Engagement für "zeitgenössische und lebensdienliche Kirche"
Der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst gilt gemeinhin als fröhlicher Mensch – in diesen Tagen ist das etwas anders. Grund dafür ist die Veröffentlichung der Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche, die er als eine der "dunkelsten Stunden meines Lebens" beschreibt. Noch nie habe ihn etwas "so aufgerüttelt und schockiert. Sie werden angeschaut und fühlen, dass Menschen denken: Das ist auch so einer." Am ersten Adventssonntag wird der nach dem Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode am längsten amtierende deutsche Ortsbischof 70 Jahre alt.
Immer noch ist Fürst weit über Württemberg hinaus gefragt: als Chef der Medienkommission und als Vorsitzender der Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz. Nicht mehr kümmern muss er sich indes um das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Zdk), dessen Geistlicher Assistent er 16 Jahre war. Die Stabübergabe an den Hamburger Erzbischof Stefan Heße 2016 sei ihm nicht leicht gefallen, auch wenn die Termine ebenso wie die beiden verbliebenen "Nebenjobs" Zeitfresser waren und sind. Er habe beim ZdK erlebt, "wie viele Menschen sich für unser Kirche engagieren – das ist wichtig und bedeutsam, und es ermutigt auch. Die Kirche lebt."
Grundsätzlich freundlich-positiv, aber zugleich auch kritisch ist Fürsts Verhältnis zu den Medien. Bei den Sozialen Medien etwa sieht er "Filterblasen, in denen bestimmte Milieus nur untereinander kommunizieren". Gerüchte und Verschwörungstheorien fänden offene Türen. Die mit der Datenrevolution ursprünglich verbundene Idee der freien Kommunikation erweise sich als Utopie, wenn "Skandalöses und Aberwitziges" besonders attraktiv erschienen. Fürst sieht sich selbst als Freund von Qualitätsmedien: Er liest mehrere Tageszeitungen, schätzt die Tagesthemen und hat auf seinem Handy die App der Tagesschau. "Boulevard unterhält, guter Journalismus befreit zu Urteilsfähigkeit und Lebenssouveränität", sagte er einmal.
Fürst: Angela Merkels Politik 2015 war alternativlos
Das nimmt er für sich in Anspruch und kann dabei auch gegen den Strom schwimmen. Bis heute steht er dazu, dass in der Situation des Jahres 2015 "Angela Merkels Politik alternativlos" gewesen sei. Der mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) befreundete Bischof gehörte zu denen, die selbst schnell und konkret handelten. Er stellte für Flüchtlingshilfe und -Integration viel Geld des Bistums zur Verfügung. Und er setzte ein Zeichen, das nicht alle goutierten: Auf dem Martinsberg im ehemaligen Benediktinerkloster Weingarten zogen vor zwei Jahren Migranten ein. Für Fürst auch ein symbolischer Akt: "Der Schutzheilige der Flüchtlinge und der Diözese ist Martin von Tours. Dessen Mantelteilung ist uns Auftrag."
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Vor Ort engagiert sich der Bischof der viertgrößten deutschen Diözese für eine "pilgernde, zeitgenössische, lebensdienliche und schöpfungsfreundliche Kirche". Er unterstützt den Martinus-Pilgerweg, hat ein Herz für Kultur, fördert die soziale Arbeit im Bistum und ist gemeinsam mit dem Erzbistum Freiburg bundesweit Spitzenreiter in Sachen kirchlicher Umweltschutz. Stark ausgeprägt ist sein Interesse an ökumenischer Zusammenarbeit. Dutzende Termine absolviert er jährlich mit seinem evangelischen Pendant, Landesbischof Frank Otfried July. Bei so viel gemeinsamer Zeit passt es, dass die persönliche Chemie zwischen den Kirchenrepräsentanten stimmt.
Persönlich strebt der naturverbundene Gärtnersohn für die nächsten Jahre an, "die Balance zwischen pastoralem Einsatz, Gebet und Freizeit besser hinzubekommen". Der Bischof will sich nicht überfordern, mehr loslassen und auf Gottvertrauen setzen. Inhaltlich will er zwei Herzensanliegen fortführen: Das ist die Kirchengemeindeordnung mit der gemeinsamen Leitung aller Ebenen durch Priester und Laien. Bei diesem weltweit einzigartigen Modell können selbst Vorhaben des Bischofs mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmt werden. Engagieren will sich Fürst auch für die Stärkung des Diakonats. Nicht nur, weil in seiner Bischofsstadt das Internationale Diakonatszentrum sitzt. Vielmehr sieht er im Diakonat ein Verständnis von Kirche, "das nicht durch Herrschaftsansprüche bestimmt", sondern nah an den Menschen ist.