Ein Interview über Klerikalismus, Missbrauch und die Krise der Kirche

Drewermann: Bischof Wilmer soll sich nicht einschüchtern lassen

Veröffentlicht am 14.01.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Theologe Eugen Drewermann wurde als Priester suspendiert, verlor seine Predigt- und Lehrerlaubnis und trat schließlich aus der Kirche aus. Für den Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer ist er dennoch ein Prophet. Katholisch.de hat mit Drewermann darüber gesprochen.

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Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer berief sich erst kürzlich bei seinen Aussagen zum Missbrauchskandal auf Eugen Drewermann. Dessen dreiteiliges Werk "Strukturen des Bösen" sei aus heutiger Sicht ebenso prophetisch gewesen wie sein Buch "Kleriker. Psychogramm eines Ideals". Was sagt Drewermann selbst dazu? Katholisch.de hat ihn gefragt - und mit ihm auch über Klerikalismus und die Krise der Kirche gesprochen.

Frage: Herr Professor Drewermann, der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer hat Sie kürzlich als Propheten bezeichnet. Wie finden Sie das?

Eugen Drewermann: Ich kann mit so einem überhöhten Begriff wenig anfangen. Ich kenne Menschen, die für die Wahrheit in den Tod gegangen sind. Ob ich das täte, weiß ich nicht. Ich würde mich auf keinen Fall als Prophet sehen.

Frage: In Ihren Büchern schreiben Sie, dass der Klerikalismus das Einfallstor für Missbrauch wäre? Bischof Wilmer sieht das ähnlich.

Drewermann: Priester sollten eine Brücke zwischen Himmel und Erde sein, stattdessen begehen sie schlimme Verbrechen. Die autoritäre Rede von oben nach unten funktioniert in der Kirche nicht mehr. Die Heiligkeit des Klerikerstandes ist vorbei. Wenn ein Bischof diese Überlegungen ernst nimmt, dann hat das weitereichende Konsequenzen. Bischof Wilmer wird es nicht leicht haben, wenn er sich mit kirchlichen Strukturen anlegt. Einige seiner Mitbrüder fallen schon über ihn her. Aber damit wird er leben können.

Frage: Ermutigen Sie ihn?

Drewermann: Ja, absolut. Ich nehme an, er hat intensiv darüber nachgedacht und das Ganze nicht nur aus einer Laune heraus gesagt. Er ist ein ringender und glaubwürdiger Mann und er ist noch jung. Er sollte weiterhin offen sagen, was er denkt und was er sieht. Und er sollte sich nichts von anderen Bischöfen ausreden oder sich gar von ihnen einschüchtern lassen.

Ein Kandidat liegt während seiner Priesterweihe auf dem Boden.
Bild: ©dpa/Picture Alliance/epa ansa Danilo Schiavella

Ein Kandidat bei der "Prostratio" während der Allerheiligenlitanei zur Priesterweihe.

Frage: Was müsste sich in der Priesterausbildung ändern, um das Vertrauen in den Klerikerstand wieder her zu stellen?

Drewermann: Einiges. Die Priesterzahlen sinken und damit auch die Ansprüche an die, die geweiht werden. Die Kirche fordert sexuelle Enthaltsamkeit als Berufsideal von Geistlichen. Schon die Protestanten haben dieses Ideal heftig kritisiert. Nur die katholische Kirche meint, es sich weiterhin leisten zu können, Triebe und Neigungen unter Kontrolle zu bringen. Jedes Lustempfinden wird zur Todsünde erklärt und muss verdrängt werden. Wie soll ein Kleriker so eine gesunde Sexualität entwickeln? Die daraus entstehende neurotische Fixierung wird sogar als besondere Erwählung zum Priestertum definiert. Die meisten sexuellen Straftaten werden an Jungen begangen, das ist alarmierend genug.

Frage: Was ist Ihre Erklärung dafür?

Drewermann: Ich kann mir das nur so erklären: Für Priester und die, die es werden wollen, sind Kontakte zu Frauen oder Mädchen untersagt, zu Jungs hingegen nicht. So kommt eine schiefe Entwicklung in Gang, die schwere Schuldgefühle hervorrufen kann. Es gibt wenige Priester, die schon zu Beginn ihrer Ausbildung Kinder missbrauchen würden. Meistens weitet sich so ein Verbrechen schleichend aus und entzieht sich später jeglicher Kontrolle. Personen, die diese neurotischen Triebe ausleben, können nicht durch Versetzungen davon abgehalten werden. Das sind Kranke! Entwickelt ein Priester im Gegensatz dazu eine normale Sexualität und empfindet Gefühle für eine Frau oder einen Mann und bekennt sich auch noch dazu, dann wird er aus dem Beruf gejagt. Das finde ich doppelt sonderbar.

Frage: Denken Sie, der Pflichtzölibat müsste aufgehoben werden?

Drewermann: Ja, dringend. Ich kenne wunderbare Männer, die die besseren Seelsorger wären, weil sie verheiratet sind. Das sollte sich die Kirche zu Herzen nehmen.

Frage: Was machen Sie selbst aktuell?

