Papstberater: Franziskus muss nicht von Rom aus regieren

Ubi papa, ibi Roma

Veröffentlicht am 13.05.2015 um 00:00 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA)  – Lesedauer: 
Vatikan

Bonn/Rom  ‐ Ein Berater des Papstes hat vorgeschlagen, Franziskus könnte die katholische Kirche doch ebenso gut von Bogota aus regieren; die Kurie in Rom sei dafür "nicht wesentlich". Zu Ende gedacht, hätte die Idee von Erzbischof Fernandez unabsehbare Folgen.

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Der Papst könnte auch außerhalb des Vatikan leben und "eine Behörde in Rom und eine andere in Bogota haben und sich vielleicht mit Liturgie-Fachleuten in Deutschland zu einer Telefonkonferenz zusammenschalten", so Fernandez, seit 2011 Rektor der katholischen Universität von Argentinien. Aus theologischer Sicht sei es ohnehin nicht die römische Kurie, die dem Papst zur Verfügung stehe, um den Gläubigen zu dienen, sondern das Bischofskollegium. Geschickterweise vermied Fernandez eine Verortung etwa in Buenos Aires, sondern nannte als Beispiel Bogota, den Sitz des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM.

Fernandez: Papst soll Reform unumkehrbar machen

Der argentinische Erzbischof erklärte weiter, dass Franziskus seine Reformen möglichst unumkehrbar machen wolle. Angesprochen auf die scheinbare Verlangsamung der Kurienreform sagte der 52-Jährige, der Papst gehe so langsam vor, weil er sichergehen wolle, dass die Änderungen auch tatsächlich in die Tiefe gehen. "Franziskus weiß, dass es einige gibt, die darauf hoffen, dass der nächste Papst wieder einen Schritt zurückgeht". Wenn er jetzt überlegt vorgehe, werde dies jedoch sehr schwer fallen, so der Berater von Franziskus. Fernandez arbeitete bereits damals eng mit dem seinerzeitigen Hauptstadt-Erzbischof und Kardinal Jorge Mario Bergoglio zusammen und gilt als enger theologischer Berater von Franziskus. Im Mai 2013 beförderte ihn der Papst in den Rang eines Erzbischofs.

Blick auf die Kathedrale und die erzbischöfliche Kurie in Bogotá, Kolumbien.
Bild: ©Frevel/Adveniat

Blick auf die Kathedrale und die erzbischöfliche Kurie in Bogotá, Kolumbien.

Was nun manchen Kurienkritikern ein beifälliges "genau!" entlocken wird, könnte umgekehrt bei Kirchenhistorikern Alarmglocken schrillen lassen: Avignon, so heißt das Fanal. Die südfranzösische Kleinstadt war im 14. Jahrhundert für über 70 Jahre Schauplatz des "Exils" oder der "Babylonischen Gefangenschaft" der Päpste (1309-1376). Bis heute verbindet die Kirchengeschichtsschreibung mit Avignon vor allem den Niedergang des Papsttums. Vieles davon geht freilich auf pro-römische Propaganda zurück.

Rom an der Rhone

Der französische König Philipp IV., der Schöne genannt, hatte seinen Dauerrivalen Papst Bonifaz VIII. (1294-1303) mit Gewalt zum Sterben gebracht und bald darauf den neuen Papst Clemens V., einen Franzosen, in seinen Einflussbereich geholt. "Ubi papa, ibi Roma" - wo der Papst ist, da ist Rom. Mit dieser Formel Heinrichs von Susa (vor 1200-1271), Kirchenrechtler, Diplomat und Kardinal, ließ sich die Sache erklären. Nun war Rom eben an der Rhone.

