Gastbeitrag von Bischof Ulrich Neymeyr zu Allerheiligen

"Keiner marschiert als perfekter Christ in den Himmel"

Veröffentlicht am 01.11.2015 um 10:00 Uhr – Von Ulrich Neymeyr – Lesedauer: 
"Keiner marschiert als perfekter Christ in den Himmel"
Bild: © KNA
Allerheiligen

Erfurt ‐ An Allerheiligen gedenkt die Kirche nicht nur der vom Papst Heiliggesprochenen, sondern auch der vielen Menschen, die unspektakulär und still ihren Glauben gelebt haben. Bischof Ulrich Neymeyr erklärt das Fest und seine Bedeutung.

  • Teilen:

In der Allerheiligenkirche in Erfurt ist die Hälfte der Kirche ein Kolumbarium - eine Stätte, an der die Urnen Verstorbener aufbewahrt werden. In schön gestalteten Wänden, die in der Kirche aufgestellt wurden, haben die Urnen einen würdigen Platz gefunden. Oft kommen Angehörige der Verstorbenen hierher, um an sie zu denken. Die Gläubigen sprechen dabei auch ein Gebet. Allerdings wissen sie nicht, ob sie für ihre lieben Verstorbenen beten sollen, dass sie gut ins Reich Gottes, in den Himmel kommen, oder ob sie zu ihnen beten sollen, also ob sie den Verstorbenen ihre Nöte und Sorgen sagen und sie um Hilfe bitten sollen.

Wir Christen wissen nicht, ob unsere lieben Verstorbenen schon zu den auf ewig verherrlichten Gliedern der Kirche gehören, die schon zur Vollendung gelangt sind. Diese Frage stellt sich nicht nur für unser persönliches Beten, sondern auch für das öffentliche Gebet der Kirche.

Besondere Verehrung und Flehen um Solidarität

Zu Beginn der Kirche wurden die christlichen Märtyrer ganz selbstverständlich in besonderer Weise verehrt und im Gottesdienst um ihre Hilfe gebeten. Die Gemeinde versammelte sich an ihrem Grab und erflehte die Solidarität derer, die für ihre christliche Glaubensüberzeugung nicht nur Nachteile wie Enteignung oder Verbannung auf sich genommen hatten, sondern eine mitunter grausame Todesstrafe.

Linktipp: Lichter für die Toten

Am 1. und 2. November begeht die Kirche Allerheiligen und Allerseelen, die quasi zu einem Doppelfest verschmolzen sind. Katholisch.de erkläret, worum es dabei geht. Besonders an Allerheiligen ist das Totengedenken nur ein Teilaspekt.

Seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts wurden nicht nur Märtyrer im öffentlichen Gottesdienst um ihre Fürsprache angefleht, sondern auch andere Persönlichkeiten, deren Ruf der Heiligkeit feststand. Sehr bald ergab sich die Notwendigkeit, dass die Bischöfe ordnend eingriffen und festlegten, wer in ihrem Bistum als Heiliger im öffentlichen Gottesdienst verehrt werden durfte. So wurde zum Beispiel für Martin von Tours festgelegt, dass er als Heiliger verehrt werden durfte, obwohl er kein Märtyrer war.

Im Jahre 993 nahm zum ersten Mal ein Papst eine Heiligsprechung vor: Johannes XV. gestattete die öffentliche Verehrung des Bischofs Ulrich von Augsburg. Allerdings war sich die Kirche schon immer bewusst, dass es neben den öffentlich und offiziell verehrten Heiligen eine unendlich große Schar von Heiligen gibt. Schon im 4. Jahrhundert ist ein eigener Festtag für alle Heiligen bezeugt. In Irland wurde dieser Festtag auf den keltischen Neujahrstag, den 1. November, gelegt. Man wollte damit auch heidnisches Brauchtum gewissermaßen taufen, das heute noch an Halloween weiterlebt. Die Iren brachten diese Tradition in die USA und von dort aus ist sie eigentlich relativ spät auch nach Deutschland gekommen.

Die frohe Hoffnung bewussthalten

Durch das schöne Fest Allerheiligen hält die Kirche die frohe Hoffnung bewusst, dass es unendlich viele Christen gibt, die schon zur Vollendung gelangt sind, die uns durch ihr Beispiel ermutigen und auf deren Fürsprache wir vertrauen können.

Im persönlichen Gebet muss nicht in einem eigenen Verfahren festgestellt werden, ob wir einen Heiligen um seine Fürsprache bitten dürfen oder ob wir für ihn beten sollen. Nicht selten können wir beides zugleich. Wir können in einer bedrängten Situation etwa unsere verstorbenen Eltern um ihre Fürsprache bitten und zugleich morgen am Allerseelentag an ihrem Grab für sie beten.

Player wird geladen ...
Video: © katholisch.de

Ein Rundgang über den Alten Friedhof in Bonn.

Im privaten Gebet ergibt sich wohl eher die Herausforderung, dass es Menschen gibt, die wir sowieso nicht um ihre Fürsprache bitten würden, für die wir aber auch nicht beten können oder wollen, weil sie uns zu Lebzeiten übel mitgespielt haben. Zerwürfnisse und Rachegedanken reichen über den Tod hinaus.

Zumuntung und Ermutigung des Glaubens

Zwei Überlegungen können hier heilsam bohren: Die Kirche erlaubt sich zwar ein Urteil darüber, wer heiligmäßig gelebt hat und wer als Heiliger verehrt werden darf, sie erlaubt sich aber kein Urteil darüber, wer sein Leben endgültig verfehlt hat und von Gott verdammt wurde. Einer der Gründe dafür ist, dass Jesus einen Menschen heiliggesprochen hat, der ein schlimmes Gewaltverbrechen begangen hat. Zum Schächer am Kreuz, der mit ihm hingerichtet wurde, sagte er nach dem Zeugnis des Lukas-Evangeliums: "Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein." (Lk 23,43) Dieser Satz hat allerdings eine Vorgeschichte. Es sind zwei Beine, auf denen dieser Mann ins Paradies marschiert: Umkehr und Glaube, ausgedrückt in zwei Sätzen, die dieser Mann am Kreuz gesagt hat: "Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten." (Lk 23,41) Und: "Jesus, denk an mich, wenn du in deiner Macht als König kommst." (Lk 23,42)

Wir wissen nicht, welcher Verstorbene - gleich wie er gelebt hat - im Angesichte Jesu diese Sätze über die Lippen bringt und so ins himmlische Jerusalem aufgenommen wird. Keiner marschiert als perfekter Christ in den Himmel. Alle haben Umkehr nötig und brauchen das Vertrauen auf die Barmherzigkeit des Herrn. Es ist eine der Zumutungen unseres christlichen Glaubens, niemandem von unserem Gebet für das Seelenheil der Verstorbenen auszuschließen und es ist eine große Ermutigung unseres christlichen Glaubens, dass wir die Menschen, die im Leben für uns da waren, auch im Tod um ihre Solidarität und Fürsprache bitten dürfen. Von der heiligen Theresia von Lisieux ist der Satz überliefert: "Ich werde meinen Himmel damit verbringen, auf Erden Gutes zu tun."

Der Autor

Ulrich Neymeyr (*1957) ist seit 2014 Bischof von Erfurt. Zuvor war er elf Jahre Weihbischof im Bistum Mainz. In der Deutschen Bischofskonferenz ist Neymeyr stellvertretender Vorsitzender der Jugendkommission und Mitglied der Publizistischen Kommission.
Von Ulrich Neymeyr