Kita, Sommerlager, Beichte: Wie die Kirche Missbrauch verhindern will
In der Debatte um Missbrauch in der katholischen Kirche ist neben der Aufarbeitung die Prävention ein wesentlicher Aspekt. Am Freitag will eine Fachtagung der Deutschen Bischofskonferenz in Köln unter dem Leitwort "Präventionserprobt!? - Katholische Kirche auf dem Weg zur nachhaltigen Prävention von sexualisierter Gewalt" eine Zwischenbilanz ziehen. Mitveranstalter sind die Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK) und der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig. Die Präventionsbeauftragte des Erzbistums Köln, Manuela Röttgen, schildert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) konkrete Schutzmaßnahmen für verschiedene Einsatzbereiche.
KNA: Frau Röttgen, die Prävention sexualisierter Gewalt beginnt schon in Kitas und Krabbelgruppen - was ist dort zu beachten?
Röttgen: Hier gilt das Prinzip, dass Erwachsene nach Möglichkeit nicht allein mit einem einzelnen Kind in einem Raum sind. Die Einrichtungen sollten beispielsweise bei der Wickelsituation die Prävention im Blick haben: Ein Kind muss nicht zwingend unbeobachtet bei geschlossener Tür gewickelt werden. So besteht die Möglichkeit die Tür zum Wickelraum einen Spalt geöffnet zu lassen. Damit das nackte Kind nicht in der Zugluft liegt, könnte ein Wärmelampe helfen. Ein Sichtfenster auf Augenhöhe von Erwachsenen könnte auch eine Maßnahme sein, um den Raum nicht völlig abzuschotten und das Kind dennoch vor den Blicken der anderen Kinder geschützt ist. Ältere Kinder könnten auch gefragt werden, von wem sie eine neue Windel bekommen wollen oder wer sie auf die Toilette begleiten soll. Bei Neubauten von Einrichtungen sollte beachtet werden, dass der Wickelbereich nicht in der hintersten Ecke platziert wird.
KNA: Worauf liegt der Fokus in den Schulen?
Röttgen: In unseren Präventions-Schulungen weisen wir immer darauf hin, dass manchmal Verhaltensweisen nicht richtig als Grenzverletzung erkannt werden. Beispielsweise sollte ein Lehrer oder eine Lehrerin bei der Kontrolle, ob alle Schülerinnen und Schüler die Turnhalle verlassen haben, nicht nur anklopfen, sondern auch auf ein "Herein"-Zeichen warten, ehe er die Umkleide betritt. Das Argument "man habe ja angeklopft" zählt dann nicht, wenn die Schülerinnen oder Schüler noch in Unterwäsche im Raum stehen. Oder bei vertraulichen Gespräche zwischen Lehrern und Schülern in einem Klassenraum ist aus Präventionsgründen ernsthaft zu überlegen, die Tür einen Spalt oder ganz offen stehen zu lassen. So kann jeder sehen, dass ein Gespräch stattfindet und es ist transparent - wobei klar sein sollte, dass das Gespräch nicht auf dem Flur zu hören ist. Zusätzlich kann die Schulleitung vorab darüber informiert werden, dass ein Gespräch mit einem Schüler zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Rahmen stattfindet.
KNA: Jugendfahrten finden häufig in lockerer Atmosphäre statt - ein Risiko?
Röttgen: Da haben wir schon seit Jahren die Vorschrift, dass zum Beispiel Betreuerinnen und Betreuer sich nicht mit den Jugendlichen gemeinsam umziehen sollen, sondern immer die Einzelkabine wählen. Und die Leiterrunde überprüft auch, ob bei Jugendfreizeiten immer schon eingesetzte Spiele unter heutigen Standards noch in Ordnung sind. Früher hat man nicht unbedingt die Aspekte des respektvollen Umgangs miteinander oder ein angemessenes Nähe- und Distanz-Verhalten bedacht. Je nachdem müssen die Organisatoren heute sagen, wenn das Spiel für jemanden übergriffig ist, dann lassen wir lieber davon ab.
KNA: Was bedeutete Prävention in der Seelsorge?
Röttgen: Prävention muss alle Bereiche im Blick haben: Bei der Vorbereitung zur Erstkommunion schlagen wir beispielsweise vor, die Situation der erstmaligen Beichte räumlich zu verlegen. Die Verantwortlichen könnten überlegen, nicht den Beichtstuhl oder das Beichtzimmer zu nutzen, sondern eine Möglichkeit im Altarraum zu bieten. Die wartenden Kinder sitzen in den Kirchenbänken und unterhalten sich leise mit den Katecheten. So erfahren diese auch zugleich, dass bei der Beichte nichts Schlimmes passiert. Zudem ist für das Kind, das die Erst-Beichte erlebt, transparent, dass es nicht alleine ist.
KNA: Schutzbedürftige müssen nicht immer Kinder sein - Behinderten- und Altenhilfe sowie Krankenhäuser stellen sicher auch spezielle Anforderungen.
Röttgen: Ja, Prävention gilt auch für den Bereich der Pflege. In dem Bereich haben die Mitarbeiter aufgrund der Pflege ganz engen körperlichen Kontakt. Wie kann man die Pflege professionell gestalten, ohne Grenzen zu verletzen? Die Pflegebedürftigen sollten wertschätzend einbezogen werden: Was kann derjenige noch selber machen? Wo kann die Pflegekraft behilflich sein? Im Klinik oder Heimalltag geht dies leider oft wegen des Personalmangels unter.
KNA: Gibt es Bereiche, wo ein Präventionskonzept nicht umgesetzt werden kann?
Röttgen: Wir müssen uns immer und überall um eine achtsame Haltung einem anderen gegenüber bemühen. In einer Ferienfreizeit-Planung sollte beispielsweise immer darauf geachtet werden, dass die Jugendlichen in getrenntgeschlechtlichen Räumen schlafen können. Was aber tun, wenn eine Gruppe in die Berge auf eine Hütte fahren will, wo es aber nur einen Schlafraum gibt? Dann müssen die Betreuer dafür sorgen, dass in der einen Ecke die Jungs und in der anderen die Mädchen schlafen.
KNA: Das Erzbistum Köln will Opfer sexueller Gewalt durch einen Betroffenenbeirat in die Präventionsarbeit einbinden. Was ist davon zu erhoffen?
Röttgen: Die Erfahrungen und die Kompetenz der Betroffenen können helfen, andere vor Missbrauch zu bewahren und sensibler zu werden. Daher sind sie sehr wertvoll für die Präventionsarbeit. Es sind manchmal Kleinigkeiten, wie Formulierungen in einer Broschüre, die vielleicht genau das Gegenteil bewirken, was wir beabsichtigen.
KNA: Wie lässt sich das Bewusstsein für Prävention in kirchlichen Einrichtungen verankern?
Röttgen: Als Christen sollen wir in allen Bereichen wertschätzend und lebensfördernd miteinander umgehen. Die Besinnung auf die Menschenfreundlichkeit Gottes, das ist Ursprung aller Prävention und unser Auftrag. Wesentlich ist, dass die Trägerverantwortlichen und Führungskräfte den Schutzauftrag ihren Mitarbeitern vorleben. Denn dann wird es für alle selbstverständlich, die Maßnahmen umzusetzen, wie beispielsweise auch bei ehrenamtlichen Mitarbeitern, wenn notwendig, ein erweitertes Führungszeugnis zu verlangen. Es geht um eine Kultur der Achtsamkeit, und die Einrichtungen können ein Präventionskonzept als weiteres Gütesiegel ihrer guten Arbeit ansehen.