Drewermann: Im Moment beschäftige ich mich mit einer christlichen Perspektive auf das Strafrecht: Wie geht man mit Menschen um, die schwer schuldig geworden sind, ohne es zu wollen? Das trifft auch auf viele Priester zu. Sie sind selbst Opfer einer Tragödie. Es gibt keine Täter, die nicht schon selbst zu Opfern geworden sind. Wie geht man mit ihnen um? Das finde ich eine wichtige Frage. Jesus sagt: "Richtet nicht". Wenn das so wäre, warum brauchen wir dann überhaupt ein Strafrecht?

Bild: ©KNA: Katharina Ebel

Eugen Drewermann hält am 23. Mai 2008 einen Vortrag in der Lutherkirche während des Katholikentags in Osnabrück.

Frage: Glauben Sie in der Zwischenzeit an die Auferstehung?

Drewermann: Ich bin überzeugt, dass der Tod uns die Schranke zu Gottes Ewigkeit hin öffnet und uns in einer Bewegung der Liebe zusammenführen wird.

Frage: Denken Sie, Sie können sich im Himmel auch mit Erzbischof Johannes Degenhardt versöhnen, der Ihnen die Lehr- und Predigtbefugnis entzogen hat und Sie vom Priesteramt suspendierte?

Drewermann: Auch Bischöfe sind für mich nur Genötigte, Gezwängte und Eingeengte. Ich möchte keinen einzigen Tag dort sitzen, wo sie sind. Gegen den verstorbenen Erzbischof Degenhardt hege ich überhaupt keinen Groll. Ich hätte nie mit ihm Schwierigkeiten. Er wurde vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger unter Druck gesetzt und musste mich daraufhin verurteilen. Ich kann das nachvollziehen. Sein Handeln zeigt mir aber, wieviel Angst er damals gehabt haben muss. Meine Bücher hat er nie gelesen, davon bin ich überzeugt. Es ist eine Tragödie, wie die Angst Menschen verändern kann. Meiner Meinung nach ist das auch bei Ratzinger passiert. Er meint es bestimmt gut. Er ist hochgebildet, er schreibt viele Bücher, aber er bräuchte dringend reale Erfahrungen mit Menschen. Das Problem ist, dass dieses Denken sich niemals psychologisch selbst in Frage stellt. Das gesamte Unbewusste wird verstandeseinseitig verdrängt.

Frage: Was denken Sie über Papst Franziskus?

Drewermann: Er ist eine aufrechte Person. Aber als er in einer Pressekonferenz im Flugzeug einmal sagte “Wer bin ich, andere zu verurteilen“, musste er seine Aussage schnell wieder gerade rücken. Damit wurde ihm von der Glaubenskongregation deutlich signalisiert: "Du bist keine Privatperson, Herr Bergoglio, du hast keine private Meinung, du bist der Papst. Homosexualität ist eine Todsünde, das hast du zu lehren und nichts anderes." Seine Menschlichkeit finde ich sehr rührend. Ich hoffe, er behält das bei. Aber auch er braucht dringend gute Berater.

Frage: Würden Sie das übernehmen wollen?

Drewermann: Ich meine das vor allem theologisch – die gesamte Theologie in den Hauptfächern müsste sich ändern. Das versuche ich seit 40 Jahren. Psychotherapeutisch können Sie niemanden beraten der nicht von selber kommt. Es braucht schon einen guten Grund dafür. Meistens steckt dann ein echter Leidensdruck oder eine Krise dahinter, die zur persönlichen Belastung wird. Hier aber, in der Folge des Missbrauchs durch Kleriker, geht es um das Verschweigen, das Versetzen, die Abschottung vor dem staatlichen Recht. Die Ortsbischöfe sind diejenigen, die die kriminellen Handlungen damit fortgeführt haben. Das Schweigen über den sexuellen Missbrauch hatte schon Papst Johannes Paul II. angeordnet. Auch sein Nachfolger setzte das fort, um den Schaden von der Kirche abzuwehren. Das war kein Irrtum einzelner Bischöfe, das war der Stil der Kirche. Papst Franziskus hat das nun erkannt und setzt sich dagegen ein. Darin würde ich ihn bestärken.

Von Madeleine Spendier

Zur Person:

Eugen Drewermann (78) ist ein deutscher Theologe, Psychoanalytiker, Schriftsteller und suspendierter Priester. Er ist ein wichtiger Vertreter der tiefenpsychologischen Exegese und als kirchenkritischer Publizist tätig. 1966 wurde er in Paderborn zum Priester geweiht und habilitierte sich 1978 im Fach Dogmatik. Am 8. Oktober 1991 entzog ihm Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt (1926–2002) die kirchliche Lehrerlaubnis und im Januar 1992 die Predigtbefugnis. Kurz darauf folgte die Suspension vom Priesteramt. Ursache waren strittige Ansichten Drewermanns in Fragen der Moraltheologie und der Bibelauslegung. 2005 trat Drewermann aus der Kirche aus. Seitdem ist er als Schriftsteller, Redner, Psychotherapeut und Lehrbeauftragter tätig.