Persönliche Krisen werden "individualisiert"

Psychologe: Kirche lässt Kleriker mit Zölibatsproblemen allein

Veröffentlicht am 24.03.2019 um 16:45 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Joachim Reich berät Geistliche, die Schwierigkeiten mit dem Zölibat haben. Er sagt, die Kirche lasse sie mit ihren Problemen allein. Schließlich hätten sie sich für die Priesterweihe entschieden, heißt es oft. Die Folgen seien dramatisch.

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Die katholische Kirche lässt Kleriker in Krisen mit dem Zölibat aus Sicht des Berliner Psychologen Joachim Reich allein. "Wenn einer ein Problem damit hat, wird das von der Kirche sofort individualisiert. Schließlich habe er sich für die Priesterweihe entschieden, nun solle er selber damit zurechtkommen, so die Haltung", kritisierte Reich in der Schweizer "Sonntagszeitung". Die Kirche übernehme "keine Verantwortung dafür, wie die Priester dieses Gelübde leben können". Reich berät Kleriker, wenn sie Schwierigkeiten mit dem Zölibat haben.

Sie könnten zwar "theoretisch in der Beichte über ihre Probleme mit der Sexualität sprechen, aber dort steht die Thematik sofort im Kontext von Schuld und Strafe", betonte Reich. "Auch bei den geistlichen Begleitern hat man das Problem, dass sie keinerlei sexualtherapeutische Ausbildung haben. Die sind meistens schnell überfordert." Wer Probleme mit dem Zölibat habe, führe mitunter ein Doppelleben: heimliche Beziehungen oder Affären, Besuche bei Prostituierten oder Konsum von Pornografie im Internet. Aber: "Das alles führt zu großen Schuldgefühlen, weil es ja verboten ist."

Thema Sexualität spielt Rolle bei Entscheidung für Priesterberuf

Auf die Interviewfrage, ob sich Menschen mit sexuellen Problemen speziell die Kirche als Berufsfeld aussuchen, sagte Reich: "Ja, das würde ich so sagen. Generell spielt das Thema Sexualität bei der Entscheidung, Priester zu werden, eine Rolle. Je schwieriger oder beängstigender mir die Sexualität erscheint, desto eher werde ich eine Lebensform suchen, die gesellschaftlich hochgeschätzt ist, mir aber gleichzeitig den Eindruck vermittelt, ich sei in einer asexuellen, heiligen Atmosphäre." Das sei jedoch ein Trugschluss.

Es dauere "ein paar Jahre, bis sie sich eingestehen müssen, dass diese Umgebung so heilig, so ideal und asexuell gar nicht ist", so Reich. Das sei hart. "Sie stellen fest, dass sie noch immer die gleichen sexuellen Bedürfnisse oder Probleme haben. Dass sie vielleicht sogar stärker werden, die Umgebung aber nicht die Hilfe bietet, die man sich erhofft hat." Es gebe "nur sehr wenige zölibatär Hochbegabte", eine kleine Minderheit. "Ganz normale Leute haben mit dem Berufszölibat große Schwierigkeiten." (KNA)