Forschen gläubige Wissenschaftler anders?
Frage: Herr Professor von Braun, wie haben Sie erfahren, dass Papst Franziskus Sie zum Präsidenten der Päpstlichen Akademie für die Wissenschaften berufen hat?
Joachim von Braun: Der Kanzler der Akademie, Bischof Marcelo Sánchez Sorondo, hat mich darüber informiert und die Urkunde des Papstes zugestellt, unterzeichnet in seinem Namen vom Kardinalstaatssekretär. Ich wurde natürlich vorher gefragt, ob ich bereit wäre, mich auf eine Liste setzen zu lassen, die dem Heiligen Vater vorgelegt wird. Dem hatte ich zugestimmt, und dann war das eine Entscheidung des Papstes.
Frage: Was erwartet der Papst von Ihnen in dieser Funktion?
von Braun: Ich bin seit fast sechs Jahren Mitglied der Akademie und habe mich in verschiedenen Stellungnahmen der Akademie engagiert, insbesondere zu Fragen der Welternährung, der Umwelt, der Marginalisierung und Ungerechtigkeit aus wissenschaftlicher Perspektive. Vielleicht ist das in der Nähe einiger wichtiger Punkte, mit der sich auch die Enzyklika "Laudato si" befasst.
Frage: Die Umweltenzyklika "Laudato si" ist entstanden, während Sie bereits Mitglied der Akademie waren. Wie wird die Akademie in den Entstehungsprozess eines päpstlichen Schreibens eingebunden?
von Braun: Im Vorfeld haben wir in der Akademie intensive Diskussionen geführt zu Themen wie Klimawandel, Zerstörung von Boden und Wasserknappheit. Wir haben natürlich auch über die Fragen von Armut und Ungerechtigkeit beraten, die zum Teil mit Zerstörung der Umwelt einhergehen. Es gab eine Reihe von sehr spannenden Akademiesitzungen, bei denen in der Regel auch Vertreter des Vatikans dabei waren. Dabei eine Reihe von Artikeln und Büchern entstanden. Diese Ergebnisse können dann auch in päpstlichen Schreiben aufgegriffen werden.
Frage: Haben Sie einen Einblick, was vom Papst im Bereich der Soziallehre als nächstes zu erwarten ist?
von Braun: Spekulieren möchte ich nicht, was Papst Franziskus als nächstes wichtiges auf den Tisch legen wird. Aber die Umsetzung der Enzyklika "Laudato si" ist noch lange nicht abgeschlossen. Deshalb greifen wir zur Zeit Themen aus dem Bereich auf und behandeln sie aus wissenschaftlichen Perspektiven unterschiedlicher Fachdisziplinen.
Frage: "Laudato si" ist nahe an Ihrem Arbeitsschwerpunkt: Sie forschen zu Fragen der Entwicklung und Nahrungssicherheit. Wo möchten Sie als Präsident der Akademie noch Akzente setzen mit ihrer wissenschaftlichen Expertise?
von Braun: Die Akademie hat Statuten, die uns Rahmenrichtlinien vorgeben. Die sind weit gefasst. Einmal sehr grundlegende Themen: Grundlagenforschung, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftspolitik. Dann die Befassung mit Wissenschaft und Technologie zur Lösung globaler Probleme, besonders der Entwicklungsländer. Das sind die langfristigen Themen. Satzungsgemäß soll die Akademie ihre konkreten Schwerpunkte unabhängig setzen, greift aber auch gern Anregungen des Vatikans auf. Zur Zeit sind das Themenbereiche wie Armut, Belastung der Natur, aber auch das Problem des Menschenhandels, die Überwindung der Wegwerfgesellschaft, Bildung. Wir reden auch über aktuelle Themen wie Chancen und Risiken der Digitalisierung und die Implikationen von Robotern für Gesellschaft und Wirtschaft.
Frage: Sie sind auch Mitglied in anderen Wissenschaftsakademien. Was unterscheidet die päpstliche von weltlichen Akademien?
von Braun: Die alte päpstliche Akademie ist explizit als eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung von Papst Pius XI. 1936 reformiert worden. Und sie ist zunächst eine ganz normale wissenschaftliche Akademie mit höchsten Standards, ein Drittel der Mitglieder hat zum Beispiel einen Nobelpreis. Sie ist der wissenschaftlichen Wahrheit verpflichtet und bringt sich über ihre Themen auch in die Kirche ein – aber eben unabhängig. Die Mitglieder der Akademie haben gemeinsam, dass sie hochkarätige Wissenschaft mit ethischer Perspektive verknüpfen. Das tun andere Akademien auch, das steht in der vatikanischen Akademie meines Erachtens aber wohl stärker im Vordergrund.
Frage: Die Mitglieder der Akademie werden auf Grundlage ihrer wissenschaftlichen Expertise berufen, nicht nach ihrer Glaubenstreue. Es gibt sogar ausgewiesene Atheisten in der Akademie. Forschen Naturwissenschaftler anders als Nichtgläubige?
von Braun: Was ernsthafte Wissenschaftler generell eint, ist der Respekt vor dem, was wir nicht wissen, und dass das Wissen nicht alle Realität abbildet. In der Hinsicht ist da ein sehr breiter Konsens unter den Wissenschaftlern in der Akademie, die aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen aus aller Welt kommen – oder eben auch nicht glauben.
Frage: Und wie beeinflusst Ihre wissenschaftliche Tätigkeit Ihren Glauben, wie beeinflusst Ihr Glaube Ihre wissenschaftliche Tätigkeit?
von Braun: Wissenschaft trägt Verantwortung. Ich bin protestantischer Christ und praktiziere das auch, hoffe ich. Als Wissenschaftler habe ich mir unter anderem die Themen der absoluten Armut und des Hungers gewählt; diese Entscheidung ist auch in meiner Religion fundiert Was mich leitet, ist neben der Suche nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, der Respekt vor der Schöpfung und der Würde des Menschen, aller Menschen, die alle den gleichen Wert haben.