Sympathie für den Teufel?
Das Lied "Sympathy for the Devil" der Rockband "The Rolling Stones" aus dem Jahr 1968 genießt Kultstatus. In diesem Song stellt sich der Teufel höchstpersönlich als wohlhabender Mann mit gutem Geschmack vor. Im Lied beschreiben die "Stones" den Teufel als diabolische Kraft, die in jedem Menschen angelegt ist. Weil gleichsam jeder zum Teufel werden kann, lassen die "Rolling Stones" in ihrem Lied den Satan bitten, dass man ihm mit Sympathie und Takt begegne. "Sympathy for the Devil" ist nach der Lektüre des Romans "Meister und Margarita" geschrieben worden, der im November 1966 erschienen ist. So ist ein Kultsong aus einem Kultbuch hervorgegangen, denn der Roman des sowjetischen Schriftstellers Michail Bulgakow (1891-1940) ist ein Klassiker der 68er-Generation. Aus der russischen Literaturgeschichte ist "Meister und Margarita" nicht mehr wegzudenken und wie die Opernsängerin Anna Netrebko zählen es viele Russen zu ihren Lieblingsbüchern - geht es doch um keine geringeren als Jesus und den Teufel.
Bulgakow hatte von 1929 bis zu seinem Tod an seinem wichtigsten Werk geschrieben. Posthum wurde es von seiner Frau Jelena Bulgakowa bearbeitet und lange Zeit von den kommunistischen Machthabern aufgrund seiner Systemkritik zurückgehalten. Vor 50 Jahren wurde "Meister und Margarita" in einer russischen Zeitschrift in mehreren Teilen erstmals publiziert. Allerdings erschien der Roman aufgrund der staatlichen Zensur ohne die Stellen, in denen Bulgakow das sowjetische Regime karikiert hatte. Diese wurden in späteren Ausgaben komplett wieder hinzugefügt.
"Meister und Margarita" handelt vom Besuch des Teufels und seiner dämonischen Begleiter im Moskau der 30er-Jahre. Eingebettet in diese haarsträubende Geschichte innerhalb der Künstlerszene sind zwei weitere Handlungsstränge: Zum einen die Liebesgeschichte zwischen einem lediglich Meister genannten Schriftsteller und seiner Geliebten Margarita und zum anderen Passagen über Pontius Pilatus und die Passion Jesu Christi.
Der Teufel kommt mit seinem Gefolge nach Moskau
Die drei Erzählebenen beziehen sich aufeinander. Doch sie sind inhaltlich und stilistisch sehr unterschiedlich angelegt, sodass man Bulgakows Werk auch als drei Bücher in einem bezeichnen könnte. "Meister und Margarita" wird der literarischen Strömung des magischen Realismus zugeordnet. Dies zeigt sich im Erzählstrang über den Professor Woland genannten Teufel und sein Gefolge. Die sowjetische Hauptstadt Moskau wird mit ihrem Kulturbetrieb sehr realistisch geschildert. Woland, der sich je nach Erfordernis als Illusionskünstler oder Fachmann für Schwarze Magie ausgibt, stellt diese Welt auf den Kopf. So bringt er Moskauer Varieté-Besucher dazu, wie im Wahn Geldscheine aufzusammeln, die sich danach in einfaches Papier verwandeln. Damit macht der Teufel der Bedeutung seines griechischen Namens diabolos, was "Durcheinanderwerfer" bedeutet, alle Ehre. Woland nistet sich in der Wohnung Nummer 50 unter der wirklich existierenden Adresse Sadowaja 302 b ein. Bulgakow hatte einige Jahre in diesem Appartement gelebt. Seit 2007 befindet sich dort ein Bulgakow-Museum, das zu einer Pilgerstätte seiner zahlreichen Verehrer geworden ist. Doch auch streng gläubige orthodoxe Christen besuchen diesen Ort, um dort mit Gebeten und Gesängen den Teufel zu vertreiben.
