Wie Tübingen die beiden Theologen verändert hat

Joseph Ratzinger, Hans Küng und die 68er

Veröffentlicht am 11.04.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Zeitgeschichte

Bonn ‐ Als an den deutschen Unis der Sturm lostobte, lehrten sie beide im linken Tübingen. Aber unterschiedlicher konnten die beiden jungen Star-Theologen Hans Küng und Joseph Ratzinger darauf kaum reagieren.

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Auch die Gattung der Theologenwitze unterliegt Moden. Und je treffender sie sind, desto weniger kann man ihre Protagonisten gegen andere aus späteren Generationen austauschen. Hier kommt einer aus den späten 60er Jahren: Karl Rahner, Hans Küng und Joseph Ratzinger am See Genezareth. Sie sehen Jesus auf dem Wasser stehen, der sie zu sich herwinkt. Der alte Jesuit Rahner geht als erster vor - und kommt, wenn er auch einmal fast stolpert, trocken bei Jesus an. Der junge Ratzinger folgt ihm, grazil wie immer; und auch er ist recht bald drüben.

Nur Küng, am selbstsichersten angetreten, droht zu versinken - bis ihn die rettende Hand Jesu hochzieht. Raunt Rahner Ratzinger zu: "Wir hätten ihm doch verraten sollen, wo die Steine liegen." Darauf Ratzinger: "Wie - da waren Steine?" 

Der Fundamentaltheologe Ratzinger und der Dogmatiker Küng, die beiden theologischen Jungstars der frühen 60er Jahre, fast gleichaltrig, fast gleich glänzend - und doch so verschieden. Konzilsberater beide mit kaum 35 Jahren; der eine des Kölner Erzbischofs, der andere des Bischofs von Rottenburg. Alter Ego einander und zunächst auch Vertraute, nahmen sie über viele Gespräche mit Konzilsvätern starken Einfluss auf diese größte Kirchenversammlung des 20. Jahrhunderts.

Bild: ©KNA

Joseph Ratzinger (r.) während des II. Vatikanischen Konzils 1962 in Rom.

Der gebürtige Schweizer Küng hatte 1962 mit seinem vieldiskutierten Buch "Strukturen der Kirche" einen dicken Stein ins Wasser geworfen. Darin rehabilitierte er gleichsam das Konzil von Konstanz (1414-1418) und die Idee des Konziliarismus und schuf so ein neues Bewusstsein für das lehramtliche Gewicht des Konzils neben dem Papst. Als Liebling der Medien machte er in Rom viel frischen Wind. 

Ratzingers "Wanderpokal"

Ratzinger war der geniale Zuarbeiter des greisen Kölner Kardinals Josef Frings - der sich seinerseits nichts von der römischen Kurie gefallen ließ und zu einem Wortführer der selbstbewussten Kirchenversammlung wurde. Die Universität blieb stets die gefühlte Heimat Ratzingers. Sein kometenhafter Aufstieg brachte ihm auch Spott ein für den "Wanderpokal der theologischen Fakultäten". Seine unsteten, letztlich Richtung Süden strebenden Stationen der 60er Jahre: Bonn, Münster, Tübingen, Regensburg.

Im entstehenden Hexenkessel Tübingen waren sie noch einmal gemeinsam aktiv: Ratzinger, der altmodische Radfahrer, und Küng, der mondäne Cabriofahrer und Dekan - der Ratzinger eigens aus Münster holte. Während der souveräne Küng das Aufbegehren der Studentenschaft geradezu als ein Nahrungsmittel für seine wachsende Rom-Kritik umzumünzen verstand, wurde der leise Ratzinger im Tübingen jener Tage zunehmend verstört von Trillerpfeifen und Sit-ins. Seine "Revolution" war ausschließlich geistlicher, innerlicher Natur: ein "Zurückdrehen", eine Rückkehr zur ursprünglichen Inspiration durch die Heilige Schrift und die Kirchenväter anstelle scholastischer Verkrustung hatte er im Sinn gehabt. Umstürze oder Aggression - egal welcher Art - niemals.

Hans Küng beim ökumenischen Kirchentag 2010 in München.
Bild: ©dpa/Andreas Gebert

Hans Küng beim ökumenischen Kirchentag 2010 in München.

Vom Stürmer zum Verteidiger

Nach dem "Tübinger Trauma" der Studentenproteste 1968 war der Theologe Ratzinger kein Stürmer mehr, sondern Verteidiger. Er floh ins ruhigere Regensburg. Fortan mied er jede kritische Öffentlichkeit, versuchte das Denksystem der katholischen Dogmatik und die katholische Tradition gegen "modernistischen Relativismus" und eine marxistisch orientierte, radikale Theologie zu schützen sowie die Alte Messe und die Volksfrömmigkeit seiner Jugend gegen Lauheit und liturgische Experimentierfreude zu verteidigen. Oder, in der Lesart seiner Anhänger: Benedikt XVI. stehe fest zum Konzil, das er selbst mit geprägt habe - allerdings nicht immer zu der allzu liberalen Konzilsinterpretation in der westlichen Welt. Die Würzburger Synode (1971-1975) lehnte er als partizipative Selbstbespiegelung ab.

Küngs Konflikte mit dem Vatikan - die wichtigsten Themen waren Zölibat, päpstliche Unfehlbarkeit, Frauenpriestertum - verschärften sich. 1979 verlor er seine Lehrerlaubnis. Seitdem war er als "Kirchenkritiker" und "Gegenpapst von Sursee" ein unernannter, aber stets gefragter Wortführer der kirchlichen Linken.

Die Aufkleber, grundgelegt im Jahr der Revolte 1968, halten bis heute. Die beiden Jungstars von einst sind beide über 90 Jahre alt. Küng applaudiert der "Revolution" des heutigen Papstes Franziskus, und Benedikt XVI. bemüht sich, soviel Deutungshoheit über sein Bild für die Geschichtsbücher zurückzugewinnen wie möglich.

Von Alexander Brüggemann (KNA)

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