedenken, denn die evangelische Kirche nimmt keine Seligsprechungen vor.
Es fehlt noch ein Wunder
In der Propsteikirche dokumentiert seit 2013 eine Ausstellung ihr Leben und Wirken. Im vergangenen Jahr wurde sie um eine Schatzkammer ergänzt, in der persönliche Erinnerungsstücke der Geistlichen zu sehen sind. "Es ist uns wichtig, die Erinnerung an dieses außergewöhnliche Zeugnis wachzuhalten", sagt der Lübecker Propst Christoph Giering. Er ist sich bewusst, dass die letzten Zeitzeugen langsam aussterben. "Das bedeutet eine ganz neue Phase der Auseinandersetzung."
Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße setzt sich für die Heiligsprechung der Märtyrer ein. Dazu wäre allerdings ein Wunder nötig, das auf Fürsprache der Geistlichen geschehen müsste. Im Vatikan stößt er mit seinem Anliegen auf offene Ohren: Papst Franziskus sind die Lübecker Märtyrer von einem Besuch in Hamburg während seiner Studienzeit in Deutschland bekannt. Bei Treffen mit Vertretern anderer christlicher Kirchen nennt er sie regelmäßig als Beispiel für eine "Ökumene des Bluts".