Kolumne: Mein Religionsunterricht

Diaspora: Wo der Reli-Unterricht etwas für Exoten ist

Veröffentlicht am 21.12.2018 um 11:30 Uhr – Lesedauer: 

Dresden ‐ Religionsunterricht in einer Kleinstadt bei Dresden: Die Klasse umfasst nur fünf Schüler. Der Unterricht findet zu Tageszeiten statt, wenn die Heizung der Schule schon abgestellt ist. Und doch macht es Spaß, in diesem kleinen, verbündeten Kreis.

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Montag, 16:20 Uhr: Meine jahrgangsübergreifende Religionsgruppe aus den Klassen 9 und 10 hat es nach neun Schulstunden geschafft – und ich auch. Wenn man an einer staatlichen Schule im Osten Deutschlands katholische Religion unterrichtet, darf man über diese späten Randstunden fast noch froh sein. Während meines Referendariates in einer Kleinstadt bei Dresden lag der Grundkurs Katholische Religion sogar in der 10. und 11. Stunde.

Paradoxerweise denke ich sehr gern an diese Zeit zurück: Meine damaligen fünf (!!!) Schülerinnen und Schüler haben mir bewiesen, dass es auch um 17 Uhr noch möglich ist, über den Gottesbegriff nach Auschwitz, die großen Religionskritiker und Gottes Wirken in der Welt nachzudenken. Und das, während es draußen schon stockduster ist und drinnen das Klassenzimmer auszukühlen beginnt, weil die Heizung im Schulhaus bereits zum "regulären" Unterrichtsende um 15:30 Uhr abgedreht wurde.

Und so fühlt man sich als Katholischer Religionskurs immer ein bisschen als Exot, ein Gegen-den-Strom-Schwimmer, ein kleiner verbündeter Kreis, der sich in der Diaspora zusammenrauft und – das Beste daraus macht! Denn während die Religionsgruppen an den Gymnasien in christlicher Trägerschaft gut und gern 28 Mann stark sind, genießen meine Schüler eine Gruppengröße, in der es tatsächlich möglich ist, auf jeden Einzelnen einzugehen. Dass das für den Schüler anstrengend ist, weil er sich nicht zwischen 25 anderen verstecken kann, sondern permanent gefordert wird, steht außer Frage. Auch, dass der Lehrer in seiner Methodenwahl dezent eingeschränkt ist, weil die Grenzen zwischen Einzelarbeit, Partnerarbeit und Gruppenarbeit bei 5 Personen verschwimmen, es bei Podiumsdiskussionen keine Zuhörer gibt und Feedback und Applaus für ein Theaterstück nur vom Lehrer als Mono-Publikum kommt.

Möglichkeiten, die all das wettmachen

Aber dann ergeben sich wieder Möglichkeiten, die all das wettmachen: Durch mehrere Krankheitsfälle ist meine Gruppe spontan auf zwei Schüler geschrumpft. Ich entscheide mich notgedrungen, das Stundenthema "Apostelkonzil" auf nächste Woche zu vertagen. Stattdessen nutze ich die Zeit, um den vergangenen Unterrichtsstoff über Paulus‘ Damaskus-Erlebnis und die Streitfrage der ersten Christengemeinde in Antiochia über die Beschneidung zu wiederholen. Bei einer einzigen Wochenstunde Religion ist das ein seltener Luxus. Und siehe da: Meine zwei Schützlinge, die sich sonst sehr schwer tun, haben ein "Aha"-Effekt nach dem anderen, glänzen mit ungeahnter Reflexionsfähigkeit und spitzfindigen Querfragen und verlassen nach 45 Minuten angeregter Gesprächszeit den Raum mit den Worten "Frau Vogt, das war richtig cool heute!".

Natürlich geht einem bei so einem Satz das Herz auf, und doch bleibt ein Tropfen bitteren Effizienzdenkens zurück: zwei junge Leute erreicht, so viele nicht erreicht. Hätte man doch Ethik studieren sollen, um eine größere Schülerzahl unterrichten zu können? Ist es in einer Zeit, in der die wenigsten "christlichen" Kinder tatsächlich christlich sozialisiert sind und in der Toleranzdenken und die Erfahrung von wertvoller Vielfalt wichtiger denn je sind, wirklich sinnvoll, die Klassen in Ethik, evangelische und katholische Religion zu splitten? Wie war das mit der Ökumene?

Von Andrea Vogt

Linktipp: Kolumne "Mein Religionsunterricht"

Wie funktioniert Religionsunterricht heute? Genau dieser Frage geht die neue katholisch.de-Kolumne nach. Lehrer verschiedener Schulformen berichten darin ganz persönlich, wie sie ihren Unterricht gestalten, damit sie die Jugend von heute noch erreichen.