"Große Demut vor dem Geschenk des Lebens"
Frage: Herr Gaw, Sie haben vor fünf Jahren einen Herzinfarkt erlitten. Was hat Sie bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Gaw: Es waren meine Erfahrungen nach dem Herzinfarkt. Wenn man so etwas erlebt, gehen komische Dinge in einem vor - verrückte Gedanken und ungewöhnliche körperliche Empfindungen. Man stellt sich viele Fragen. Aber ich habe keine Antworten darauf gefunden, auch nicht in medizinisch-wissenschaftlichen Texten. Weil ich immer schon gerne geschrieben habe, habe ich beschlossen, meine Erfahrungen mitzuteilen - zunächst in dem Blog "flatline". Ich konnte mir alles von der Seele schreiben und hoffentlich anderen Betroffenen damit helfen. Ich möchte ihnen Mut machen, dass nach dem Herzinfarkt ein neues Leben beginnt.
Frage: Sie schildern, wie sie über viele Jahre ungesund gelebt, Vorzeichen ignoriert und sehenden Auges auf den Herzinfarkt hingelebt haben. Warum fällt es rückblickend gesehen so schwer, rechtzeitig sein Leben zu ändern?
Gaw: Das ist in der Tat kaum zu begreifen, zumal ich in meiner Reha festgestellt habe, wie einfach es ist, gesund zu leben. Ein Professor sagte mir, dass wir Menschen leider so beschaffen sind, dass es oftmals erst eines Traumas bedarf, damit wir überhaupt etwas ändern. Das ist schade, aber mich hat es eben auch erwischt.
Frage: Was sagen Sie Menschen, die ihren Lebensstil eigentlich auch ändern sollten - und es dennoch nicht tun?
Gaw: Ich bin mir ganz sicher: Es sind die kleinen Schritte, die Veränderung bewirken. Wenn man stark übergewichtig ist, sollte man nicht gleich mit dem Joggen anfangen, weil es die Gelenke stark belastet und so für Schmerzen sorgt. Viel besser wäre es, einfach nur spazieren zu gehen. Ich bin mir sicher, der Spaß kommt dann bei vielen Dingen von selbst. Ich habe auch nicht von heute auf morgen meine Ernährung umgestellt. Aber man fängt an zu experimentieren und stellt fest, was einem schmeckt und was nicht. Das macht unglaublich Spaß, aber man muss halt anfangen.
Frage: Ihr Buch heißt "Neustart" - wie hat der Infarkt ihr Leben verändert?
Gaw: Ich habe die Verantwortung für mich selbst übernommen, und zwar in allen Lebensbereichen - Ernährung, Bewegung, Freizeitgestaltung, Freundschaften. Ich will nicht mehr, dass mir so was nochmal passiert. Die Angst ist immer da. Ich habe jetzt große Demut vor dem Geschenk des Lebens. Ich will nicht sagen "Genieße den Tag", weil nicht alle Tage schön sind - Menschen haben Verantwortung, Verpflichtungen und Probleme. Aber es gibt immer wieder Momente, die man annehmen und genießen sollte. Früher habe ich mich mehr über materielle Dinge gefreut. Heute freue ich mich, wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe und die Sonne scheint.
Frage: Sie schildern, wie Ihnen der Anblick eines Kruzifixes neue Kraft und Lebenswillen gegeben hat...
Gaw: Bei meinem Infarkt bin ich mit letzter Kraft von der Autobahn abgefahren und habe an einer Bushaltestelle angehalten, um nach Hilfe zu rufen. Ich kniete mit allen Vieren hilfesuchend auf der Straße. Obwohl Berufsverkehr war, hat niemand angehalten. Als ich hochsah, erblickte ich am Wegesrand ein Holzkreuz. Ich bin gläubig, aber ich habe nie für mich gebetet. Ich sah den leidenden Christus und bat ihn nur um zehn Minuten Lebenszeit. In diesem Moment hat der Schmerz nachgelassen, ich konnte weiterfahren und bin letztendlich gerettet worden. Als ich später an diesem Kreuz Blumen niederlegen wollte, habe ich es nicht mehr vorgefunden. Es schien dort nie gestanden zu haben - aber es hat mir das Leben gerettet.
Frage: Haben Sie durch Ihren Infarkt eine andere Beziehung zu Gott bekommen?
Gaw: Ich würde sagen, ich bin menschlicher - und vielleicht auch spiritueller - geworden. Ich habe vorher schon an Gott geglaubt, und dieser Glaube ist gestärkt worden.
Frage: Sie kommen in Ihrem Buch zu dem Schluss, dass Geld unwichtig sei und es alles Schöne kostenlos gebe. So haben sie eine ganz neue Beziehung zur Natur bekommen...
Gaw: Wenn man Kind ist, freut man sich über einen warmen Sommerregen, springt barfuß durch Pfützen und freut sich über Gänseblümchen auf der Wiese. Diese Sicht verlieren wir ja im Alter, weil die Ansprüche andere werden, weil alles eine andere Wertigkeit bekommt. Aber diese Freude an der Natur habe ich wiedergefunden, beim Spaziergang - egal ob es regnet oder graupelt. Dabei hat mir auch mein Hund geholfen, er ist einfach für mich da, von ihm habe ich viel gelernt - etwa Lebensfreude und das Leben im Hier und Jetzt.
Frage: Es geht Ihnen heute also viel besser als vor dem Infarkt?
Gaw: Für mich war der Herzinfarkt lebenswichtig, er hat mein Leben in eine neue Bahn gelenkt. Ich habe ihm viel zu verdanken. Ich habe viel an mir gearbeitet und bin jetzt wieder ganz gesund.