Der Tübinger Dogmatiker wird 90

Peter Hünermann: Dogmensammler und Konzils-Kommentator

Veröffentlicht am 08.03.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Tübingen ‐ Sein Name ist fast sprichwörtlich: Kaum ein Theologe, der nicht den "Denzinger-Hünermann", die Sammlung der katholischen Lehrentscheidungen, im Regal hat. Doch der Tübinger Dogmatiker ist weit mehr als nur trockener Dogmensammler. Heute wird er 90.

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Manche Personen haben sich durch ihre Publikationen einen bleibenden Platz im Bücherregal sämtlicher Theologinnen und Theologen gesichert. Hierzu zählen Karl Rahner und Herbert Vorgrimler mit ihrem Kompendium der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils ebenso wie Wilhelm Gemoll mit seinem Griechisch-Wörterbuch oder Erich Zenger mit seiner Einführung ins Alte Testament.

In besonderer Weise sind in dieser Aufzählung aber noch zwei andere Namen zu nennen: Heinrich Denzinger und Peter Hünermann. Das von Denzinger begründete "Enchiridion Symbolorum" ist das Standardhandbuch, wenn es um die wichtigsten Glaubensbekenntnisse und Lehrentscheidungen geht. Seit 1991 wird es in der Nachfolge von Adolf Schönmetzer vom ehemaligen Tübinger Dogmatiker Peter Hünermann herausgegeben. Anlässlich seines 90. Geburtstages gilt es, einen Blick auf das bewegte Leben des Theologen zu werfen, der mittlerweile aus keinem theologischen Bücherregal mehr wegzudenken ist.

Der Großvater verkaufte Isoliermaterial

Hünermann wurde am 8. März 1929 in Berlin geboren, der Großvater hatte dort eine Firma aufgebaut, die Isoliermaterial für Höchstspannungen produzierte. Die Familie war, so schildert es Hünermann selbst, nicht sonderlich religiös oder im kirchlichen Leben verwurzelt; seine Mutter stammte aus einem protestantischen Elternhaus und war erst mit ihrer Hochzeit zum Katholizismus konvertiert. Die Kindheit Hünermanns war besonders durch den erstarkenden Nationalsozialismus und den damit verbundenen Umbrüchen geprägt.

Werke von Herbert Vorgrimler zwischen verschiedenen Auflagen des Lexikons für Theologie und Kirche
Bild: ©katholisch.de/Felix Neumann (Symbolbild)

Standardwerke der Theologie: Der "Denzinger-Hünermann" ist so sprichwörtlich wie der "Vorgrimler" (in der Mitte).

Selbst die Familie war von Spannungen nicht ausgenommen: Ein Onkel Hünermanns war im Zuge des Ersten Weltkriegs Atheist geworden, während andere Geschwister des Vaters als Ordensfrauen oder Geistliche wirkten. 1939 wechselte Peter Hünermann auf das Gymnasium, doch bereits zwei Jahre später wurde die Klasse nach schweren Bombenangriffen auf Berlin in einen Ostseebadeort verlegt. Nach der Schließung aller Schulen 1943 kam Hünermann in ein Lager im von Deutschland besetzten Polen, wo er bis zum Kriegsende verblieb. Zunächst in Sigmaringen, machten sich die Mutter und die Kinder auf den Weg zurück nach Berlin; der Vater war mittlerweile in Gefangenschaft. Die Familie kam im Bistum Aachen bei einem Onkel, der Priester war, unter. Dort konnte Peter Hünermann 1949 auch seine Abiturprüfungen ablegen und plante zunächst, Architektur zu studieren.

