Nikodemus Schnabel: "Kloster auf Zeit" könnte das Zukunftsmodell sein
Gerade ist Pater Nikodemus Schnabel für rund ein Jahr in Berlin. Doch sonst lebt deutsche Ordensmann in der Dormitio-Abtei in Jerusalem. Das Sterben vieler Klöster in Deutschland kann er deswegen aus einem gewissen Abstad analysieren – und macht einen Vorschlag für einen Weg aus der Krise.
Frage: Pater Nikodemus, wie schnell und dramatisch den Orden die Mitglieder wegbrechen, das ist ein historisches Phänomen, das es so seit der Säkularisation nicht mehr gegeben hat. Warum ausgerechnet jetzt?
Pater Nikodemus: Wir können zumindest tröstend sagen: Die Kirche hatte nach dem Zweiten Weltkrieg ein Allzeithoch. Das zeigten nicht nur die Ordensberufungen, sondern auch Priesterberufungen, proppenvolle Kirchen. Nach dem moralischen Bankrott des Nationalsozialismus war die Kirche der einzige verbliebene Anker. Sie war Teil einer allgemeinen Suche, wohin die Menschheit mit diesem Planeten eigentlich steuern will. Diese Zeit hat geniale Theologen, geniales Denken hervorgebracht – bis hin zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Und nun gibt es beim Ordensleben eben einen Abbruch hin zu Zahlen, die vielleicht realistischer sind. Das ist bei Taufen und Kirchenmitgliedschaft ja nicht anders.
Frage: Aber das Ordenssterben nur darauf zurückzuführen, greift doch zu kurz! Viele Orden müssen jahrhundertealte Klöster aufgeben, nicht solche aus den 1950er oder -60er Jahren…
Pater Nikodemus: Ja, das stimmt, das wäre zu bequem. Vielmehr haben sich auch die Lebensumstände der Menschen geändert. Wir sind mobil wie nie, wechseln die Stadt, den Arbeitsplatz, den Partner. Wir leben in Lebensabschnitten. Da hat es ja fast schon etwas Bedrohliches, wenn Orden sagen: 'Herzlich willkommen – und das hier ist für die nächsten 50 Jahre dein Zuhause.' Mir sagen immer wieder Leute, dass sie es sich nicht vorstellen können, ein ganzes Leben an eine Gemeinschaft gebunden zu sein. Sehr wohl würden sie aber mal raus aus ihrem jetzigen Leben und ein, zwei Jahre intensiv bei uns sein. In der Dormitio-Abtei gibt es regelmäßig Volontäre und die Studierenden unseres Theologischen Studienjahrs. Vielleicht könnte das ja in einem viel größeren Maß ein Zukunftsmodell für die Orden sein: Natürlich braucht es immer die Kernmannschaft, die Radikalen im guten Sinne, die lebenslänglich Ja zum Klosterleben sagen. Aber die Gemeinschaften könnten sich viel mehr auch für Menschen öffnen, die nur auf Zeit im Kloster leben wollen.
Frage: Wie genau könnte das aussehen?
Pater Nikodemus: Das sollte schon einen Grad an Verbindlichkeit haben. Freiwilligendienste für junge Menschen nach der Schule oder während der Ausbildung sind das eine. Was ich meine, wäre ein anderes Modell – für Leute, die schon etwas gestandener sind, Berufserfahrung haben, mindestens 25 Jahre oder älter sind. Ihr Aufenthalt bei uns sollte eine andere Qualität haben als eine bloße Auszeit vom Alltag. Sie sollten bereit sein, voll mit im Kloster zu leben, in einer Art zeitlicher Profess: Sie tragen Ordenskleidung, haben einen Ordensnamen, nehmen am Stundengebet teil, übernehmen Tischlesungen und Dienste innerhalb des Ordens – wie ein Mönch, nur eben auf Zeit. Es könnte ein Vertrag geschlossen werden, der die Regeln festlegt. Der Vorteil: Dabei stünde nicht ständig die Frage Ja oder Nein, Mönch oder Nichtmönch am Horizont. Viele bisherige Annäherungsstufen an das Ordensleben – Kandidat, Postulant, Novize – sind ja vom ersten Tag an ausgerichtet auf diese lebenslange Entscheidung. Diesen Druck gäbe es dann nicht mehr.
Frage: Das würde aber nur bei einer Gemeinschaft wie Ihrer funktionieren, mit relativ vielen Mitgliedern und einer durchmischten Altersstruktur. Für eine Gemeinschaft mit fünf Ordensleuten zwischen 70 und 90 Jahren wäre das kein Überlebenskonzept. Die würden wohl auch auf Zeit niemanden anziehen….
