Sonnengott – Theologie im Angesicht der Hitzewelle
Hitzewellen sind auf den ersten Blick recht untheologisch. Man schwitzt sich die Seele aus dem Leib und sucht Schutz in der Nähe von Klimaanlagen oder Ventilatoren. Wenn der Schweiß die Kleidung durchnässt, kann man aber zumindest nachempfinden, wie sich ein normaler Sommer im Nahen Osten, in dem die Schriften der Bibel entstanden sind, anfühlt. Wenn die Sonne erbarmungslos die Luft erwärmt und der Asphalt glüht, dann wird verständlich, warum im Alten Testament Gott als ein Schatten beschrieben wird, der vor der Hitze schützt (Jes 25,4). Die Bibel ist in einem geografischen Kontext geschrieben worden, in der die Sonne nicht nur Leben ermöglicht, sondern es auch austrocknet, ja verbrennt.
In den Nachbarkulturen des biblischen Israels waren Sonnentheologien eine Selbstverständlichkeit. In Ägypten wurde der Sonnenlauf – der Ablauf von Aufgang, Himmelsüberfahrt, Untergang und angenommener Durchquerung der Unterwelt in der Nacht – als sich täglich wiederholende Überwindung der das Leben bedrohenden Chaosmächte gedeutet. Das die Dunkelheit am Morgen durchbrechende Licht wurde als Durchsetzung der Schöpfungsordnung verstanden. Dieses Motiv findet sich auch häufig im Alten Testament: "Aber der HERR tritt für das Recht ein in ihrer [Jerusalems] Mitte, er tut kein Unrecht. Morgen für Morgen fällt er das Urteil, es fehlt nie beim Aufgehen des Lichts" (Zef 3,5).
Das Motiv der "Hilfe Gottes am Morgen" verdeutlicht, dass die Nacht die Zeit der Not und der Bedrängnis ist, aber Gott verlässlich wie die Sonne immer aufs Neue erscheint und die Finsternis überwindet. In Mesopotamien war der Sonnengott Schamasch "Herr über Recht und Gerechtigkeit", da das Sonnenlicht nach dieser Sonnentheologie alles erhellt und so selbst in die Herzen der Menschen leuchtet. So verheißt auch im Alten Testament der Sonnenaufgang nicht nur Heil, sondern auch Gericht: "Zur Zeit der Morgenröte wird der König von Israel völlig vernichtet" (Hos 10,15).
Wenn Gott leuchtet wie die Sonne
In einigen Textstellen ist nicht nur das Heilshandeln Gottes metaphorische verbunden mit der Sonne, sondern Gott selbst: "Der HERR kam hervor aus dem Sinai, er leuchtete vor ihnen auf aus Seir, er strahlte aus dem Gebirge Paran, er trat heraus aus Tausenden von Heiligen. Ihm zur Rechten flammte vor ihnen das Feuer des Gesetzes" (Dtn 33,2). Diese Theophanieschilderung setzt durch die Verwendung des Wortes "leuchten" (זרח, gesprochen: zarach), das üblicherweise den Sonnenaufgang bezeichnet, Gott selbst metaphorisch mit der Sonne gleich. In den Psalmen wird Gott dann gar selbst als Sonne bezeichnet: "Denn Gott der HERR ist Sonne und Schild" (Ps 84,12). Er ist die immer neu aufgehende Quelle des Lebens und der Gerechtigkeit, er ist die "Sonne der Gerechtigkeit" (vgl. Mal 3,20).
Die Sonne ermöglicht leben und zerstört es. Daher ist es verständlich, dass im Alten Orient und in der Bibel gerade sie als Vergleichspunkt für das göttliche Handeln herangezogen wurde. Sie jeden Tag auf Neue sehen zu dürfen, bedeutet zu leben (Ps 58,9) und zugleich litt man unter der Sonne und ihrer glühenden Hitze (Jes 49,10).