Kirche, Kirmes, Kultur
Doch das tut dem Fest keinen Abbruch: Weiterhin besuchen täglich Tausende Gottesdienst, kulturelle Veranstaltungen und den Jahrmarkt. Die drei Ks regieren Paderborn: Kirche, Kirmes, Kultur.
Zum 50. Mal dabei
Im vollbesetzten Dom feiern die Gläubigen Eucharistie. Die Gemeinde singt die Lieder aus dem Gotteslob laut und mit voller Stimme. Der Altar ist festlich mit Blumen geschmückt. Die Zelebranten schwenken Weihrauch. Während des Festes findet im Dom täglich ein Pontifikalamt statt. Gerade ist der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode zu Gast, der früher Weihbischof in Paderborn war und in seinen 63 Jahren Lebenszeit rund 50-mal "irgendwie am Libori-Fest beteiligt war", wie er es formuliert. Andächtig lauschen die Gläubigen seiner Predigt, es geht um die Aufgaben von Ordensleuten in der heutigen Zeit. Auch die vor wenigen Tagen bekannt gewordenen hohen Austrittszahlen aus der Kirche sind ein Thema.
Draußen zeigt sich das Libori-Fest von einer anderen Seite. Direkt neben dem Dom brummt der Pottsmarkt. Stände mit Reibekuchen oder Currywurst und Pommes verströmen einen verführerischen Duft, in einer Bude begutachten Besucher Kunsthandwerk und Schmuck, daneben werden Körbe, Gewürze oder eben Pötte verkauft – also Töpfe. Vor einem Stand hat sich eine kleine Traube gebildet. Ein Verkäufer, dessen Dialekt an Jürgen Klinsmann erinnert, wird nicht müde, sein Produkt anzupreisen.
Werbung für den "Speedcleaner"
Der "Speedcleaner" soll Fenster effizienter sauber bekommen, als alles, was bisher auf dem Markt ist. Um das zu demonstrieren, hat der Mann ein Fenster aufgebaut, das er mit dem besonderen Schwamm unermüdlich putzt – egal ob Haarspray oder Öl, er wischt alles weg. Wer sich zum Kauf entschließt, profitiert vom besonders günstigen "Libori-Angebot". Die Passanten sind beeindruckt. "Haben Sie dieses Putzsystem?", fragt einer den anderen im Vorbeigehen.
Kirche und Kirmes, Glaube und Kommerz – beides liegt beim Libori-Fest eng beieinander. Ist das nicht ein Gegensatz? Klaus Zacharias schmunzelt: "Nein, das ist doch gerade das Besondere", erklärt er. Der schlanke Mann mit der blauen Jeans, dem weiß-rot gestreiften Hemd und den tiefliegenden braunen Augen hinter der Brille ist Stadtführer. Er hat sich als pensionierter Lehrer mit den Fächern Deutsch, Geschichte und Religion vorgestellt. Routiniert führt er die Gruppe durch die überfüllte Innenstadt, weiß auch auf jede Frage eine Antwort, streut hier und da eine Anekdote ein.
Auch Susanne Vogt lauscht seinen Erklärungen. Die 48-jährige Bibliothekarin stammt aus Paderborn, hat die Stadt aber im Alter von 19 Jahren verlassen und lebt nun in Mannheim. Doch jedes Jahr zum Libori-Fest kommt sie zurück. "Ich besuche dann meine Familie und treffe viele Freunde von früher wieder", sagt sie, während sie Stadtführer Zacharias zur nächsten Station folgt. Der geistliche Aspekt spielt für sie keine Rolle: "Klar, es ist ein kirchliches Fest, aber das ist nicht mein Hauptinteresse", sagt sie und zuckt mit den Achseln.
Die Paderborner und ihr Fest
Das ist bei der sechsköpfigen Familie anders, die es sich gerade auf den Bierbänken im "Libori-Treff" der katholischen Erwachsenenverbände gemütlich gemacht hat. Auf dem Tisch stehen noch die Reste von Kaffee und Waffeln, die gerade verspeist wurden. "Beides ist wichtig – das Kirchliche und das Gesellige", ist man sich hier einig. Großeltern Edelgard und Karl Wenig, Eltern Dagmar und Gregor Reker und die Kinder Torge (1 Jahr) und Alina (4 Jahre) sind begeisterte und regelmäßige Besucher des Stadt- und Patronatsfestes.
Die älteste Generation hat in diesem Jahr alle großen Gottesdienste mitgemacht. Karl Wenig begeistert vor allem die Kirchenmusik: "Was der neue Domorganist Tobias Aehlig da leistet, ist phänomenal", schwärmt er. Schwiegertochter Dagmar ergänzt: "Wenn die Kinder älter sind, dann gehen wir mit ihnen auch wieder in die Gottesdienste – ich will ihnen ja schließlich etwas vermitteln".
Ob Kirche, Kultur oder Kirmes: Mit wem man auch spricht, es entsteht der Eindruck, dass das eine besondere Beziehung ist zwischen den Paderbornern und ihrem Fest. Das bestätigen auch die Rekers. Ehemann Gregor plant den großen Familienurlaub extra so, dass er zeitlich nicht mit Libori zusammenfällt. Für Dagmar Reker ist das gar keine Frage: "Als echter Paderborner geht man einfach zu Libori", sagt sie, Überzeugung spricht aus ihrer Stimme.
Audioslideshow: Kaum einer kennt die Geschichte des Heiligen Liborius und seine Spuren in der Paderborner Innenstadt so gut, wie Gästeführer Klaus Zacharias. In einem Stadtrundgang zeigt er die zwei Liborius-Kapellen, von deren Existenz nur wenige wissen. In der Domschatzkammer erläutert er die Motive auf dem goldenen Schrein und mitten im Zentrum der Stadt erklärt er die Symbolik einer Säule, von der der Heilige Liborius aus das tägliches Geschehen in der Innenstadt überwacht.
Boarding am Riesenkarussell
Schließlich sei das Fest der beste Anlass überhaupt, um alte Freunde und Weggefährten wieder zu treffen: "Eigentlich noch mehr als an Weihnachten – da sind die meisten ja zu Hause mit ihrer Familie zusammen. Aber zu Libori geht man raus". Und das Fest zieht offensichtlich auch viele Menschen außerhalb der rund 150.000 Einwohner zählenden Stadt an. Mit rund 1,5 Millionen Menschen kommen Jahr für Jahr.
Auch auf der 1,6 Kilometer langen Kirmes-Meile mit den 140 Schaustellern ist schon am frühen Abend viel los. Am Riesenkarussell heißt es gerade "Boarding", der Ordner schließt die Absperrung, die Beine zweier Jungen baumeln aufgeregt aus ihren Sitzen, dann zieht sich das Karussell 55 Meter nach oben und beginnt sich zu drehen. Vor der Achterbahn steht ein überdimensional großer Geist, der kreischenden Kindern und jungen Mädchen hinterhersteigt. Und auch hier, auf der weltlichen Amüsiermeile, ist die Kirche nicht weit: Mitten auf der Kirmes steht eine kleine Kapelle. Geweiht ist sie dem Heiligen Liborius.
Von Gabriele Höfling