Österreichs Gretchen-Frage
Der längste Wahlgang um das höchste politische Amt in Österreich geht am Sonntag (4. Dezember) ins Finale. Im dritten Anlauf stehen sich der amtierende Vize-Parlamentspräsident Norbert Hofer (FPÖ) und der frühere langjährige Grünen-Sprecher Alexander Van der Bellen gegenüber. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte stellt kein Kandidat der beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP den Bundespräsidenten. Noch nie seit 1945 wurde ein ähnlicher Wahlgang durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben, der zuvor mit rund 31.000 Stimmen Überhang van der Bellen eine knappe Mehrheit gebracht hatte. Und schon lange nicht mehr war die christliche Wählerschaft so umworben und zugleich so verunsichert bis polarisiert wie jetzt.
Die Gründe dafür liegen zuerst an den beiden Kandidaten selbst: Weder Hofer (45) noch Van der Bellen (72) sind katholisch; auch dies eine Besonderheit. Das Staatsoberhaupt wird - im Unterschied zu allen anderen politischen Spitzen der Republik - direkt vom Volk gewählt. Vor diesem Hintergrund spielen persönliche Qualitäten sowie weltanschauliche und religiöse Haltungen der Kandidaten eine wichtige Rolle. Neu ist der Umstand, dass Religiöses bewusst - durch die "So wahr mir Gott helfe"-Plakate des FPÖ-Kandidaten Hofer - bei der Wahlkampagne eingesetzt wird.
Linktipp: "Gläubigkeit ist keine Wahlempfehlung"
Wie glaubwürdig ist es, den eigenen Glauben für einen politischen Wahlkampf zu instrumentalisieren? Darüber nachzudenken, empfehlen Österreichs Kirchen dem FPÖ-Bundespräsidenten-Kandidaten Hofer. (Artikel vom Oktober 2016)Wie halten es also die beiden Kandidaten mit der Religion? Auf die Gretchenfrage sprachen sie in Interviews der Wiener Kirchenzeitung "Sonntag" beide von einem positiven Einfluss religiöser Überzeugungen auf das soziale Zusammenleben. Der Agnostiker Van der Bellen sagte allerdings, er habe als Jugendlicher "den Glauben an den einen persönlichen Gott verloren". Gleichzeitig bekundete er "größten Respekt" vor der Bergpredigt als Kern der christlichen Botschaft. Der von der katholischen zur evangelischen Kirche übergetretene Hofer bezeichnete Religionen als "Leuchtturm" für die Menschen. "Unsere Gesellschaft würde nicht funktionieren, wenn es Religionen nicht geben würde", meint der FPÖ-Kandidat. In seinem persönlichen Glauben seien Dankbarkeit und das Verzeihen wichtige Werte.
Ungewohnt harte Auseinandersetzung
Diese positive Grundmelodie wird konterkariert von einer ungewohnt harten Auseinandersetzung, die sich beide Kandidaten und vor allem ihre Anhängerschaft in den sogenannten Sozialen Medien liefern. Diese wiederum wird befeuert durch die politische Großwetterlage: Flüchtlingskrise, Terrorgefahr, Arbeitslosigkeit und politische Schwäche Europas. Zurückhaltender als noch vor dem zweiten Wahlgang agieren die katholischen Kirchenspitzen. So gab es damals noch eine Empfehlung der Katholischen Frauenbewegung für Van der Bellen, die beim Salzburger Weihbischof Andreas Laun zu einer verbalen Entgleisung und zu einer Wahlempfehlung für Hofer führte. Diese Auseinandersetzung hatte ein klärendes Wort des Wiener Kardinals Christoph Schönborn zur Folge: Es werde "auch diesmal keine Wahlempfehlung der katholischen Kirche als solcher" geben.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz erklärte weiter, es sei "völlig legitim", wenn Katholiken "zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, was die Wählbarkeit der einzelnen Kandidaten betrifft". Eine gute Wahlentscheidung könne sich nicht nur auf Aussagen der Kandidaten zu Kernanliegen der Kirche wie dem Lebensschutz beziehen, sondern müsse auch die Haltung zu den Schwachen der Gesellschaft miteinbeziehen, zu denen auch Migranten gehörten. Sollten Katholiken nach ernsthafter Prüfung meinen, mit ihrer Wahlentscheidung an die Öffentlichkeit gehen zu müssen, dann "sollen sie dies respektvoll tun und in der Erkenntnis, dass niemand im Besitz der ganzen Wahrheit ist", mahnte der Kardinal mit Blick auf die lebhaften innerkirchlichen Diskussionen.
Zurückhaltend im Wahlkampf, aber deutlich bei politischen Sachthemen: Diese Linie hielten die Bischöfe durchwegs in den letzten Monaten. Anders als die Spitzen der evangelischen Kirchen, die die "So wahr mir Gott helfe"-Plakate des FPÖ-Kandidaten deutlich als Missbrauch im Sinne des zweiten Gebots kritisierten, blieben die katholischen Bischöfe inhaltlich zwar distanziert, aber leiser. Caritas-Bischof Benno Elbs bemerkte zu den Plakaten: "Gott ist hochpolitisch, aber nicht parteipolitisch". Vernehmbar blieben die Bischöfe in aktuellen Sachfragen. So kritisierten sie die auf Initiative der Regierung beschlossene Asyl-Obergrenze. Kardinal Schönborn setzte sich zuletzt deutlich für die Beibehaltung der bedarfsorientierten Mindestsicherung ein.
Im Kirchenvolk brodelt es dennoch weiter. Zuletzt öfters hat sich die "Katholische Aktion Österreich" (KAÖ) zu Wort gemeldet. "Gott für politische Ambitionen zu funktionalisieren, ist zutiefst abzulehnen", erklärte Gerda Schaffelhofer, Präsidentin der größten kirchlichen Laienorganisation, zu den FPÖ-Plakaten mit dem religiösen Zusatz zur Gelöbnisformel des Bundespräsidenten. Es gelte, hinter die "Scheinwelt der Wahlkampftaktik" zu blicken, so die KAÖ-Präsidentin: "Nicht jeder, der sich nach außen hin christlich gibt, weil er auf Wählerfang unter Christen ist, ist im Herzen auch tatsächlich Christ."