Der Geburtstag der Kirche
Manche Theologen der frühen Kirche verlegen die Geburtsstunde der Kirche auf den Karfreitag: Die entstehende Kirche, die in Maria und Johannes als Nukleus unter dem Kreuz steht, empfängt ihr Leben aus dem Wasser und dem Blut des Gekreuzigten, das aus seiner Seitenwunde auf sie herabfließt (Joh 19,25-34). Sie erkennen in ihnen die Taufe und Eucharistie als die beiden Grundsakramente der Kirche. Und an Ostern kommt dann nach der Schockstarre des Karfreitags neue Bewegung in die Jünger. Trotzdem fehlt der Kirche auch nach der Auferstehung ihres Herrn noch etwas ganz Entscheidendes. Denn zwischen dem Missionsauftrag Jesu, die Frohe Botschaft in die ganze Welt zu tragen (Mk 16,15), und dem ängstlichen Rückzug der Jünger hinter verschlossene Türen (Joh 20,19), liegen Welten.
Was der Kirche an Ostern noch fehlt, empfängt sie an Pfingsten: den Geist Gottes als Lebendigmacher ("vivicantem"), als innere Dynamik und äußere Power für ein kraftvolles Leben im Dienste der Verkündigung. So wie der aus dem Ackerboden geformte, leblose Adam erst durch den ihm eingehauchten Lebensodem Gottes zum belebten Menschen wird (Gen 2,7), so braucht die leblose Kirche des Anfangs erst noch die Lebenskraft Gottes, die ihr durch die Geistausgießung an Pfingsten geschenkt wird.
Die Kirche braucht die Antriebskraft den Heiligen Geist
So gesehen ist nicht Karfreitag und Ostern, sondern Pfingsten die eigentliche Geburtsstunde der Kirche. Erst nach der Geistausgießung an Pfingsten kann die Kirche sein, wozu sie der Auferstandene berufen hat, nämlich missionarische Kirche. Für ihr weltweites missionarisches Wirken braucht sie als Antriebskraft den Heiligen Geist. Ohne Heiligen Geist wäre die Kirche wie ein Auto ohne Motor, wie ein Tag ohne Sonne, wie ein Vogel ohne Flügel, wie eine Blume ohne Blüten, wie ein Leib ohne Seele.
Eine der ältesten Abhandlungen über den Heiligen Geist stammt von Didymus, der um 310 in Alexandrien geboren wurde und schon als Kind das Augenlicht verlor, so dass man ihn auch "Didymus, den Blinden" nannte. Er eignete sich durch das Hören der Heiligen Schrift und philosophischer Texte so viel Glaubenswissen an, dass ihn der Heilige Athanasius schon bald als Lehrer in seiner Katechetenschule einsetzte. Didymus gewann derart tiefe göttliche Einsichten, dass ihn seine Zeitgenossen schon bald nicht mehr "Didymus, der Blinde", sondern "Didymus, der Sehende" nannten. Das 4. Jahrhundert war das Jahrhundert, in dem die erste Verfolgungszeit der Kirche überwunden wurde und in dem sich der christliche Glaube durch die Konzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel (381) erstmals verbindlich und erkennbar artikulieren konnte.
Brennende Herzen, wache Sinne, helfende Hände
Die Schrift "De Spititu Sancto" ist ein wichtiges Zeugnis der frühchristlichen Auseinandersetzung mit den sogenannten Pneumatomachen, also mit denen, die die volle Gottheit des Heiligen Geistes leugneten. Ihnen gegenüber betont Didymus die Wesensgleichheit in der göttlichen Dreifaltigkeit, also die Einheit in der Dreiheit, und zwar nicht nur nach außen (nach ihrem Wirken), sondern auch nach innen (nach ihrem Wesen). Didymus schreibt: "Wir lassen uns nicht in die Irre führen von denen, die sagen, der Heilige Geist sei das Wirken, jedoch nicht die Wirklichkeit Gottes" (Nr. 97). Und: "Wie das von Paulus zum Vater hinzugefügte Wort 'Gott' und das zum Sohn hinzugefügte Wort 'Herr' weder dem Vater die Herrschaft noch dem Sohn die Gottheit wegnimmt, da aus demselben Grund der Vater 'Herr' und der Sohn 'Gott' ist, so wird auch der Heilige Geist 'Herr' genannt. Wenn er aber 'Herr' genannt wird, dann folgerichtig auch 'Gott'" (Nr. 131).
Das ist eine bestechend schlichte Erklärung der Gottheit des Gottesgeistes, der nicht nur eine abstrakte Gotteskraft, sondern der personale Gott selbst ist. Wenn wir uns an Pfingsten dem Wirken dieses Gottesgeistes öffnen und ihn um die Erneuerung unserer Tauf- und Firmgnaden bitten, dann kann er uns zu Menschen mit brennenden Herzen, wachen Sinnen, liebendem Gemüt und helfenden Händen machen.