Theologe und Historiker Martin Lätzel über die katholische Kirche im Ersten Weltkrieg

Auch die Kirche schrie "Hurra"

Veröffentlicht am 22.01.2014 um 00:00 Uhr – Von Christoph Meurer – Lesedauer: 
Geschichte

Bonn ‐ Die anfängliche Begeisterung für den Krieg machte 1914 auch vor den deutschen Katholiken nicht halt. Für den Theologen und Historiker Martin Lätzel hatte das aber noch mehr Gründe als nur den nationalen Imperialismus. Im Interview spricht er zudem über die Rolle des Papstes während des Ersten Weltkrieges.

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Frage: Herr Lätzel, auch deutsche Katholiken sind 1914 mit großem "Hurra" in den Krieg gezogen. Warum?

Lätzel: Das "Hurra" betraf nicht nur die Katholiken. Das ging durch ganz Deutschland. Die Menschen haben deutsch-national gefühlt, egal welche Konfession sie hatten. Bei den Katholiken kam allerdings die Erfahrung des Kulturkampfes [der Kampf Preußens bzw. des Deutschen Reiches gegen die katholische Kirche Anm. d. Red.] dazu, der nur ein paar Jahrzehnte zurücklag. Man fühlte sich immer noch in die Ecke gestellt, dass man kein richtiger Deutscher sei, weil man dem Papst als einer fremden Macht anhinge. Jetzt konnten die deutschen Katholiken ihre Loyalität zum protestantischen Kaiser zeigen.

Frage: Der Krieg wurde also von den Katholiken als Chance einer gesellschaftspolitischen Anerkennung im Reich angesehen?

Lätzel: Das ist das eine. Das andere ist der Kontext der damaligen Zeit. Die Katholiken haben so gedacht wie alle damals. Friede war kein Wert an sich. Gerade die Bischöfe, die teilweise noch Fürstbischöfe waren, haben aufgrund des katholischen Denkens monarchisch gedacht. Das führte zur Akzeptanz einer hierarchischen Autorität wie der des Kaisers und der Könige in den einzelnen Ländern des Reiches.

Frage: Ein besondere Figur scheint Michael von Faulhaber – 1910 bis 1917 Bischof von Speyer, danach Erzbischof von München und Freising – gewesen zu sein. Stimmt es, dass er am liebsten selbst in den Krieg gezogen wäre?

Lätzel: Das ist so aus den Quellen herauszulesen. Faulhaber war selbst Soldat gewesen, und das Soldatische hatte er nie abgelegt. Man kann natürlich spekulieren, ob er das ernst gemeint hat. Aber in der Tat ist er zu Truppenbesuchen und Gottesdiensten an die Front gefahren.

Das Foto wurde am 1.8.1932 aufgenommen.
Bild: ©picture alliance / Imagno/Austrian Archives (S)

Der Münchner Erzbischof und Kardinal Michael Faulhaber.

Frage: Gab es damals so etwas wie eine Kriegstheologie?

Lätzel: So etwas hat es gegeben. In Feldpredigten oder Hirtenbriefen wurde der Krieg nicht nur als gerechte Sache angesehen, sondern als im Sinne Gottes ausgelegt. Zum Beispiel wurde gesagt, dass Frankreich durch den Laizismus verdorben sei und es jetzt eine Chance gebe, das Christentum wieder ins Land zu tragen. Es gibt auch Feldpostbriefe, in denen berichtet wird, man habe dafür gesorgt, dass in einem französischen Ort endlich wieder eine Fronleichnamsprozession stattfinden konnte.

Frage: War die katholische Kriegsbegeisterung ein rein deutsches Phänomen oder gab es ähnliche Tendenzen auch in anderen Ländern?

Lätzel: Diese Begeisterung gab es auch in anderen Ländern. In meinem Buch frage ich mich deshalb mit einer gewissen Empörung auch, warum Katholiken das so mitgemacht haben. Eigentlich hätten sie einer Katholizität verpflichtet sein müssen, die sie mit Franzosen oder Belgiern verbunden hätte. Das ist ja auch das, worauf der Papst abzielte: dass katholisch sein etwas Supranationales bedeutet.

Frage: Wie sah es denn mit pazifistischen Initiativen seitens der Kirche aus?

