Kirchenmann mit komödiantischem Talent
Zur Trauerfeier kam eine ungewöhnlich hohe Zahl an Bischöfen: 60 Oberhirten, darunter fünf Kardinäle, nahmen im Aachener Dom an der Beisetzung von Klaus Hemmerle teil. Der vor 25 Jahren gestorbene Aachener Bischof hatte bei vielen Mitbrüdern offenbar nachhaltigen Eindruck hinterlassen. In seiner Predigt warf der damalige Bischofskonferenz-Vorsitzende Karl Lehmann die Frage auf, ob "vielleicht ein heiligmäßiger Priester und Bischof zu Grabe getragen" werde, ohne dass man es richtig bemerkt habe.
Klaus Hemmerle erlag am 23. Januar 1994 im relativ jungen Alter von 64 Jahren einem Krebsleiden. Der Theologe hatte Wortwitz und eine große spirituelle Ausstrahlung. Lehmann würdigte beim Requiem die "Zauberkraft seines Denkens" sowie seine verbindende und versöhnliche Art. Er habe so einfach und so tief gesprochen, dass es "die Marktfrau ebenso verstand wie der Professor der Technischen Hochschule". Und: Dem "Mann des unermüdlichen Gesprächs" sei es darum gegangen, bei aller Verschiedenheit Gemeinschaft zu stiften und zu vertiefen.
Hemmerle, der am 3. April 1929 als Sohn eines Kirchenmalers in Freiburg im Breisgau zur Welt kam, wurde ein musisches Talent in die Wiege gelegt. Er selbst spielte Klavier und schrieb Gedichte. Prägend für seine Entscheidung, Priester zu werden, war ein Fliegerangriff und die Zerstörung seines Elternhauses am 27. November 1944.
Hemmerle studierte in Freiburg Theologie und empfing 1952 die Priesterweihe. Zwei Jahre später wurde der Schüler von Bernhard Welte mit einer religionsphilosophischen Arbeit promoviert. In der Folge baute er die Bischöfliche Akademie in Freiburg auf. Nach seiner Habilitation 1967 wechselte er als Geistlicher Direktor zum Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) nach Bonn und wurde später geistlicher Assistent des obersten katholischen Laiengremiums.
In diesen Ämtern prägte er die Katholikentage in Essen (1968), Trier (1970) und Mönchengladbach (1974) sowie die Würzburger Synode der deutschen Bistümer (1971-1975) mit. Dass nach 1968 die deutschen Katholiken "trotz aller Pluralität eine Einheit blieben", sei der Integrationsfigur Klaus Hemmerle zu verdanken, würdigte der frühere ZdK-Präsident Hans Maier seinen Schulkameraden. Mit seiner "komödiantischen Begabung" und Liebe zu Schüttelreimen habe er manche Verhärtungen aufgelöst.
Hemmerle war in Bochum Professor für Fundamentaltheologie und in Freiburg für Christliche Religionsphilosophie, bevor er 1975 zum Bischof von Aachen berufen wurde. Sein Wahlspruch "Dass alle eins sein, damit die Welt glaubt" war programmatische Leitlinie für sein bischöfliches Wirken. Wie viele Oberhirten heute sah auch Hemmerle eine wachsende Entfremdung zwischen Kirche und Gesellschaft und eine "Art Säkularisierungsschub".
Angesichts sinkender Katholiken- und Priesterzahlen maß der Bischof, der zur geistlichen Gemeinschaft der Fokolar-Bewegung gehörte, den Laien eine große Bedeutung zu: "Das dritte Jahrtausend ist die Stunde des Volkes Gottes, und der Laie ist der Ernstfall der Kirche." Wenn ein Priester mehrere Gemeinden betreut, müsse dies keine "Mangel-Verwaltung" sein, sondern könne Chance zu einem "neuen Stil des Miteinanders" sein.
Trotz Termindrucks auch im bischöflichen Kalender legte Hemmerle Wert auf Zeit für geistliche Besinnung und Studium "mitten im Tag". Denn die Menschen könnten nur dann ihrer Berufung gerecht werden, wenn sie nicht aus dem eigenen, sondern aus dem Wort Gottes lebten. Mit politischen Äußerungen hielt sich der Bischof eher zurück. Er warnte aber nachdrücklich vor Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl und nannte Ausschreitungen gegen Ausländer ein "überaus ernstzunehmendes Warnzeichen".
Dem zunehmenden Alter sah Hemmerle gelassen entgegen. Für Glückwunsche zu seinem 60. Geburtstag, wenige Jahre vor seiner Erkrankung, bedankte er sich mit folgendem Satz: "Für den Christen bedeutet Älterwerden nicht Kleinerwerden, sondern Größerwerden der Zukunft. Mit dem Abnehmen der Möglichkeiten wächst die Möglichkeit, die aus der Nähe des Wirklichen, des Lebendigen, des Herrn entspringt."