Wie sich katholische Kirche und SPD aufeinander zu bewegten

Jesus und die Genossen

Veröffentlicht am 23.05.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
150 Jahre SPD

Bonn ‐ Es ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein", stellte Papst Pius XI. 1931 fest. Sozialismus – das hieß in Deutschland lange Zeit SPD. Und es war das Partei-Urgestein August Bebel, der wiederum schon 1874 befand: "Christentum und Sozialismus stehen sich gegenüber wie Feuer und Wasser". Zum 150. Geburtstag der SPD kann davon keine Rede sein. Wenn Sozialdemokraten und Kirchenvertreter heute das partnerschaftliche Verhältnis loben, ist das ein Ergebnis einer Entwicklung, die lange Zeit nicht abzusehen war.

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Bei den Kirchen habe es von Beginn an deutliche Vorbehalte gegenüber der Arbeiterbewegung gegeben, weiß Professor Rainer Hering, Historiker und Leiter des Landesarchivs Schleswig Holstein. Diese war durch den von Ferdinand Lassalle am 23. Mai 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein erstmals in Deutschland organisiert. Am 27. Mai 1875 schloss er sich mit der sozialdemokratischen Arbeiterpartei zur heutigen SPD zusammen.

Die Abwehrhaltung der Kirchen erklärt Historiker Hering mit frühen programmatischen Aussagen der Partei. "In den Parteiprogrammen von Gotha 1875 und Erfurt 1891 wurde Religion zur Privatsache erklärt", sagt er. Öffentliche Mittel sollten nicht mehr zu religiösen Zwecken verwendet und die Kirchen als Privatvereine betrachtet werden.

Erste Annäherungen am Beginn des 20. Jahrhunderts

Der Kampf der Partei gegen die Kirche als Teil der verachteten Obrigkeit mag zumindest ein wenig verwundern. Immerhin gab es durch die katholische Soziallehre schon früh einige Anknüpfungspunkte. "Unsere Religion ist nicht wahrhaft katholisch, wenn sie nicht wahrhaft sozial ist", forderte beispielsweise Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811-1877), Bischof von Mainz und Gründer der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung.

Und doch kam es, wie Rainer Hering berichtet, erst am Beginn des 20. Jahrhunderts zu ersten Annäherungen von Sozialdemokratie und Kirche. "Das waren aber eher Einzelfälle", sagt Hering. Ein großer Einschnitt im positiven Sinn war dann die gemeinsame Verfolgungserfahrung im Dritten Reich.

Nach dem Krieg schritt man weiter aufeinander zu. Neben Herbert Wehner sieht Historiker Hering auch Helmut Schmidt als einen der Vorreiter aufseiten der SPD. "Schmidt ist ein brillanter Kenner der katholischen Soziallehre und hatte unter anderem gute Kontakte etwa zu Ruhrbischof Franz Hengsbach und dem Wiener Kardinal Franz König", sagt Hering.

Proteste unten, Kontakte oben

Dem Historiker zufolge liegt im Godesberger Programm von 1959 ein wichtiger Schritt im Verhältnis zueinander. Mit diesem verabschiedete sich die SPD vom Anspruch, eine Weltanschauungspartei zu sein, und erkannte ebenso die Bedeutung der Kirchen an.

Mit der Verabschiedung des Godesberger Programms 1959 erkannte die SPD unter anderem die Bedeutung der Kirchen an.
Bild: ©picture-alliance / akg-images

Mit der Verabschiedung des Godesberger Programms 1959 erkannte die SPD unter anderem die Bedeutung der Kirchen an.

Dem vorausgegangen waren verschiedene Gespräche und Initiativen, zum Beispiel die Gründung des Arbeitskreises sozialdemokratischer Katholiken 1953 in Bayern. Auf der anderen Seite vollzog sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Öffnung hin zur Moderne, die sich positiv auf die Beziehung zur Sozialdemokratie auswirkte.

