Diakonie legt Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein

Ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in Gefahr?

Veröffentlicht am 19.03.2019 um 15:32 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Die Stellenbewerberin sei wegen fehlender Kirchenzugehörigkeit benachteiligt worden, lautete das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Dagegen reicht die Diakonie nun Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Die kirchliche Einrichtung sieht sich in ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt.

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Das eigenständige Arbeitsrecht der Kirchen in Deutschland steht seit Jahren unter Druck. Gleichwohl legte das Bundesverfassungsgericht das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bislang sehr im Sinne der Religionsgemeinschaften aus. Strenger sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Gleich zweimal in kurzer Folge mussten die Kirchen deshalb Einschränkungen hinnehmen.

Einmal im Fall einer Stellenbewerberin, die sich aufgrund ihrer Konfessionslosigkeit von der Diakonie diskriminiert fühlte, einmal im Fall eines geschiedenen Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus, dem nach seiner Wiederheirat gekündigt wurde. Beide Male hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zunächst Luxemburg um Prüfung gebeten und sich dann dem restriktiveren EuGH-Kurs angeschlossen. Sie setzten dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen Grenzen - unter Bezugnahme auf die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU.

Am Dienstag kündigte die Diakonie in Berlin an, mit dem Fall der abgelehnten konfessionslosen Stellenbewerberin vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Im vorliegenden Fall war die Frage: Ist eine Kirchenmitgliedschaft für die Referentenstelle, um die sich die konfessionslose Sozialpädagogin Vera Egenberger 2013 beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben hatte, eine berechtigte Anforderung? Bei dem befristeten Job ging es um die Mitarbeit an einem Bericht von Nichtregierungsorganisationen zur deutschen Umsetzung der UN-Antirassismus-Konvention. Die Bundesarbeitsrichter jedenfalls hatten "erhebliche Zweifel", dass Egenberger als konfessionslose Referentin auf diesem Posten das Ethos der Kirche beeinträchtigt hätte.

"Selbstbestimmungsrecht der Kirchen unzulässig verletzt"

Für Diakonie-Präsident Ulrich Lilie wurde damit das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen unzulässig verletzt: "Für die theologische Kernfrage, ob ein Bewerber den möglichen religiösen Anforderungen an eine Stelle entspricht, sind Juristen ja nicht unbedingt die geborenen Experten." Dies müssten die Kirchen selbst entscheiden können. Vom Gang nach Karlsruhe erhofft sich Lilie "Rechtssicherheit darüber, dass unser im Grundgesetz garantiertes Recht auf freie Religionsausübung und Selbstbestimmung nicht durch europäisches Recht ausgehöhlt wird".

Die Diakonie wolle und müsse als der soziale Dienst der evangelischen Kirche erkennbar bleiben, so Lilie. "Dazu gehört nach unserem Selbstverständnis, dass nicht nur an wichtigen Stellen evangelische Christen arbeiten, die unsere Einrichtungen prägen." Zugleich verwies er darauf, dass nur Mitarbeiter in der Seelsorge, Verkündigung und Bildung evangelisch sein und Leitungskräfte einer christlichen Kirche angehören müssten.

Die katholische Kirche treibt das Thema in ähnlicher Weise um. 2015 liberalisierten die Bischöfe ihr Arbeitsrecht. Die strengen Loyalitätsanforderungen - etwa die Einhaltung des kirchlichen Eheverständnises - sollen nur noch für verkündigungsnahe Berufe gelten. Was dazu zählt, ist auch nicht immer eindeutig. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck etwa sieht weiterhin "riesige Akzeptanzprobleme" für das kirchliche Arbeitsrecht. Nach seinen Worten ist das christliche Profil von kirchlichen Häusern künftig wichtiger als das "individualethische Verhalten" ihrer Mitarbeiter.

Nicht zuletzt geht es bei dem nun anstehenden Verfahren auch um die Rolle des Bundesverfassungsgerichts. Sowohl im Diakonie- als auch im Chefarzt-Fall hatte das Bundesarbeitsgericht jeweils dem Europarecht Vorrang vor dem nationalen Recht eingeräumt. Karlsruhe könnte nun darüber nachdenken, die Autonomie der Kirchen als Teil der deutschen Verfassungsidentität zu interpretieren. Dann müsste das Europarecht zurücktreten. Wie sich das inzwischen personell veränderte Gericht nun entscheidet, bleibt indes abzuwarten.

Von Karin Wollschläger (KNA)