Wenn die Grünen mit der Kirche

Alles eitel Sonnenschein?

Veröffentlicht am 25.03.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Politik

Bonn ‐ Grün gilt im Christentum als Farbe der Auferstehung. Doch lange sahen die christlichen Kirchen eher Rot, wenn es um die Partei gleichen Namens ging. Als "unwählbar" für katholische Wähler beschimpfte Kardinal Joseph Höffner, damals Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, die Grünen 1987.

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Und noch 20 Jahre später kam es zu einem heftigen verbalen Schlagabtausch zwischen dem Augsburger Bischof Walter Mixa und der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth: Roth hatte Mixa wegen seiner Äußerungen zur Familienpolitik als "durchgeknallten, spalterischen Oberfundi" beschimpft. Und heute?

2011 bezeichnete der Papst die Ökologiebewegung im Bundestag als "Schrei nach frischer Luft, die man nicht überhören darf". Ganz selbstverständlich rufen führende Grünen-Politiker wie Volker Beck und Cem Özdemir zur "Bewahrung der Schöpfung" auf - und nehmen damit einen urchristlichen Begriff in den Mund.

In Baden-Württemberg stellt die Partei mit Winfried Kretschmann einen Ministerpräsidenten, der gleichzeitig praktizierender Christ und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist. Und mit Karin Göring-Eckhard krönten die Grünen per Urwahl die Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland zu ihrer Spitzenkandidatin bei der kommenden Bundestagswahl.

"Christen bei den Grünen – das ist heute so selbstverständlich wie Grüne bei den Christen", bilanzierte 2011 Johannes Remmel, grüner Umwelt- und Landwirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen im Magazin "Christ __amp__ Welt".

Kritische Beäugung

Ein Blick auf die nackten Zahlen bestätigt diese Beobachtung: 22 Prozent der Parteimitglieder waren laut einer Studie der Bundeszentrale für politische Bildung im Jahr 2009 katholisch, 35 Prozent evangelisch. Mit einem Anteil von 41 Prozent lagen die konfessionslosen Mitglieder allerdings über dem Bundesmittel und dem Durchschnitt aller Parteimitglieder.

Grünen-Politiker Winfried Kretschmann ist Mitglied im Diözesanrat der Erzdiözese Freiburg und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.
Bild: ©KNA

Grünen-Politiker Winfried Kretschmann ist Mitglied im Diözesanrat der Erzdiözese Freiburg und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

Wird heute über das Verhältnis von Christentum und Grünen geredet, fällt oft das Stichwort von einer "Verbürgerlichung der Grünen". Die einstige "Anti-Parteien-Partei" interpretiert die Annäherung hingegen lieber als Öffnung der Kirchen "für die gesellschaftliche Wirklichkeit". Doch so neu die Entwicklung auch erscheinen mag, sie ist es nicht. "Es war nie so, dass die Partei insgesamt antiklerikal war", weiß Uwe Kranenpohl, Professor für Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Tatsächlich gab es bereits 1984 genügend bekennende Christen unter den Grünen, um sich zu einer eigenen Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) zusammen zu finden.

Friedrich Battenberg, seit 1997 an der Spitze der BAG, erinnert sich: "Am Anfang gab es eine gewisse Reserve innerhalb der grünen Partei, man war gegenüber der BAG kritisch eingestellt." Trotzdem wollte der studierte Jurist und Historiker mit den Grünen und nicht etwa mit der CDU christliche Politik gestalten: "Die CDU ist stärker hierarchisch strukturiert, Vorgaben kommen von der Spitze her, das macht innerparteiliche Diskussionen sehr viel schwieriger."

Doch auch die Kirchen machten es ihren grünen Schäfchen nicht leicht: "Von den Kirchen wurden wir damals sehr misstrauisch betrachtet", blickte Sybille Mattfeldt-Kloth, Co-Sprecherin der BAG, im Jahr 2009 zurück, "Das ist heute nicht mehr so." Tatsächlich galten die ersten grünen Christen vielen Konservativen als "Revoluzzer in den eigenen Reihen" - weil sie sich kritisch mit der Lehre ihrer Amtskirchen auseinander setzten.

Gemeinsam gegen die PID

Unter den Katholiken waren es vor allem Vertreter der linken Strömung wie Winfried Kretschmann und Christa Nickels, die früh mit der jungen Partei liebäugelten und die Schnittmengen betonten, die sich auf den Themenfeldern Friedenspolitik und Umweltschutz ergaben. "Es fällt nicht schwer, aus dem Parteiprogramm der Grünen die Gemeinsamkeiten zum christlichen Menschenbild herauszulesen", sagt Uwe Kranenpohl.