Pater Nikodemus: Klar gibt es auch Gemeinschaften, die den "Point of no Return" überschritten haben. Nicht jedes Kloster kann mit aller Gewalt am Leben erhalten werden. Aber das kann auch ein guter geistlicher Prozess des Loslassens sein. Viele Orden haben ihre Aufgabe erfolgreich erfüllt. Das gilt gerade für karitative Frauenorden: Ich muss halt heute nicht mehr in den Orden, um Kranke zu pflegen oder um Lehrerin zu werden. Aber letztendlich heißt das doch: "Mission Accomplished." Man kann wirklich sagen: Wow, was haben die Orden Europa geschenkt, welche Durchbrüche in der Pflege, in der Mädchenbildung? Sie haben auf die drängenden sozialen Fragen des 19. Jahrhunderts wirklich Antworten gegeben. Ich würde mir wünschen, dass Kirche und Gesellschaft diese Dankbarkeit und Anerkennung für das Geleistete gegenüber diesen Orden viel stärker zeigen würden. Jetzt gilt es zu überlegen: Was sind die ungelösten Fragen der Gegenwart?
Frage: Was denken Sie – was sind die ungelösten Fragen der Gegenwart?
Pater Nikodemus: Das sind zum Beispiel Fragen von Sterbebegleitung. Sterben wird tabuisiert, am besten sollten die Menschen am Ende schnell das Licht ausknipsen, eine Pille nehmen und Schluss. Sonst ist da ja Leid und Ungewissheit und das wird als bedrohlich wahrgenommen. Orden könnten dagegen zeigen, dass das Sterben ein kostbarer Prozess des Abschiednehmens ist. Bis hin zu der Frage: Wer kümmert sich um die Obdachlosen, Aidskranken, Fixer, die unter der Brücke sterben? Es gibt da schon wunderbare Initiativen von Ordensgemeinschaften zum Beispiel für eine mobile Hospizarbeit.
Frage: Mit dem Abstand, den Sie als jemand haben, der die meiste Zeit im Ausland lebt: Stellen sich die Orden in Deutschland ihrer Situation ausreichend?
Pater Nikodemus: Da gibt es eine große Asymmetrie. Bei manchen sehe ich Mut und auch eine Lust auf Zukunft. Manche wollen alles noch genauso machen wie vor 50 Jahren. Und das ist durchaus verständlich, denn es ist nicht leicht, sich in einem hohen Alter nochmal ganz neu zu erfinden. Da gibt es sicher auch Ängste. Gleichzeitig ist es aber das Todesurteil für einen Orden, wenn er nicht bereit ist, sich zu ändern. Wenn wir Ostern ernst nehmen, dann können wir eigentlich schon angstfrei in die Zukunft gehen. Dann brauchen wir uns nicht mehr allzu sehr sorgen, wie es mit unseren Werken oder Häusern weitergeht – das ist ja etwas sehr Irdisches.
Frage: Kommt jetzt die Zeit der Neuen Geistlichen Gemeinschaften oder Gruppen wie des Neokatechumenalen Wegs oder der Legionäre Christi?
Pater Nikodemus: Ich oute mich gerne, dass ich ein Fan der alten Orden bin, wie etwa der Benediktiner, Zisterzienser, Augustiner oder Prämonstratenser: Die haben schon ein paar Jahrhunderte durchstanden und gezeigt, dass sie sich neu erfinden können. Die Klöster dieser alten Orden sind kunterbunte Haufen unterschiedlicher Typen, die ihre Spiritualität unterschiedlich leben – vom Extro- bis zum Introvertierten, vom Nerd bis zum Kulturbegeisterten. Bei manchen neuen Gemeinschaften vermisse ich manchmal diese bunte Vielfalt der Charaktere und der Spiritualität. Zu oft spielt mir die Gründergestalt auch eine zu zentrale Rolle. Mein Altabt hat mir mal gesagt, dass eine geistliche Gemeinschaft sich erst bewährt hat, wenn sie die vierte Generation erreicht hat und die Gründergestalt nüchtern-realistisch betrachtet wird. Sehr plakativ gesagt: Die alten Orden atmen, dank jahrhundertelanger Erfahrung, doch etwas mehr Freiheit.
Frage: Wie kann man Menschen außerdem noch für das Ordensleben begeistern?
Pater Nikodemus: Wir werden automatisch faszinierend, wenn wir etwas ausstrahlen. Wenn ich in ein Kloster komme und spüre, hier wird die Liturgie nicht heruntergespult, sondern da wird gut gepredigt, die haben die Gesänge geprobt, es gibt eine gute Kirchenmusik, dann springt möglicherweise etwas über. Das kann auch bei ein paar dünnen Stimmchen alter Ordensleute passieren, wenn ich nur spüre, da ist Leidenschaft, da ist Liebe dabei. Ich glaube das ist der ganz große Schlüsselbegriff: Liebevoll! Spüre ich, dass das, was getan und gefeiert wird, liebevoll getan und gefeiert wird? Natürlich macht ein schöner Gottesdienst noch keine Berufung – aber man kann den Gottesdienst vielleicht mit einem Date vergleichen. Wenn ich dorthin unmotiviert und ungewaschen gehe, und mich dann beschwere, dass die andere Person sich nicht verliebt, läuft etwas schief. Also könnten Orden ähnlich wie bei einem Date bei einem Gottesdienst für sich selbst werben. Klar kann man weder Verliebtheit noch Berufung erzwingen – aber man kann sich offen dafür zeigen, etwas Positives, Liebevolles ausstrahlen.