Zwischen Parteinahme und Vermittlung

Die Kirche gerät im Bürgerkrieg von Kamerun zwischen die Fronten

Veröffentlicht am 05.12.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Yaoundé ‐ Kamerun kommt nicht aus den Schlagzeilen: Gewalt, Hunger, Aufstände. Wie kann der aufflammende Bürgerkrieg in dem westafrikanischen Land noch beendet werden? Die Kirche versucht zu vermitteln – und muss einen schwierigen Spagat wagen.

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Die Kämpfe in Kamerun nehmen kein Ende. Die Kirche versucht zu vermitteln, gerät aber selbst zunehmend in den Strudel der Gewalt zwischen Rebellen und Militär. Am Samstag brach sogar eine Delegation des deutschen Bundestags nach Kamerun auf, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

Unbeachtet von der Weltöffentlichkeit braut sich in Kamerun ein Bürgerkrieg zusammen. Beinahe täglich gibt es Tote und Entführungen. Weite Teile Westkameruns sind außer Kontrolle, Schulen sind geschlossen, die humanitäre Lage spitzt sich zu. Hintergrund ist der Konflikt um die beiden englischsprachigen Regionen Nordwest und Südwest, in denen eine Vielzahl an Milizen für eine Abspaltung vom mehrheitlich französischsprachigen Kamerun kämpft. Sie wollen die unabhängige Republik 'Ambazonien' gründen. Schon lange fühlt sich die englischsprachige Bevölkerung von der französischsprachigen Regierung unterdrückt, fürchtet um den Erhalt der eigenen Sprache und Kultur. Anfangs, im November 2016, waren die Proteste noch friedlich, doch die gewaltsame Niederschlagung durch die Armee rief wiederum die Separatisten auf den Plan. Bislang kamen rund 400 Menschen bei den Kämpfen ums Leben. Allein 30.000 flohen nach Nigeria, innerhalb Kameruns sind laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen 230.000 Menschen auf der Flucht.

Schulen seit fast drei Jahren geschlossen

Weil die Rebellen einen zunehmenden Einfluss der Regierung auf ihre Kinder verhindern wollen, sind in weiten Teilen Westkameruns die Schulen seit fast drei Jahren geschlossen. Erst einmal raus aus dem Bildungssystem laufen die Kinder jedoch Gefahr, früh von Rebellen rekrutiert zu werden. Auch Kinderschwangerschaften werden zunehmend zum Problem. In der Hauptstadt von Nordwest, Bamenda, gehen die Kinder in ziviler Kleidung in die noch funktionierenden Schulen, um nicht aufzufallen. Die Schuluniformen werden erst im Schulgebäude angezogen.

Karte Kameruns
Bild: ©Zerophoto/Fotolia

Kamerun liegt im Westen Afrikas und hat etwa 25 Millionen Einwohner. 80 Prozent der Bevölkerung sprechen die Amtssprache Französisch, 20 Prozent die zweite Amtssprache Englisch. Die Teilung geht auf die Zuordnung der Verwaltungsdistrikte nach den Weltkriegen zurück.

Die Kirche steht hier sprichwörtlich zwischen den Fronten. Die Vermittlung zwischen Militär und Rebellen gestaltet sich als äußerst heikel, denn auf beiden Seiten ist das Misstrauen groß. Die Rebellen wollen sich von der Kirche nicht ausbremsen lassen bei ihrem Ziel, zügig die Unabhängigkeit zu erlangen. Die Regierung wiederum sieht die Kirche ebenfalls als Bedrohung – spätestens seit dem Memorandum der anglophonen Bischöfe an Staatspräsident Paul Biya im Dezember 2016. Darin analysierten sie die Ursachen des lange schwelenden Konflikts und versuchten, Lösungen aufzuzeigen. Zu den genannten Punkten gehören der Abzug der Regierungstruppen aus den englischsprachigen Regionen und Städten, das Unterlassen von willkürlicher Gewalt und Inhaftierungen sowie die Bereitschaft aller Seiten zu einem konstruktiven Dialog.

Kirche ruft zu Besonnenheit auf

Eine laute Stimme ist der emeritierte Erzbischof von Douala, Kardinal Christian Tumi. Der 88-Jährige stammt aus dem englischsprachigen Nordwesten, leitete mit Douala aber ein französischsprachiges Erzbistum. Er gilt als guter Kenner des Konflikts und als gut geeignet für eine Vermittlung. Eine von ihm berufene "Anglophone Generalkonferenz", die im November stattfinden und bei der auch zivilgesellschaftliche Akteure zu Wort kommen sollten, wurde von der Regierung jedoch vorerst untersagt.

Tumis Nachfolger, der französischsprachige Kardinal Samuel Kleda, verfolgt eine ähnliche Linie. Gemeinsam mit Vertretern der evangelischen Kirchen und den Muslimen des Landes rief er im August zu Besonnenheit und einem Ende der Gewalt auf. Doch als Vorsitzender der Nationalen Bischofskonferenz Kameruns (NECC) konnte Kleda die fünf Erzbischöfe mit den zu ihnen gehörenden Bistümern – vier davon französisch-, eines englischsprachig – noch nicht zu einer geschlossenen Erklärung bewegen. Nach Einschätzung der International Crisis Group in Brüssel ist die katholische Kirche eine der wenigen Institutionen in Kamerun, die in dem Konflikt zu Frieden und Versöhnung beitragen kann. Für eine Vermittlung sei es aber entscheidend, dass die Bischöfe geschlossen aufträten.

Papst Franziskus empfängt den Staatspräsidenten Kameruns, Paul Biya.
Bild: ©KNA

Franziskus empfängt den Staatspräsidenten Kameruns, Paul Biya – den Konflikt lösen konnte auch der Papst nicht.

