Salvinis Spiel mit dem Rosenkranz
Es ist ein Rosenkranz. Ein Mann holt ihn auf dem Mailänder Domplatz aus der Tasche, hält ihn in die Höhe und sagt: "Ich persönlich vertraue mein und euer Leben dem unbefleckten Herzen Mariens an, das, da bin ich mir sicher, uns zum Sieg verhelfen wird." Dieser Mann war kein x-beliebiger Tourist oder Pilger, sondern der italienische Innenminister Matteo Salvini, der Mitglied in der rechten Partei "Lega" ist. Gesprochen wurden diese Worte bei einem Treffen europäischer Rechtspopulisten in der norditalienischen Metropole, zu den Gästen zählten unter anderem Marine Le Pen aus Frankreich, Geert Wilders aus den Niederlanden und Jörg Meuthen aus Deutschland.
Es ist nicht das erste Mal, dass Salvini seine katholische Seite nach vorne kehrt: Seine restriktive Migrationspolitik inklusive den Hafenverboten für Schiffe von Flüchtlingsrettern begründet er mit seinem Willen nach weniger Toten – "mit Stolz und christlichem Geist". Dass durch diese Politik die Zahl der Ertrunkenen zwar in absoluten Zahlen gefallen, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Migranten aber gestiegen ist, blendet er aus. Salvini präsentiert sich als bürgerlicher Katholik, ganz nah an den Menschen. Dass soll seine bisherigen populistischen Äußerungen übertünchen.
Der übermächtige Katholizismus
Salvini balanciert damit auf einem Drahtseil, das die italienische Politik seit der Gründung des Staates 1861 wie ein roter Faden durchzieht: Denn obwohl sich die heutige Italienische Republik als laizistischer Staat begreift, in dem alle Religionsgemeinschaften die gleichen Rechte haben, scheint die katholische Kirche als Einzelfaktor weiterhin beinahe übermächtig. Zwischen 85 und 90 Prozent aller Italiener sind katholisch getauft – andere Konfessionen fast Makulatur. Von den ersten zwölf Artikeln der Verfassung widmen sich zwei der Religion – der erste behandelt die katholische Kirche, der zweite alle anderen Glaubensgemeinschaften. Diese Verhältnisse spiegelten sich auch lange im Blick der Kirche auf den Staat Italien wider: Früheren Päpsten galt er oft eher als eine Art untergeordnete Instanz des Vatikan.
Und obwohl auch zwischen Alpen und Sizilien die Säkularisierung zunimmt, hat der katholische Glaube und damit auch die Kirche immer noch einen festen Platz in Gesellschaft und Politik des Landes. Das drückt sich einerseits in Form von steuerlichen Zuwendungen aus, deren Andresse jeder Italiener für seinen Anteil selbst bestimmen darf. Andererseits ist die Kirche ein wichtiger Akteur in der politischen Willensbildung: Als zwischen 1945 und 1993 fast alle Ministerpräsidenten aus der "Democrazia Cristiana" kamen, holte sich die Regierung oft und gern die Einschätzung des Vatikan – vor allem bei moralischen Themen. Dass es das Recht auf Scheidung und Abtreibung auch gegen den Widerstand der Kirche durch das Parlament schafften, ist eher die Ausnahme als die Regel. Im Gegenzug schmückte sich die Partei auch gern ostentativ mit dem Segen "von oben".
Auch nach dem Ende der christdemokratischen Partei, die sich 1994 nach einem Korruptionsskandal aufspaltete, ist die Kirche noch die graue Eminenz in der italienischen Politik: Sie wird als moralische Instanz geachtet, außerdem wird angesichts von Wirtschaftskrise, Flexibilisierung des Arbeitslebens und eines steigenden Anteils von Muslimen im Land das zumindest symbolische Bekenntnis zum eigenen Christsein wichtiger. Der Katholizismus bildet mit seinen Traditionen und Ritualen einen Ort des Bekannten in einer unbekannter werdenden Welt.
Kirchlicher Widerspruch gegen Salvini
Die Politik mit dem Kreuz hat in Italien also durchaus Tradition. Trotzdem haben sich die Zeiten geändert – denn der Religionspopulismus Salvinis bleibt in der Kirche nicht unwidersprochen. Der Jesuit Antonio Spadaro, Papst-Vertrauter und Chefredakteur der Zeitschrift "Civilta Cattolica", sagte zu Salvinis Auftritt in Mailand, eine politische Kundgebung sei kein Ort für Gebete, schon gar nicht "im Namen von Werten, die mit dem Evangelium Jesu nichts zu tun haben." Auch der vatikanische Staatssekretär Pietro Parolin warf ein, Gott sei für alle da. Ihn für sich zu reklamieren, sei "immer hochgefährlich." Er sprach sich jedoch für den Dialog mit Salvini aus. Er betonte, Dialog müsse vor allem mit denen stattfinden, "die nicht wie wir denken und mit denen wir einige Schwierigkeiten und einige Probleme haben". Ähnlich hatte sich kurz zuvor auch der Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller geäußert.
Verhielten sich viele Bischöfe nach dem Amtsantritt der Regierungskoalition zwischen populistischer "Fünf-Sterne-Bewegung" im Juni 2018 und rechter "Lega" noch recht neutral, sind andere kritischen Stimmen aus der Kirche gegen die Abschottungspolitik des Innenministers in letzter Zeit lauter geworden: Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, die Caritas oder der Papst selbst äußerten sich kritisch. Franziskus betonte: "Seinen Nachbar zu ignorieren ist der erste Schritt, die Nächstenliebe in uns auszulöschen." Mindestens ein Bischof bezeichnete die "Lega" als unchristlich, eine katholische Zeitschrift verglich den Innenminister in der Titelgeschichte gar mit dem Satan. Salvini antwortete mit Häme gegen Franziskus und lobte dessen Vorgänger Benedikt XVI. und Johannes Paul II. Er twitterte erst kürzlich, dass er weiter seinen Glauben bezeugen und für ein schöneres und sicheres Italien arbeiten wolle. "Gerede überlasse ich anderen. Amen", endete er. Auch dieses Amen wird nicht unwidersprochen bleiben.