Es begann "auf Drängen junger Leute"
1867 war das Jahr, in dem Karl Marx den ersten Band seines Werks "Das Kapital" veröffentlichte, Russland Alaska an die USA verkaufte und sich die deutschen Staaten nördlich des Mains zum Norddeutschen Bund zusammenschlossen – Ereignisse, die heute in keinem Geschichtsbuch fehlen.
Doch auch in Bautzen ereignete sich 1867 Historisches: In der ostsächsischen Stadt berief Domvikar Jacob Herrmann am 10. November "auf Drängen einer Reihe junger Leute der katholischen Gemeinde" ein Treffen in der örtlichen Domschule ein. Dem Aufruf des Domvikars folgten 51 Gesellen und Meister, die am Ende ihrer Zusammenkunft den Katholischen Gesellenverein Bautzen gründeten. So begann die Geschichte der Bautzener Kolpingsfamilie, die der Kolpingbruder Gerold Dubau jetzt aus Anlass des 150. Geburtstags aufgeschrieben hat. Ihr Jubiläum haben die Mitglieder der Kolpingsfamilie am Samstag mit einem Festgottesdienst im St.-Petri-Dom in der Altstadt von Bautzen gefeiert.
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Als Kind eines Schäfers und als Kaplan im Wuppertal des Industriezeitalters lernte Adolph Kolping Armut unmittelbar kennen. Doch bei Mitleid blieb der Priester nicht stehen - er handelte sozial.Die Bautzener Gesellen und Meister folgten mit der Gründung ihres Vereins dem Vorbild von Adolph Kolping. Dieser hatte 20 Jahre zuvor den Katholischen Gesellenverein – das spätere Kolpingwerk – gegründet, um die drängende soziale Frage der Arbeiterschaft auf christliche Weise zu beantworten. Kolpings Sorge galt vor allem den wandernden Handwerksgesellen, die sich zu Beginn der Industrialisierung oft in wirtschaftlicher Not und großer Orientierungslosigkeit befanden. In den Gesellenvereinen baute Kolping zusammen mit den jungen Männern familienähnliche Gemeinschaften auf, die Heimat boten und die Chance, sich beruflich und persönlich zu entwickeln.
In Bautzen trafen sich die Mitglieder des Gesellenvereins anfangs wöchentlich zu gemeinsamen Abenden – zunächst in der Domschule, später im Gasthaus "Goldenes Lamm". Dort, so fand Gerold Dubau heraus, wurde auch bis in die Morgenstunden der erste Fasching gefeiert. Um dem Verein jedoch ein eigenes Domizil zu geben, kaufte Domprediger Josef Gotthelf Dienst ein Haus in der Bautzener Gerberstraße. Diese neue Heimstatt konnte wegen des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/1871 jedoch erst im Juni 1871 eingeweiht werden.
Die Nazi-Zeit als Zäsur
Innerhalb des Bautzener Vereins gründeten sich in der Folge einzelne Abteilungen – so wurden laut der Chronik 1899 ein Kegelclub und ein Jahr später ein Schießclub gegründet. Mit der Dokumentation der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Vereinsgründung im Jahr 1907 bricht die Chronik dann zunächst ab. Erst Ende der 1920er Jahre finden sich wieder Eintragungen in den Protokollbändern des Vereins. Neben der Dokumentation des Fests zum 60. Jubiläum des Vereins im Jahr 1927 wurden ab dieser Zeit auch wieder die wöchentlichen Zusammenkünfte sowie gemeinsame Wanderausflüge der Mitglieder in die Bautzener Umgebung niedergeschrieben.
Eine Zäsur für das Vereinsleben bildete die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Nachdem Adolf Hitler am 30. Januar Reichskanzler geworden war, zeigte sich schnell der Totalitätsanspruch der Nazis, der auch vor den Gesellenvereinen keinen Halt machte. Deutlich zeigte sich das bei der gewaltsamen Beendigung des deutschen Gesellentages in München im Juni 1933. Um einem Verbot zu entgehen, entschloss sich die deutsche Zentralversammlung der Gesellenvereine wenige Monate später zu radikalen Schritten: Der Verband wurde zurückgestutzt auf eine rein innerkirchliche Organisation und die Gesellvereine wurden zu Kolpingsfamilien.
Auch in Bautzen war der Druck durch die Nazis spürbar. So kam es bei den Vereinsabenden laufend zu Kontrollen durch die Polizei und am 1. Dezember 1940 sogar zur Beschlagnahmung des Kolpinghauses durch die Nationalsozialisten. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des NS-Regimes endete für die Bautzener Kolpingsfamilie dennoch nicht die Zeit der Verfolgung. Auch in der DDR konnte das Vereinsleben nur im engen kirchlichen Bereich fortgeführt werden. Die einzelnen Kolpingsfamilien waren zwar nicht verboten, ihre Arbeit wurde aber erheblich eingeschränkt. Laut Gerold Dubau wurde die Kolpingarbeit von der Stasi als "umstürzlerische Vereinigung" intensiv beobachtet.
Trotz der staatlichen Repression verzeichnet die Bautzener Chronik auch in den Folgejahren einige bemerkenswerte Ereignisse. Zum 100. Jubiläum im Jahr 1967 fand der Kolpingdiözesantag in Bautzen statt, zwei Jahre später wurden die ersten weiblichen Mitglieder in den Verband aufgenommen.
Zur Seligsprechung nach Rom
Nach der Wiedervereinigung wartete 1991 direkt ein besonderer Höhepunkt auf die Kolpingsfamilien: Am 27. Oktober sprach Papst Johannes Paul II. (1978-2005) Adolph Kolping in Rom selig – bei der Zeremonie auf dem Petersplatz waren auch Mitglieder der Bautzener Kolpingsfamilien dabei. Ein Jahr später konnte in Bautzen der 125. Geburtstag der Kolpingfamilie gefeiert werden. Dabei wurde eine Straße in der Bautzener Neustadt in Adolph-Kolping-Straße umbenannt.
Auch mit dem jetzigen 150. Geburtstag soll nach dem Willen von Gerold Dubau noch lange nicht Schluss sein. Derzeit hat Kolping in Bautzen rund 160 Mitglieder; in diesem Jahr wurden drei neue Mitglieder aufgenommen. Und auch wenn der demografische Wandel dem Verband zu schaffen mache, sei man in Bautzen kein Club alter Menschen, so Dubau. Vielmehr werde versucht, die Jugend gut einzubinden, damit die lange Geschichte der Bautzener Kolpingsfamilie auch in Zukunft weitergehe.