Offener Brief an Papst Franziskus

Generalvikar: Die katholische Kirche steht in Flammen

Veröffentlicht am 04.04.2019 um 11:37 Uhr – Lesedauer: 

Chur ‐ Pflichtzölibat, Ausschluss von Frauen, Klerikalismus: Tiefgreifende Reformen in der Kirche seien nun unaufschiebbar und müssten regional entschieden werden können – das fordern Generalvikar und Synodalrat im Kanton Zürich in einem Brief an den Papst.

  • Teilen:

Der Generalvikar und der Synodalrat der katholischen Kirche im Kanton Zürich rufen Papst Franziskus zu einer Erneuerung der Kirche auf. Die Kirche stehe in Flammen, heißt es in dem Offenen Brief vom Donnerstag. "Das Entsetzliche daran ist: Hirten, die zum Dienst am Evangelium bestellt wurden, haben diesen Flächenbrand gelegt." Nicht nur jüngere Menschen, sondern auch ältere, langjährige Kirchenmitglieder seien entsetzt und kehrten der Kirche den Rücken. Sie seien "befremdet, empört und verbittert".

Die Präsidentin des Synodalrats, Franziska Driessen-Reding, und Generalvikar Josef Annen bezeichnen die "Häresie des Klerikalismus" als Ursprung der sexualisierten Gewalt und ihrer Vertuschung in der Kirche. Die klaren Worte des Papstes dazu seien wichtig. "Sie genügen aber nicht", heißt es in dem Schreiben. Tiefgreifende Reformen in der Kirche seien notwendig und unaufschiebbar. Wichtig sei die Erkenntnis, dass am Missbrauch nicht fehlgeleitete Einzelpersonen, sondern die "Strukturen der katholischen Kirche" schuld seien.

Menschliche Sexualität verteufelt und verdrängt

"Die Kirche hat die menschliche Sexualität während Jahrhunderten verdrängt und verteufelt, statt sie zu pflegen und zu kultivieren", schreiben Driessen-Reding und Annen weiter. Eine verdrängte und unreife Sexualität sei der Boden, auf dem der Missbrauch gedeihe. Daher brauche es eine an der Liebesbotschaft des Evangeliums und der heutigen Humanwissenschaften orientierte sowie lebensnahe kirchliche Sexualmoral. Außerdem brauche es unabhängige Gerichte, vor denen Grundrechte eingeklagt werden können, Frauen in Leitungspositionen und synodale Prozesse, in denen die Zugangsbedingungen zu den kirchlichen Ämtern wie Pflichtzölibat oder der Ausschluss von Frauen regional entschieden werden können.

Mit dem versteckten oder offenen Widerstand gegen die päpstlichen Reformbemühungen müsse daher Schluss sein, heißt es in dem Brief. Die katholische Kirche im Kanton Zürich erwarte, "dass der neue Bischof im Bistum Chur vorbehaltlos Ja sagt zu einer synodalen Kirche". Noch bis Ostern ist der umstrittene Vitus Huonder Bischof von Chur. Mit verbalen Vorstößen zu Sexualität, Kirchenverfassung oder Lebensschutz fungierte der Churer Bischof landesweit immer wieder als Vertreter des konservativen Kirchenflügels. 2015 stellte der Schweizer Dachverband der Schwulen erfolglos Strafanzeige gegen den Bischof wegen angeblicher öffentlicher Aufforderung zu Gewalt gegen Homosexuelle.

Im Bistum Chur existieren neben dem Generalvikar für die Gesamtdiözese drei regionale Generalvikare, die für einzelne Kantone zuständig sind. Die Kantone Zürich und Glarus liegen in der Verantwortung von Josef Annen, hinzukommen je ein Regionalgeneralvikar für den Kanton Graubünden und für die Urschweiz. (bod)