Lätzel: Die hat es gegeben – auch in Deutschland. Allerdings waren das Einzelmeinungen, die sich auf der einen Seite nicht haben durchsetzen können oder auf der anderen Seiten einer gewissen Entwicklung entsprachen. Der "Hurra-Patriotismus" von 1914, der ja in der heutigen Geschichtsschreibung stark diskutiert wird, ließ ziemlich schnell nach. Spätestens in den Schützengräben von Verdun merkte man, wie viele Opfer dieser Krieg forderte. In der zweiten Kriegshälfte wurden Kirche und Gesellschaft immer kritischer. Das sieht man gut an einer Figur wie Matthias Erzberger. Als katholischer Zentrumspolitiker war auch er zunächst vom Krieg begeistert, im Kontakt mit dem Vatikan stehend schwenkte er jedoch zunehmend auf einen kritischen Kurs ein. Er sah unter anderem, wie sich der Papst um den Frieden bemühte. Schließlich hat Erzberger als katholischer Politiker im Wald von Compiègne die Kapitulationsurkunde für das Deutsche Reich mit unterzeichnet.

Martin Lätzel ist promovierter Theologe und Publizist. Seit 2013 ist er Referatsleiter für Kulturentwicklung im Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein.
Bild: ©Verlag Friedrich Pustet

Martin Lätzel ist promovierter Theologe und Publizist. Seit 2013 ist er Referatsleiter für Kulturentwicklung im Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein.

Frage: Welche Rolle spielte Papst Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg? Wurde er seinem Beinamen "Friedenspapst" gerecht?

Lätzel: Die Rolle von Papst Benedikt XV. ist bisher gar nicht genug gewürdigt worden. Dabei habe ich sogar Literatur gefunden, in der er als "Pazifist" bezeichnet wird. Aufgrund seiner Bemühungen um Frieden und humanitäre Hilfen während des Ersten Weltkriegs steht noch heute in einem Istanbuler Stadtteil ein Denkmal für ihn.

Frage: Was hat der Papst denn konkret getan? Den Krieg beenden konnte er ja nicht…

Lätzel: Auf diplomatischen Wegen ist er auf der ganzen Linie gescheitert. Allerdings hat er den Aufbau eines Netzwerks humanitärer Hilfen erreicht, um insbesondere die Kriegsgefangen zu unterstützen. So war beispielsweise ein Ordensmann aus der Schweiz in Europa unterwegs, um die Versorgung der Gefangenen mit Nahrung und Medizin, aber auch den Austausch von Kriegsgefangenen zu befördern. Auch hat der Papst bei der Erhaltung von Kulturgut vermittelt – etwa bei dem Wunsch der französischen Regierung, dass die Kathedrale von Reims nicht zerstört wird.

Frage: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass das Handeln der Kirche im Ersten Weltkrieg Entwicklungen in Gang setzte, die schließlich im Zweiten Vatikanischen Konzil mündeten. Können Sie das näher erläutern?

Lätzel: Meine These mag ein bisschen steil sein, ich glaube aber, dass sich ausgehend vom Kulturkampf ein Spannungsbogen feststellen lässt. Dieser hatte die Katholiken in Frontstellung zum Hohenzollernreich gebracht, aber auch zusammengeschweißt. Das zeigte sich beispielsweise in der Entstehung des Verbandskatholizismus und der Zentrumspartei. Der Erste Weltkrieg hatte dann die Katholiken auf die Seite des Reiches gestellt, aber auch zum Zusammenbruch der herrschenden Ordnung in Deutschland geführt. Für viele Katholiken, die die Struktur der Kirche in Beziehung zum monarchischen System gesetzt hatten, war das ein Katalysator. Parallel zu den gesellschaftlichen Entwicklungen stellte man die Hierarchie der Kirche infrage. Es entstanden Bewegungen, die stark von einem neuen Selbstbewusstsein der Laien geprägt waren. Dazu gehören zum Beispiel die Jugendverbände oder liturgische Bewegungen, die die Laien vielmehr in den Mittelpunkt der Kirche stellten. Das sind von Deutschland ausgehende Entwicklungen, die in das Zweite Vatikanum gemündet sind.

Von Christoph Meurer