Trotz deutlicher Proteste einiger Sozis rückte in den 1960er und 70er Jahren vor allem die Parteispitze näher an die Kirche heran. 1964 empfing Papst Paul VI. den Fraktionsvorsitzenden Fritz Erler, 1967 wurde Bundesverkehrsminister Georg Leber das erste sozialdemokratische Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und 1973 wurden beim Parteivorstand schließlich Referate für die Kontakte zur katholischen und evangelischen Kirche eingerichtet.

Völlig konfliktfrei wurde die Beziehung dadurch aber keineswegs. Heftig aneinander geriet man beispielsweise in den 1970er Jahre durch die Debatte um den Paragrafen 218 zum Schwangerschaftsabbruch.

Von ideologischen Konflikten zwischen Partei und Kirche kann heute keine Rede mehr sein. Regelmäßig finden Gespräche zwischen Sozialdemokratie und Deutscher Bischofskonferenz statt, prominente SPDler wie Andrea Nahles oder Wolfgang Thierse bekennen sich zu ihrem katholischen Glauben.

"Konstruktive Partnerschaft"

Das heutige Verhältnis der Partei zur katholischen und evangelischen Kirche bezeichnet SPD-Politikerin Kerstin Griese als "konstruktive Partnerschaft". Die Kirchen seien wichtiger Partner zum Beispiel in sozialen und gesellschaftlichen Fragen, so die Bundestagsabgeordnete und Sprecherin des Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD - und weiter: "Viele Menschen in der SPD kommen aus katholischen oder evangelischen Jugendverbänden".

In der Tat hat eine Erhebung im Jahr 2009 ergeben, dass 73 Prozent der Parteimitglieder einer Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören. Im aktuellen Wahlprogramm steht: "In den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften arbeiten viele für ein solidarisches Miteinander. Sie sind wichtige Partner für uns auf dem Weg zu einer besseren Gesellschaft und im Diskurs ethischer Fragen."

Auf Augenhöhe: Der SPD-Politiker und Regierende Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit mit den Erzbischöfen Robert Zollitsch und Ludwig Schick (links).
Bild: ©KNA

Auf Augenhöhe: Der SPD-Politiker und Regierende Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit mit den Erzbischöfen Robert Zollitsch und Ludwig Schick (links).

Allerdings auch: "Soweit die Kirchen und ihre Einrichtungen in Caritas und Diakonie Arbeitgeber sind, muss die Grenze ihres Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts als Arbeitgeber von den Grundrechten ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer her bestimmt werden und nicht umgekehrt. Gleiche Arbeitnehmerrechte für Beschäftigte bei Kirchen sind vereinbar mit dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht."

Politisches Christsein

Zum partnerschaftlichen Verhältnis gehört nach Ansicht von Griese auch Kritik. "Wir kritisieren da, wo es notwendig ist“", sagt sie. Ihrer Ansicht nach hat sich etwa die katholische Kirche zu sehr vom Alltag der Menschen entfernt, beispielsweise durch eine diskriminierende Sexualmoral oder den Umgang mit wiederheiratet Geschiedenen. "Auch die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle muss konsequent weitergehen", so Griese.

Lebhafte Debatten um die Rolle der Kirche gibt es wie in der Gesellschaft auch innerhalb der SPD – zum Beispiel von nicht wenigen laizistischen Sozialdemokraten, die unter anderem das Ende staatlicher Leistungen an die Kirchen fordern. Griese hält davon nichts, mahnt aber zugleich an, dass die Kirchen Antworten auf solche Forderungen geben müssen. "Ich persönlich finde, dass sie viel offensiver erklären sollten, warum und wofür sie Staatsleistungen erhalten."

Auf einer Podiumsdiskussion richtete der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck jüngst seine Erwartung an die SPD, dass sie auch künftig ihre Grundwerte Gerechtigkeit und Solidarität zu Themen in der Gesellschaft mache und dabei eine "bewusste Internationalisierung vorantreiben" solle.

Sozialdemokratin Griese findet, dass sich die Kirchen nicht in politischen Detailfragen verlieren, sich allerdings zu Grundsatzfragen positionieren sollten. "Für mich ist Christsein auch eine politische Angelegenheit."

Von Christoph Meurer