Über Aachen nach Rom

Doch die Pläne änderten sich bald und Hünermann suchte Kontakt zur Diözese Aachen, um Priester zu werden. Aufgrund seiner herausragenden Abiturleistungen schickten ihn die Verantwortlichen zum Theologiestudium nach Rom, wo er seine Unterkunft im Germanicum fand. 1955 wurde Hünermann in Rom zum Priester geweiht, anschließend begann er die Arbeit an seiner Doktordissertation über die trinitarische Anthropologie bei Franz Anton Staudenmaier, die er im Frühjahr 1958 mit der Promotion abschloss. In der Folge kehrte Hünermann nach Deutschland zurück und wurde zunächst in Mönchengladbach und später in Aachen als Kaplan eingesetzt. Ab 1961 arbeitete Hünermann in Freiburg bei Bernhard Welte an seiner Habilitation, die er 1967 mit Erlangung der Lehrbefugnis für die Fächer Christliche Religionsphilosophie und Dogmatik abschloss.

Bild: ©KNA (Archivbild)

Der spätere Bischof und Kardinal Karl Lehmann (m.) arbeitete als Assistent von Karl Rahner (r.) zwischen 1964 und 1967 an den Universitäten von München und Münster. Gemeinsam mit dem bekannten Theologen und Jesuiten erlebte Lehmann auch das Zweite Vatikanische Konzil in Rom aus nächster Nähe mit. Auf der Berufungsliste in Tübingen stand Lehmann vor Hünermann – doch dann wurde Lehmann Bischof von Mainz.

Nur einige Jahre später, 1971, ging es für Hünermann nach Münster an die berühmte Fakultät, an der er Karl Rahner und Johann Baptist Metz als Kollegen in der Dogmatik und Fundamentaltheologie hatte. In diese Zeit fiel auch die Würzburger Synode, die in Hünermann ein Thema anregte, das ihn in den Folgejahren theologisch immer begleiten sollte: das Diakonat der Frau. Unabhängig voneinander sollten Hünermann, Herbert Vorgrimler und Yves Congar im Auftrag der Synode ein Gutachten zum Diakonat der Frau erstellen. Dabei, so hat es Hünermann in einem Interview geäußert, "kamen alle drei zu dem Schluss, dass auf Grund der gegebenen Lage der Kirche und auf Grund der Tradition in den Ostkirchen, speziell der syrischen Kirche, eine Wiederbelebung dieses Diakonats, das damals bestanden hatte, möglich und wünschenswert wäre." Zwar ging das Thema als Anliegen des deutschen Episkopats bis nach Rom, doch wurde vonseiten der Glaubenskongregation nie ein Dekret zu dieser Frage erlassen.

Engagement für Lateinamerika

Auf weltkirchlicher Ebene engagierte sich Hünermann in dieser Zeit besonders im Blick auf Lateinamerika und die Frage nach der Theologie der Befreiung. Bereits 1967/68 kam Hünermann in Kontakt mit einem Professor aus Buenos Aires, der bei Bernhard Welte eine Gastprofessur innehatte. 1968 flog Hünermann erstmals nach Lateinamerika, wo er Vorkehrungen für die Gründung eines Stipendienwerks zur Förderung des fachlichen Austausches zwischen Lateinamerika und Deutschland treffen sollte. Auf dieser Reise, die den jungen Universitätsdozenten unter anderem nach Buenos Aires, Córdoba und Santiago de Chile führte, wurden viele Kontakte geknüpft, die Hünermann zum Aufbau des Stipendienwerks, aber auch für weiterführende theologische Diskurse äußert hilfreich waren. 1985 wurde Hünermann zum Präsidenten des "Katholischen Akademischen Ausländer-Dienstes" (KAAD) ernannt; aufgrund dieses Amtes lernte Hünermann unter anderem das kirchliche Leben in China und Afrika kennen. Es waren Begegnungen, die sich auch in seinem theologischen Nachdenken niederschlugen und die nicht ohne Auswirkungen auf seine Arbeit an der Fakultät blieben.

Der Priester und Tübinger Dogmatiker Peter Hünermann bei einer Predigt im Jahr 2000
Bild: ©KNA (Archivbild)

Der Tübinger Dogmatiker Peter Hünermann spricht sich seit Jahrzehnten für den Diakonat der Frau aus. Am 4. November 2000 predigte er in Waldbreitbach, wo damals 14 Teilnehmerinnen in einer bundesweiten Ausbildung zur Diakonin verbindlich versprachen, sich in der katholischen Kirche zu engagieren.

