Klosterbau wie im Mittelalter
Funken stieben bis unters Dach der Holzhütte, der Blasebalg drückt die Luft zischend ins Kohlefeuer. Dann packt Johannes Wolff das rotglühende Eisen und beginnt den flachen Stahl mit präzisen Hammerschlägen zu einer langgezogenen Schneide zu schmieden. "Heute Morgen hat der Zimmermann gesagt, er benötigt noch ein Ziehmesser für die letzten Arbeiten an der Holzkirche." Zehn Kinder stehen mit ihren Eltern um die Schmiede aus roh behauenen Holzbalken und beobachten gebannt jeden Arbeitsschritt. Mittelalterliche Handwerkskunst auf der Klosterbaustelle Campus Galli.
Was 2012 als wagemutiges Experiment begann und von vielen Kritikern als Spinnerei oder Geldverschwendung abgetan wurde, hat die schwierige Startphase hinter sich gelassen. In einem 25 Hektar großen Waldgebiet vor den Toren der baden-württembergischen Kleinstadt Meßkirch machen sich Zimmermänner und Schmiede, Schreiner und Steinmetze, Töpfer und Weberinnen daran, mit den Werkzeugen des neunten Jahrhunderts eine frühmittelalterliche Klosterstadt zu errichten. Ohne Beton, Stahlträger und Digitaltechnik. Dafür mit großer Leidenschaft und dem Mut, sich auf Verfahren einzulassen, die Hunderte von Jahren vergessen waren.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Als Bauplan setzte Projektgründer Bert Geurten auf den von den Mönchen der Bodenseeinsel Reichenau gezeichneten Sankt Galler Klosterplan von 820 - die älteste überlieferte Architekturzeichnung des Abendlands. Der mit roter Tinte auf Pergament gezeichnete Bauplan entwirft detailliert die zahlreichen Gebäude einer idealtypischen Karolingischen Klosteranlage mit Zellen, Kreuzgarten, Wirtschaftsgebäuden, Stallungen, Schule, Gästehaus, Bibliothek, Gemüsegarten und Friedhof - alles fügt sich zu einem harmonischen Ganzen mit der gewaltigen Abteikirche als Zentrum. Niemals wagte sich ein Baumeister an die Realisierung - bis heute.
Arbeit im engen Kontakt mit der Wissenschaft
"Im Moment haben wir rund 30 Handwerker, die an dieser Mammutaufgabe arbeiten", sagt Geschäftsführer Hannes Napierala. Der promovierte Archäologe leitet seit zwei Jahren das bundesweit einzigartige Projekt. Eine Mischung aus Freilichtmuseum, Zeitreise und historisch-archäologischer Forschungsstätte. "Wir versuchen uns so weit wie irgend möglich an die Arbeitsweisen von vor 1.200 Jahren heranzutasten. Dabei stehen wir in engem Kontakt mit der Wissenschaft und können in der Praxis erproben, ob theoretische Forschungsergebnisse belastbar sind", sagt Napierala. Auch wenn manchmal die Vorschriften der Berufsgenossenschaft über historische Authentizität siegen: So treffen moderne Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen auf handgenähte grobe Leinenhosen.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Hans Lässig steht auf dem Stangengerüst des künftigen Getreidespeichers. Hier wachsen alte Sorten Bohnen, Hirse, Emmer oder Dinkel. Mit Dinkelstroh deckt er Schicht für Schicht des Dachs der kleinen Speicherhütte. Ein handgeschnitztes, paddelförmiges Holz nutzt er zum Festklopfen der störrischen Bündel. Hilfe kommt von Familie Mercamp. Schon zum zweiten Mal verbringt das Paar mit drei Kindern eine Urlaubswoche auf dem Campus. "Besser als Mallorca", sagt Stefan Mercamp. Im normalen Leben ist er IT-Manager, jetzt wuchtet er auf einem Handkarren Steine, um die Wassersammelstelle auszubessern. Eine Kooperation gibt es zudem mit einem Langzeitarbeitslosenprojekt: Mehrere ehemalige Ein-Euro-Jobber haben hier eine feste Arbeitsstelle gefunden. Und ein Verein kommt regelmäßig mit schwer erziehbaren Jugendlichen zum Mitarbeiten.
Bürgermeister Arne Zwick musste anfangs harte Kämpfe ausfechten. Kritiker warfen ihm vor, öffentliche Gelder zu verschwenden. "Inzwischen haben alle erkannt, dass das Projekt ein Gewinn für die gesamte Region ist", sagt er und verweist auf steigende Übernachtungszahlen und Gewinne in Gastronomie und Handel. Rund 1,5 Millionen Euro hat Meßkirch bisher investiert; auch das an den Trägerverein verpachtete Grundstück gehört der Stadt. Nach verhaltenem Start stiegen die Besucherzahlen zuletzt jährlich um rund 20 Prozent. 60.000 werden für 2016 erwartet. In drei Jahren soll sich die Baustelle vollständig ohne städtische Zuschüsse finanzieren.