Auch das Erzbistum Freiburg sieht sich zu radikalen Reformen gezwungen
Erzbischof Stephan Burger ist ernst. Er steht vor einem Kreuz, im Gebet versunken, fasst sich, dreht sich um – und redet direkt in die Kamera zu seinen Gläubigen. Am Anfang klingt die Videobotschaft wenig aufregend: Burger kündigt die "diözesane Pastoralkonferenz" an, die Mitte Februar stattfindet. Vor dem Angesicht vieler gesellschaftlicher Veränderungen will sich die südwestdeutsche Erzdiözese neu aufstellen. "Kirchenentwicklung 2030" heißt das Projekt, schon zuvor hatte er es angekündigt, zuletzt bei seinem traditionellen Neujahrsempfang.
Zunächst schildert der Erzbischof die Lage der Kirche: Individualisierungsdruck, Vielfalt der Lebenswelten, das Ende religiöser Selbstverständlichkeiten, Leistungsdruck und Digitalisierung, steigendes Bildungsniveau und Veränderung der Geschlechterverhältnisse, Migration und Globalisierung: All das prägt die Kirche nicht erst in Zukunft, sondern schon jetzt – und all das führt dazu, dass alte volkskirchliche Strukturen nicht mehr tragen.
Es dauert gut sechs Minuten, bis der Erzbischof konkret wird – sehr konkret. Um der Zukunft willen müsse man Veränderungen vornehmen: "Nach allen Daten und Prognosen, die uns zur Verfügung stehen, bedeutet das auch strukturelle Veränderungen" – und dann die Zahl: "Wir werden überlegen, wie wir die Zahl der Seelsorgeeinheiten und der Pfarreien auf etwa 40 reduzieren können." Nicht ob. Wie.
Breiter Diskussionsprozess geplant
Zur Beratung dieser Umbrüche plant das Erzbistum einen umfassenden Konsultationsprozess, der jetzt beginnt. Zunächst beraten die Mitglieder der diözesanen Räte, die Kirchensteuervertretung, die Dekane und die Leitungsebene des Erzbischöflichen Ordinariats bei einer Pastoralkonferenz. Zur Vorbereitung wurden Arbeitshilfen an alle Mitglieder verschickt, die Grundzüge der Diskussionsvorlage erscheinen als Sonderbeilage im Konradsblatt, der Kirchenzeitung des Erzbistums. Das vollständige Dokument ist neben der Videobotschaft auf einer eigens eingerichteten Webseite einsehbar.
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Die Arbeitshilfe wurde am Freitag der vergangenen Woche per Post verschickt – vorher wussten nur wenige Eingeweihte von den konkreten Plänen. So zeigt sich auch die Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken, Martina Kastner, im Gespräch mit katholisch.de überrascht von dem Papier. Ihr Gremium hatte schon im November einen Ausschuss zur Kirchenentwicklung eingerichtet. Getagt hat der noch nicht: Auch die diözesane Vertretung der Laien hatte nicht mehr Informationen als die Öffentlichkeit, niemand aus dem Kreis wurde in die Vorbereitung einbezogen.
Wenig Zeit für Beratung, viel Zeit zum Ärger aufstauen
Einen Plan haben die Laienvertreter daher auch noch nicht. "Ich bin ratlos, wie es da jetzt weitergeht", sagt sie. Sie rechnet aber damit, dass die gewählte Kommunikationsstrategie zu einiger Aufregung führen wird; die Zahl "40" werde die Diskussion beherrschen, sobald sie öffentlich werde – und der Vorlauf von zwei Wochen vor der Pastoralkonferenz sei einerseits zu kurz für die vielen Ehrenamtlichen, die daran teilnehmen. 35 Seiten des Arbeitsinstruments sind bis dahin durchzuarbeiten und mit der eigenen Basis in den Gemeinden zu beraten, es geht um theologische und rechtliche Fragen, um strukturelle und strategische Entscheidungen mit Bedeutung für das Leben der ganzen Erzdiözese. Andererseits sind die zwei Wochen aber lang genug, um viel Aufregung zu schaffen. "Bis man zur Sitzung kommt, haben die Leute dann schon den Hals voll Ärger", sagt Kastner.
Dabei soll die Beteiligung eigentlich breit und offen angelegt sein; nach den diözesanen Räten werden die verschiedenen Gremien und Einrichtungen auf allen Ebenen einbezogen. Unklar ist dagegen, wie grundsätzlich überhaupt noch diskutiert werden kann. Denn einiges scheint schon jetzt festzustehen: Angesichts des Priestermangels, der sinkenden Zahl der Katholiken und dem damit erwarteten Einbruch bei der Kirchensteuer sind für die Bistumsleitung einschneidende Veränderungen alternativlos.
Linktipp: Priester, Laien, Teams: Wer leitet die Pfarreien?