Nachdem man Hans Küng im Dezember 1979 die Lehrerlaubnis entzogen hatte, wurde Peter Hünermann als Dogmatiker an die Tübinger Fakultät berufen. Zwar stand Hünermann seinerzeit nur auf Listenplatz zwei, doch zeichnete sich ab, dass der Erstplatzierte Karl Lehmann bald als Bischof nach Mainz gehen würde. 1982 wurde Hünermann schließlich ordentlicher Professor in Tübingen, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1997 tätig war. In diese Tübinger Zeit fällt auch die Herausgabe des "Denzinger", die Hünermann schon kurz nach seiner Berufung an die Fakultät angegangen war. War anfangs eine einfache Neuausgabe des Denzinger angedacht, entpuppte sich das Ganze bald als ein Mammutprojekt: kritische Textausgaben musste gesichtet werden, Neuübersetzungen waren notwendig, ein ausgiebiges Sachregister war zu erstellen. Beinahe zehn Jahre nahmen die Arbeiten in Anspruch, bevor 1991 die erste Ausgabe des "Denzinger-Hünermann" (und die insgesamt 37. Auflage des Denzinger) erscheinen konnte.

Ein neues Projekt nach der Emeritierung

Wer meint, dass mit Hünermanns Emeritierung auch das Ende seiner Forschertätigkeit erreicht war, der irrt. Denn nach seiner Freistellung von der Lehrtätigkeit widmete Hünermann seine Energie einem neuen, großen Projekt: dem Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Zusammen mit Bernd Jochen Hilberath war geplant, eine Neuübersetzung der Konzilsdokumente vereint mit einer wissenschaftlichen Kommentierung herauszugeben. Am Gesamtwerk, das fünf Bände umfassen sollte, beteiligten sich durchwegs renommierte deutschsprachige Theologen. Pünktlich zum 40jährigen Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils 2005 erschien der Kommentar, den Hünermann ein Jahr darauf Papst Benedikt im Vatikan überreichen konnte.

Peter Hünermann und Bernd Jochen Hilberath überreichen Papst Benedikt ihr Buch
Bild: ©KNA (Archivbild)

Papst Benedikt XVI., Manuel Herder und die beiden Professoren Peter Hünermann sowie Bernd Jochen Hilberath überreichen dem Papst am 22. Februar 2006 den Theologischen Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil.

Blickt man auf das Leben Peter Hünermanns als Theologieprofessor, so zeugen die zahlreichen Auszeichnungen von seinem hohen Ansehen, das er auch weit jenseits der Grenzen des deutschsprachigen Raumes genießt. Seit 1997 ist er Ehrendoktor der Universidad Católica Boliviana in Cochabamba, 2005 wurde er Ehrendoktor der Universität in Buenos Aires, dazu kommen Ehrendoktorate in Freiburg und Erfurt. Die Stimme von Hünermann hat bis heute in der Theologie Gewicht.

Vor beinahe zehn Jahren wurde Peter Hünermann in einem Interview gefragt, was er sich denn für die Zukunft der Kirche wünsche. Seine Antwort: "Wünschen? Gläubige Menschen. Gläubige Menschen, denen der Geist eingibt, wie hier und jetzt, in dieser verfahrenen Situation der Glaube einen neuen Aufschwung nehmen und verkündet werden kann. Ich glaube, da sind die unterschiedlichen Charismen gefragt. Glaube kann heute nicht mehr in einer monokulturellen Weise gelebt werden, wie unsere amtlichen Strukturen sie repräsentieren. Das geht in der globalen Welt nicht mehr. Diese Transformationsprozesse zu begleiten, ist eine schwierige Aufgabe, aber es ist auch spannend."

Von Fabian Brand