Auf einen markigen Nenner brachte es Ulrike Gote, kirchenpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen in Bayern: "Wir haben das C zwar nicht im Namen, aber wir haben es im Programm", erklärte sie im Mai 2010 der "Süddeutschen Zeitung". Kranenpohl kann diese Einschätzung nur bestätigen: "Manche Positionen bei den Grünen sind so christlich, die stellen sogar die CSU in den Schatten."

Beispiel Präimplantationsdiagnostik (PID): "Zum Thema Embryonenschutz hat die katholische Kirche keinen besseren Verbündeten als die Grünen", ist sich der Politikwissenschaftler sicher. 80 Prozent der Grünen-Fraktion hatte 2011 eine Aufweichung der bis dato geltenden Regelung abgelehnt, ein Viertel für ein gänzliches Verbot der Forschung mit embryonalen Stammzellen plädiert.

"CDU und CSU haben sich dagegen auf ein 'Sowohl-als-auch'* zurückgezogen und eine Reihe von Abgeordneten sogar Positionen eingenommen, die noch forschungsfreundlicher waren", sagt Kranenpohl. Es sei längst nicht mehr so, dass die C-Parteien "den katholischen Rasen" einfach abgrasen könnten. Bei vielen CDU-Politikern wisse die Öffentlichkeit gar nicht mehr, ob sie nun katholisch, protestantisch oder etwas anderes seien.

Hinzu komme, dass die christlichen Milieus in Deutschland insgesamt dramatisch schrumpfen – was es für große Parteien immer unattraktiver mache, um diese Klientel zu buhlen. "Würde mich eine Partei fragen, ob es sich lohnt, Politik für 'Hardcore-Katholiken' zu machen, würde ich 'nein' sagen!" so Kranenpohl.

Auch Friedrich Battenberg, selbst evangelisch, will nicht davon sprechen, dass "der Einfluss der Christen" in der Partei merklich gestiegen sei. Geändert habe sich allerdings eins: der Umgang von kirchennahen und kirchenfernen Parteimitgliedern. "Es wird offener diskutiert als zu Zeiten, als man noch um jede Wählerstimme bangen musste – auch auf die Gefahr hin, man könnte jemanden verprellen."

Katrin Göring-Eckardt ist Grünen-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2013.
Bild: ©dpa/Maurizio Gambarini

Katrin Göring-Eckardt ist Grünen-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2013.

"Mehr Trennendes als Verbindendes"

Also alles eitel Sonnenschein? Angesichts des Papstbesuchs in Deutschland befand Nordrhein-Westfalens grüner Umweltminister Remmel, dass der Pontifex "noch längst kein Grüner" sei. Zwischen seiner Partei und der katholischen Kirche liege noch immer "mehr Trennendes als Verbindendes", stellte er in „Christ __amp__ Welt“ fest. "Auch Demokratie, Geschlechtergerechtigkeit, Selbstbestimmung und Toleranz gegenüber Andersdenkenden sind elementare grüne Grundwerte, die noch immer vor den verschlossenen Türen des Vatikans stehen und um Einlass bitten."

Das generelle Verhältnis zwischen Kirche und Staat bleibt auch im 21. Jahrhundert größtes Streitthema zwischen Grünen und christlichen Kirchen, aber auch unter den grünen Christen selbst: Darf der Bischof sein Gehalt vom Staat beziehen? Braucht die Kirche ein Mitspracherecht bei der Besetzung universitärer Lehrstühle? Nicht zu vergessen der Dauerbrenner Kirchensteuer: "Selbst Christen unter den Grünen sind der Meinung, dass man durchaus positiv das Christentum vertreten und gleichzeitig einer Zwangsabgabe kritisch gegenüber stehen kann", sagt Kranenpohl.

Auch beim Thema Arbeitsrecht liegen die grünen Christen mit ihren Amtskirchen über Kreuz, da sie eine Abschaffung der Sonderregelung in kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen fordern. Für alle Mitarbeiter, die nicht direkt im Bereich der Verkündigung arbeiten, sollen die allgemeinen Arbeits-, Sozial- und Tarifverträge samt Streikrecht gelten. "Als wir mit den Positionen an die Öffentlichkeit gegangen sind, gab es sofort pikierte Anrufe - von der katholischen und der evangelischen Kirche", erinnert sich Battenberg.

Das Verhältnis von Christen und Grünen, es bleibt kompliziert. Gerade, wenn es um Grundsatzfragen geht, wird wohl auch in Zukunft der einen oder anderen Seite ein mitunter beleidigendes Wort entfahren. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass beide Gruppen dort, wo gemeinsame Schnittmengen liegen, weiter und enger zusammen arbeiten werden.

Von Jens Wiesner