Bischöfe wollen "hören, verstehen, Konsequenzen ziehen"
Auf der diesjährigen Herbstvollversammlung wollen die deutschen Bischöfe erste Konsequenzen aus der von ihnen in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie ziehen. Das sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx am Montag zum Auftakt in Fulda. Die Studie mache "die ganze Bandbreite und Tiefe der Herausforderung" in Bezug auf den Missbrauch "deutlich sichtbar".
"Hören, verstehen, Konsequenzen ziehen" – diesen Dreischritt wollen sich die Bischöfe bei ihrem Treffen in Fulda laut Marx zur Aufgabe machen. Mit der Studie stehe die Kirche an einem Wendepunkt, wie sie mit dem Kampf gegen Missbrauch, Prävention, Opfern und "ihrer eigenen Zukunft" umgehe. Das sei das Empfinden vieler in der Kirche, auch des Heiligen Vaters. Dabei gehe es auch um Strukturen.
Nicht überall wird genug gegen Missbrauch getan
Die Schritte, die die Kirche seit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals 2010 gegangen sei, seien richtig, aber nicht tief genug, so der Kardinal. "Die Forscher sagen uns: 'Ihr seid erste Schritte gegangen, aber es passiert nicht überall mit der gleichen Wucht und Intensität.'" Die Kirche müsse hinkommen zu einer "Kultur der Achtsamkeit". Marx wolle als Vorsitzender der Bischofskonferenz anregen, gemeinsame Konsequenzen zu ziehen – umsetzen müsste die Bistümer die einzelnen Maßnahmen aber letztendlich selbst.
Angesprochen auf die Stimmung in der Bischofskonferenz nach dem Streit über den Umgang mit Wiederverheirateten Geschiedenen sagte Marx, bei der Vollversammlung gehe es nicht "um Stimmungen und persönliche Befindlichkeiten, sondern um die Zukunft der Kirche". Viele Menschen glaubten der Kirche nicht, dass sie es ernst meine mit dem Kampf gegen den Missbrauch. "Da können wir nicht nur sagen, wir bedauern das und dann weiter machen". Es müssten Konsequenzen gezogen werden.
Möglicherweise würden der aktuellen Studie weitere Studien auf Bistumsebene folgen, so Marx. Das Erzbistum Köln hatte am Wochenende eine eigene Aufarbeitung angekündigt. Die Bistümer Hildesheim und München und Freising hatten entsprechende Studien schon vorher in Auftrag gegeben.
Weitere Stichworte, mit denen sich die Kirche nun auseinandersetzen müsse, sei die Frage nach einer systemischen Komponente des Missbrauchs, so Marx. Schon 2010 sei zu spüren gewesen, dass es nicht nur um Einzelfälle gehe. Dieser Eindruck habe sich nun verfestigt, sagte er. Weiter müsse die Kirche gegen Machtmissbrauch angehen und die Präventionsarbeit weiter stärken. Die Kirche müsse bereit sein, "wirklich von den Opfern her denken und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen".
Die vielfach geäußerte Kritik, die Missbrauchsstudie habe eine Schwäche, da sie nicht unabhängig sei, kann Marx nicht nachvollziehen. Dadurch würde die Arbeit der Forscher "desavouiert". Unter anderem der Betroffenenverband "Eckiger Tisch" kritisiert an der Studie, eine Organisation von Tätern könne sich nicht selbst aufarbeiten. "Wir fordern eine unabhängige, staatliche Untersuchungs- und Aufarbeitungskommission", sagte Verbandssprecher Matthias Katsch am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Die Ergebnisse seien erschütternd, so Katsch, der die Aufdeckung des Missbrauchsskandals am Berliner Canisius-Kolleg im Jahr 2010 mit ins Rollen gebracht hatte. Allerdings erfahre man beispielsweise nicht die Namen der Täter. "Es werden auch keine verantwortlichen Bischöfe genannt, die das System aus sexuellen Übergriffen über Jahrzehnte gedeckt und perfektioniert haben." Das tatsächliche Ausmaß des Missbrauchs-Systems innerhalb der Kirche habe in der Studie gar nicht abgebildet werden können.
Ab Dienstag Hotline für Betroffene geschaltet
Die wichtigsten Zahlen waren durch verschiedene Medienberichte schon im Vorhinein bekannt geworden. Nach den ausgewerteten gut 38.000 Akten gab es in den deutschen Diözesen im Zeitraum von 1946 bis 2014 mindestens 3677 Betroffene von sexuellen Übergriffen. Die Taten sollen mindesten 1670 Beschuldigte verübt haben, vor allem Priester. Erstellt wurde die Studie von einem Forschungskonsortium unter Leitung des Mannheimer Psychiaters Harald Dreßing. Außerdem sind das Kriminologische Institut der Universität Heidelberg, das dortige Institut für Gerontologie sowie der Lehrstuhl für Kriminologie der Universität Gießen beteiligt.
Eine erste Konsequenz aus der Studie haben die Bischöfe bereits angekündigt: Ab diesem Dienstag schalten sie eine Hotline für Betroffene von sexuellem Missbrauch frei. Sie ist unter der Nummer 0800/0005640 ab 11 Uhr erreichbar. Bis einschließlich diesen Freitag ist sie zwischen 14 und 18 Uhr dauerhaft besetzt. Danach rufen Berater Betroffene zurück, wenn diese das wünschen.
Neben dem Missbrauchsskandal wollen die Bischöfe bei ihrer Herbstvollversammlung auch über die Jugendsynode im Oktober in Rom und die Umsetzung der Papstenzyklika Laudato Si sprechen. Die deutsche Bischofskonferenz trifft sich traditionell in jedem Herbst zu ihrer Vollversammlung in Fulda. Dort ist der heilige Bonifatius begraben. Er gilt als der Apostel der Deutschen, der im 8. Jahrhundert das Christentum nach Germanien brachte. (gho)