Taizé: Wie die erste ökumenische Mönchsgemeinschaft entstand
2.000 Jahrtausende Kirchengeschichte haben zu einer Menge Spaltungen geführt. Die vielen christlichen Konfessionen miteinander zu versöhnen und wieder eine sichtbare Einheit aller Christen entstehen zu lassen, das war das große Anliegen von Frère Roger und seiner Brüdergemeinschaft von Taizé in Burgund.
Zu Ostern stehen auf dem Hügel von Taizé zwei stille Jubiläen an; wichtige Wegmarken der damals noch jungen Gemeinschaft. Am Ostersonntag vor 70 Jahren, am 17. April 1949, legten die ersten sieben Brüder ihre Gelübde für ein lebenslanges Engagement ab. Und 20 Jahre später, ebenfalls an einem Ostersonntag, dem 6. April 1969, wurde erstmals ein Katholik aufgenommen.
Die drei Jahrzehnte bis zu diesem Punkt gehören wohl zu den spannendsten spirituellen Reisen des 20. Jahrhunderts. Im Zweiten Weltkrieg sucht der junge Schweizer Theologe Roger Schutz einen Ort, um in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben und zugleich Kriegsflüchtlingen helfen zu können. Im Sommer 1940 findet er in der Nähe des einstigen Reformklosters Cluny das verfallene Weindorf Taizé; einen heruntergekommenen, geistlich verwaisten Flecken. Mit geliehenem Geld kauft er eines der Natursteinhäuser im Ort.
Die ersten Jahre in Taizé waren von großer Not geprägt
Hier, nahe der Demarkationslinie zwischen dem nazibesetzten Frankreich und dem sogenannten freien Vichy-Frankreich versteckt Roger jüdische und politische Flüchtlinge, die in die Schweiz wollen. 1941 formuliert er eine erste Ordnung für ein künftiges gemeinschaftliches Leben in Taizé. Doch der Traum wird von den Realitäten des Krieges eingeholt: 1942 wird Roger denunziert und muss zunächst in die Schweiz zurückkehren.
In Genf, der Stadt Calvins, lebt er mit seinen beiden protestantischen Gefährten Max Thurian und Pierre Souvairan in brüderlicher Gemeinschaft zusammen. Von der konservativen reformierten Szene der Stadt durchaus beargwöhnt, pflegen sie bereits die künftige Gastfreundschaft von Taizé und knüpfen wertvolle Kontakte.
Im Oktober 1944 kehrt Roger mit seinen beiden Gefährten nach Taizé zurück - um für immer zu bleiben. Schon kurz darauf kommt ein vierter Bruder hinzu: Daniel, heute 97 Jahre alt und der letzte noch Lebende aus dieser Gründerzeit. Die Zeiten sind hart nach dem Krieg, die Not groß. Pierre fällt im Winter die Akazien vor dem Haus, um daraus Zaunpfähle herzustellen, um überhaupt etwas Geld zu verdienen.
Doch wahrscheinlich ist es genau dieser karge Nährboden, der die Idee von Taizé zu einem Welterfolg machen sollte. Die Brüder kümmern sich nun um deutsche Kriegsgefangene aus der Umgebung und teilen ihre Mahlzeiten mit ihnen: dünne Suppe aus Brennnesseln, doch angeboten wie ein Festmahl. Für die Franzosen ein Ärgernis.
Für französische Kriegswaisen mieten die Brüder zwei weitere Häuser an. Die Mutterrolle übernimmt Rogers jüngste Schwester Genevieve Schutz-Marsauche (1912-2007), die ihre Karriere aufgibt, um den Rest ihres Lebens in Taizé zu verbringen. Sie liegt heute, nahe ihrem Bruder, vor der romanischen Kirche des Dorfes begraben; jener damals lange verlassenen katholischen Kirche, die die protestantischen Brüder so gerne zum Gebet genutzt hätten - doch der Bischof von Autun erhebt Einspruch gegen solch "nichtkatholisches Tun".
Angelo Roncalli machte Pfarrkirche in Taizé zur Simultankirche
1948 kommt die Lösung von unerwarteter Seite: Der Vatikanbotschafter in Frankreich, Erzbischof Angelo Giuseppe Roncalli - der spätere Konzilspapst Johannes XXIII. -, zeigt sich beeindruckt von der Spiritualität der protestantischen Brüder. Er macht die katholische Pfarrkirche zur Simultankirche - und erlaubt ihnen damit die Nutzung.
Schon in den 40er Jahren gibt es erste Aufenthalte von Jugendlichen auf dem Hügel. Und über die ersten Jahre ist ein Entschluss in den Männern auf dem Hügel gereift: Am Ostersonntag 1949, dem 17. April, legen die ersten sieben Brüder in der Dorfkirche ihr Gelübde für ein lebenslanges Engagement ab. Weitere folgen bald.
Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam umfasst das Gelübde. Alle Kandidaten kommen aus Kirchen der Reformation; eine Bindung auf Lebenszeit ist ihnen eigentlich fremd. Doch sind sie zusammen einen ungewöhnlichen geistlichen Weg gegangen. Bis heute ist der Ritus des Eintritts ähnlich wie damals. Die Eingangsfrage lautet: "Geliebter Bruder, wonach verlangst du?" - "Nach der Barmherzigkeit Gottes und der Gemeinschaft meiner Brüder", so die Antwort. "Gott vollende in dir, was er begonnen", betet der Prior - und stellt einige Fragen, auf die der Bewerber erwidert: "Ich will es".
Die 50er und 60er Jahre bringen viele Abenteuer und Chancen, neue Aufbrüche - aber auch Entfremdungen und Gefahren für die Gemeinschaft. Die ausdrückliche ökumenische Offenheit und Kontaktfreude von Taizé ruft konservativ-konfessionelle Kritiker auf den Plan. Auf Einladung von Papst Johannes XXIII. nehmen Frère Roger und Frère Max als protestantische Beobachter an den Beratungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) teil.
Ein Katholik wird Bruder in Taizé
Immer mehr Jugendliche besuchen Taizé. Doch die Rückschläge bleiben nicht aus. Im Zuge der Pariser Mai-Unruhen 1968 wird Taizé sowohl von reformierter wie von katholischer Seite als vermeintlich unzuverlässig beargwöhnt. Ohne Wissen Papst Pauls VI. werden die Leiter von Taizé sogar im Vatikan vorgeladen. Diese Misstrauensbekundung vergisst Frère Roger bis an sein Lebensende nie.
Umso kühner dann der der Vorstoß vor genau 50 Jahren, zu Ostern (6. April) 1969. Der junge katholische Arzt Jean-Paul aus Belgien drängt darauf, als Bruder in Taizé aufgenommen zu werden - und er verwirft alle alternativen Modelle, die ihm der ökumenisch umsichtige Frère Roger zunächst anbietet.
Mit einer aus katholisch-kirchenrechtlicher Sicht eher unbestimmten Erlaubnis des befreundeten Pariser Erzbischofs Francois Marty macht Taizé am Ende den großen Schritt: Jean-Paul tritt am Ostersonntag in die Gemeinschaft von Taize ein; weitere folgen kurz darauf. 1972 legt Jean-Paul als Frere Ghislain die Gelübde ab. Aus der evangelischen Brüdergemeinschaft ist die erste ökumenische Ordensgemeinschaft der Kirchengeschichte geworden.