Die eine Diözese setzt bei Pfarreileitungen nur auf geweihtes Personal, die andere vermehrt auf Laien. Dabei gleicht kaum ein Modell dem anderen. Katholisch.de hat in allen 27 Bistümern nachgefragt. (Artikel vom Juni 2018)Wie die Videobotschaft des Erzbischofs ist auch die Arbeitshilfe klar in dem, was sie als Ziel setzt. Es werden Prämissen ausgegeben, unter denen die Diskussion stehen soll. "Die Zahl der Kirchengemeinden wird reduziert" ist die oberste, die weiteren leiten sich davon ab: Das Neben- und Ineinander von kirchenrechtlicher Pfarrei und staatskirchenrechtlicher Gemeindekörperschaft wird beendet und in einer einheitlichen Struktur zusammengefasst, jede dieser unter dem Arbeitstitel "Pfarrei (neu)" laufenden Körperschaften wird ein "Pastorales Zentrum" mit einer noch zu definierenden Aufgabenbeschreibung haben.
So viele Pfarreien, wie es früher Dekanate gab
Zurzeit gibt es in Freiburg noch 1057 Pfarreien, die bis 2010 in Seelsorgeeinheiten zusammengeschlossen wurden. 2015 wurden die ursprünglich über 300 Seelsorgeeinheiten noch einmal vergrößert. Heute gibt es 224 dieser Zusammenschlüsse von Pfarreien, fast sechsmal mehr als für die Zukunft geplant. Diese Dimensionen führen auch zu Anpassungen auf der mittleren Ebene: Aktuell ist die Erzdiözese in 26 Dekanate gegliedert. Zuletzt wurde dieser Zuschnitt 2008 umstrukturiert: Zuvor gab es 39 Dekanate – etwa so viele, wie es künftig Pfarreien geben soll.
Offenkundig will Erzbischof Burger nicht wie sein Vorgänger alle paar Jahre schrittweise ein wenig umstrukturieren – Veränderungen, die jedes Mal gerade erst entstandene Kooperationen und Abläufe in Frage stellten. Stattdessen kommt nun ein großer Schlag, der zukunftsfest sein soll. "Dieser tiefe Einschnitt ist notwendig, wenn wir nicht in wenigen Jahren wieder von vorn beginnen wollen", sagt er in seiner Botschaft.
Netzwerk mit vielen Knotenpunkten
Was künftig als "Pfarrei (neu)" errichtet werden soll, hat nur noch wenig mit dem ursprünglichen Konzept einer Pfarrei pro Dorf zu tun, das noch in vielen Köpfen ist. Die neuen Pfarreien sollen eher ein Verwaltungszentrum sein: "Die Pfarrei ist künftig als ein geografische[r] Raum zu verstehen, in dessen Gebiet Pastoral und Verwaltung koordiniert und organisiert wird." Ein Pfarrer leitet die neuen Pfarreien, vertritt sie nach innen und außen, ist Dienstvorgesetzter der Angestellten und steht den Verwaltungsgremien vor. Ihm zur Seite sollen hauptberufliche Geschäftsführungen stehen.
Die neuen Pfarreien werden als "Teil eines Netzwerkes mit vielen unterschiedlichen Knotenpunkten" verstanden. Dazu gehören "Gemeinschaften vor Ort", in denen auch Hauptberufliche oder Ehrenamtliche gewisse Leitungsfunktionen übernehmen können. Zwischen den Zeilen lässt sich herauslesen, dass an eine Gemeindeleitung durch Laien nicht gedacht ist, wie sie vom Kirchenrecht bei vakanten Pfarreien mit Einschränkungen möglich ist und im Nachbarbistum Rottenburg-Stuttgart schon praktiziert wird: Die niedrige Zahl von 40 hänge mit der internen Prognose der für derartige Leitungsämter geeigneten Priester zusammen, hört man aus Bistumskreisen.
Drohen Trierer Verhältnisse?
Martina Kastner ist von der feinen Unterscheidung zwischen der kirchenrechtlichen Struktur "Pfarrei" und dem Leben in "Gemeinschaften vor Ort" nicht überzeugt. "Egal wie man es macht, die Leute hängen an ihren Kirchtürmen." Wie unpopulär solche radikalen Pfarreireformen sind, die eigentlich gar nicht radikal sein wollen, hat man im Bistum Trier gesehen, wo die bisher radikalste Pfarreireform Deutschlands zu Protesten, Demonstrationen und viel Aufruhr in den Gemeinden gesorgt hat – und das obwohl die Reform durch eine Diözesansynode mit breiter Beteiligung beschlossen wurde. Die Dimensionen sind vergleichbar. Trier hat etwa 1,3 Millionen Katholiken, Freiburg gut 1,8 Millionen. In Trier wurden aus 900 Pfarreien in 172 Pfarreigemeinschaften 35 "Pfarreien der Zukunft".
Dort aber konnte noch eine Synode die Grundzüge entwerfen. In Freiburg dagegen geht es bei der Beteiligung jetzt anscheinend nur noch darum, die Umsetzung der Vorgabe von um die 40 Pfarreien zu besprechen. Die Diözesanratsvorsitzende rechnet daher mit ähnlichem Unmut wie in Trier. "Die Leute interessiert es doch nicht, ob das eine rechtliche oder pastorale Größe ist. Die hören nur '40 Pfarreien'." Im Freiburger Ordinariat sieht man das anscheinend als weniger dramatisch an. Eine Pressemitteilung dazu gebe es erst kurz vor der Pastoralkonferenz in zwei Wochen, heißt es aus der Pressestelle.