Präsident Paul Biya, der im Oktober im Alter von 85 Jahren zu einer weiteren Amtszeit von sieben Jahren gewählt wurde, lehnte bislang Verhandlungen mit den Separatisten ab und lässt sie stattdessen mit harter Hand militärisch bekämpfen. Seit nunmehr 36 Jahren ist der Präsident an der Macht, doch die Unzufriedenheit im Land wächst. Über die Hälfte der Kameruner ist unter 20 Jahre alt, ein Viertel der insgesamt rund 25 Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Biya hingegen reist im Jahr mehrere Monate ins Ausland, nach Genf oder zu medizinischen Behandlungen nach Baden-Baden.

Immer wieder Geistliche unter den Opfern

Unterdessen eskalieren die Kämpfe in seinem Land – und immer wieder sind auch Geistliche unter den Opfern. Ende November etwa schossen Soldaten in der Diözese Memfe im Südwesten willkürlich aus einem fahrenden Auto, wodurch ein aus Kenia stammender Missionar vor seiner Kirche starb. Der Bischof der Diözese reagierte bestürzt: "Wir bitten flehentlich um ein Ende der Morde in unserer Diözese und den anglophonen Regionen Kameruns. Menschliches Leben ist immer weniger wert und wird leichtfertig weggeworfen – daraus wird ein regelrechter Sport."

Das Militär hat bei den englischsprachigen Kamerunern sein Vertrauen verspielt. Immer wieder kommt es zu Menschenrechtsverletzungen, Dörfer werden niedergebrannt und geplündert. Gleichzeitig entführen die Rebellen immer wieder Zivilisten: Im Nordwesten waren es Anfang November rund 80 Schüler, im Südwesten drei katholische Claretiner-Patres, die Nahrungsmittel in die Krisenregion bringen wollten. Beide Gruppen sind inzwischen wieder frei.  Der Fahrer der Geistlichen  befindet sich allerdings noch in der Gewalt der Entführer.

Panorama von Yaounde
Bild: ©Fotolia.com/ homocosmicos

Blick über die kamerunische Hauptstadt. Yaoundé gehört zum größeren französischsprachigen Teil des Landes.

Im Bistum Kumbo im Nordwesten haben die Rebellen Straßensperren errichtet. Wer dort vorbei will, muss bezahlen und seinen Pass vorzeigen – das Wappen von Kamerun wird dann herausgeschnitten. "Die Regierung hat diese Region nicht mehr unter Kontrolle", so die Einschätzung des Entwicklungspolitischen Beauftragten von Misereor in Berlin, Volker Riehl, der Ende November von einer Kamerunreise zurückgekehrt ist. Während die Hauptstadt von Nordwest, Bamenda, vom Militär schwer bewacht werde, sei es wenige Kilometer außerhalb der Stadt nicht mehr sicher. Jeden Morgen höre man Schüsse von Maschinengewehren.

Hungertote drohen

Wegen der Kämpfe und der Straßensperren kommen die Menschen nun nicht mehr auf ihre Felder, Märkte stehen still, die Versorgung wird knapp. Es gibt Befürchtungen, dass es bald auch erste Hungertote geben könnte. Die Menschen sind weitestgehend auf sich gestellt. Viele Entwicklungshelfer wurden aus Sicherheitsgründen abgezogen, internationale Hilfsorganisationen haben es zum Teil schwer, in die betroffenen Gebiete vorzudringen.

Das UN-Nothilfewerk OCHA will seine Hilfen vom Hauptsitz in Buea, der Hauptstadt von Südwest, nun auch auf den Nordwesten ausweiten. Misereor unterstützt in den anglophonen Distrikten sieben Projekte in den Diözesen Bamenda, Buea und Kumbo in Höhe von 1,6 Millionen Euro. Die Hilfen gelten auch den von der aktuellen Krise betroffenen Menschen. Das Bistum Limburg unterhält zudem seit mehr als 30 Jahren eine Partnerschaft mit dem Bistum Kumbo. Mithilfe von Caritas international unterstützt es Flüchtlinge in der Region. Das Hilfswerk wird bald weitere Nothilfen für zwei anglophone Diözesen bereitstellen.

Neue Caritas-Stiftung

Die Kirche Kameruns rief unterdessen Ende November eine neue Caritas-Stiftung ins Leben. "Wir erleben in diesem Jahr eine schwere humanitäre Krise", sagte der Erzbischof der Hauptstadt Yaoundé, Jean Mbarga, bei der Eröffnungsfeier der Stiftung. 58 Schulen seien zerstört worden und rund 3,3 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. "Wie können wir uns als Christen an der Wiederaufbauarbeit beteiligen, den betroffenen Familien helfen, die ihre Lieben verloren haben? Wie können wir helfen, Schulen und Krankenhäuser wiederaufzubauen, die verbrannt wurden?", fragt der Erzbischof. All das erfordere "unsere großzügige Hilfe".

International findet der Konflikt bisher nur wenig Beachtung. Den ehemaligen Kolonialmächten Deutschland, Frankreich und England werfen Menschenrechtler vor, sie würden tatenlos dabei zuschauen, wie Kamerun in Chaos und Gewalt versinke. Alle drei Staaten besäßen immer noch großen Einfluss in dem afrikanischen Land, betont die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). In dieser Woche ist eine Delegation des Unterausschusses Zivile Krisenprävention des Deutschen Bundestages in Kamerun unterwegs, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Die Abgeordneten plädieren darauf, Personen aus Politik, Kirche oder Zivilgesellschaft zu finden, die für die Vermittlung und die Begleitung eines Friedensprozesses geeignet sein könnten.

Von Claudia Zeisel