Die Geschichte um Pilatus und Jesus versucht der Autor möglichst bis in Detail authentisch zu erzählen. In Anlehnung an die Originalsprachen zur Zeit Jesu werden von Bulgakow beispielsweise Jesus als Jeschua Ha-Nozri und Jerusalem als Jerschalajim bezeichnet. Der Schriftsteller lässt jedoch auch hier seine Phantasie spielen und hält sich nicht an die Evangelien, obwohl er sich als Sohn eines orthodoxen Geistlichen und Theologie-Dozenten sehr gut mit dem Christentum auskannte. Vielmehr interpretiert er die biblischen Berichte über Jesus als historisch nicht zutreffend und skizziert in einer Mischung aus kritischer Bibelforschung und eigener Einbildungskraft ein ernüchterndes Jesusbild.
Die Verbindung zwischen den ersten beiden Handlungssträngen ist die Liebesgeschichte zwischen dem Meister und Margarita. Die Geliebte des erfolglosen Autors rettet das Manuskript seines Lebenswerkes aus den Flammen und somit sein geistiges Erbe. Bei dem Buch des Meisters handelt es sich um einen Roman über Pontius Pilatus, den der Leser in den Jerusalem-Kapiteln von "Meister und Margarita" erkennt. Nicht nur sein Buch wird gerettet, sondern auch der Meister selbst. Dies gelingt Margarita jedoch nur mit der Hilfe des Teufels Woland. Indem sie sich mit dem Satan verbünden muss, um ihren Geliebten zu retten, lässt Bulgakow das Faustische Motiv vom Teufelspakt anklingen.
Der christliche Gott kommt im Roman nicht vor
"Meister und Margarita" ist ein satirisches Werk und belässt die Welt nicht, wie sie ist, sondern bringt sie durcheinander. Bulgakow benutzt die tragische Komik der teuflischen Wirren, um die Probleme der sowjetischen Herrschaft und den Hochmut der Kulturszene aufzuzeigen. Der christliche Gott kommt im Werk Bulgakows nicht ausdrücklich vor. Dennoch, so meint Alexander Nitzberg, der Übersetzer der deutschen Neuausgabe von 2014, kann Woland auch als Gottes Kompagnon gesehen werden. Im Roman nimmt er in gewisser Hinsicht die Rolle Gottes ein und verkörpert seine strafenden und rettenden Eigenschaften. Bei Jeschua Ha-Nozri zeigt der Roman nicht deutlich, um wen es sich handelt: Einen Wanderphilosophen, einen naiven Prediger oder den Sohn Gottes nach christlichem Verständnis? Das bleibt eine Frage der Interpretation. Bulgakows Roman ist daher auch kein christliches Buch im klassischen Sinne. Dennoch ist es voll von Anspielungen auf das Christentum. Es geht um die großen religiösen Themen: Glaube und Zweifel, Liebe und Sünde, Gott und Teufel. Für manche Sowjet-Dissidenten diente das Buch sogar zum Einstieg in das Christentum.
Papst Franziskus spricht in seinen Predigten oft davon, dass der Teufel existiert. Auch "Meister und Margarita" erinnert daran, dass der Satan keine bloße Fiktion ist, sondern eine gewaltige Kraft hat. Im Roman sind es jedoch die Menschen, die auf seine Tricks und Spielereien hereinfallen und ihm damit auch Macht über sich geben. Daher kann Bulgakows Werk als Mahnung und Warnung verstanden werden, dass der Teufel nicht nur ein Eichhörnchen ist, wie ein deutsches Sprichwort sagt. Er kann sich in jedem Menschen zeigen. Dagegen immer wieder anzukämpfen ist eine menschliche Lebensaufgabe. Dies muss immer wieder mutig und entschlossen getan werden, denn, wie es in "Meister und Margarita" heißt: Eines der größten Laster ist die Feigheit.