Die Viten der Päpste von Avignon sind überformt von römischer, antifranzösischer Propaganda einerseits und papsttreuer Hagiographie andererseits. Viele von ihnen erhalten bis heute ein schlechtes Zeugnis. Obwohl gar nicht wenige Amtsinhaber der Zeit als persönlich fromm gelten dürfen: Vetternwirtschaft, Ablasswesen, Pfründen- und Ämterkauf waren Kennzeichen der klerikalen Boomtown jener Jahrzehnte, als Avignon die größte Baustelle Europas war. "Diese Stadt ist eine Abfallgrube, in der sich aller Unrat der Welt sammelt", schimpfte der italienische Dichterfürst Francesco Petrarca. Und ein mittelalterliches - immerhin französisches - Sprichwort sagte: "Man kann nicht über die Brücke von Avignon gehen, ohne zwei Mönchen, zwei Eseln und zwei Dirnen zu begegnen."

„Franziskus weiß, dass es einige gibt, die darauf hoffen, dass der nächste Papst wieder einen Schritt zurückgeht“

—  Zitat: Erzbischof Victor Manuel Fernandez

Das "Exil von Avignon" - setze in der Fantasie zum Beispiel "Bogota" - bedeutete nicht notwendig ein Schisma. Das entstand erst 1378, als übrigens letztmals ein Nicht-Kardinal zum Papst gewählt wurde. Damals galt es zu verhindern, dass das gerade erst zurückgekehrte Papsttum erneut Rom den Rücken kehrte. Doch kaum hatte Urban VI. seine Wahl angenommen, entzogen ihm einige Kardinäle ihre Stimme wieder und hoben einen zweiten Kandidaten auf den Schild. Die römische und die französische Partei hatte jeweils ihren eigenen Nachfolger gewählt. Die entstandene Spaltung, das "Große Abendländische Schisma", noch verschärft durch die Präsentation eines dritten Papstes beim Konzil von Pisa 1409, sollte 39 Jahre dauern.

Zwei minus zwei gleich drei

Zwei minus zwei gleich eins, das sollte im Juni 1409 die Erfolgsformel des Pisaner Konzils sein. Wenn zwei sich streiten, wählt man den dritten. Und so erklärte das Konzil die beiden päpstlichen Streithähne in Rom und in Avignon, Gregor XII. (Angelo Correr) und Benedikt XIII. (Pedro de Luna), für abgesetzt und wählte drei Wochen später mit Alexander V. (1409-1410) einen neuen, noch unbelasteten Pontifex. Doch die beiden Delinquenten spielten nicht mit und blieben im Amt - und so endete der Pisa-Prozess mit der fragwürdigen Formel: zwei minus zwei gleich drei.

Die Folgen der Spaltung ließen nicht auf sich warten. Eine Verdoppelung oder Verdreifachung der moralischen Autorität des Papsttums gehörte freilich nicht dazu. Die Päpste waren moralisch angezählt; Kirchenkritik hatte Konjunktur. Als "Vor-Reformatoren" wird man Jan Hus in Böhmen oder John Wiclif in England später bezeichnen. Tatsächlich läutete die Verbrennung von Hus als Ketzer beim Konstanzer Konzil am 6. Juli 1415, vor 600 Jahren, das Zeitalter der Reformation ein.

Becciu: Kein göttlicher Auftrag für Kurie

Berichte über angebliche Widerstände an der römische Kurie gegen die Reformen von Papst Franziskus sind nach Ansicht des vatikanischen Innenministers Angelo Becciu stark übertrieben. Es gebe zu diesem Thema zu "viele Fantasien", so der Erzbischof.

Das Konzil von Konstanz ersetzte zwar 1417 die drei streitenden Päpste durch Martin V., einen neuen, unbelasteten Mann. Doch längst hatte eine politische Debatte eine ganz neue Dynamik gewonnen, die schon im 12. Jahrhundert gelehrte Köpfe erhitzt hatte.

"Konziliarismus" hieß das Schlagwort in einem Streit, der sich in immer neuen Spielarten wie ein roter Faden durch die Kirchengeschichte zieht: Wer hat mehr Autorität - das Konzil als die Versammlung der Bischöfe oder der Papst? Darf das Konzil als "Notrecht der Kirche" den Amtsverlust eines "häretischen" Papstes feststellen - oder ihn sogar herbeiführen?

Man stelle sich einen konservativen Papst vor in Bogota, Bangkok oder Bulawayo, einen oder zwei emeritierte Päpste und eine progressive Kurie in Rom. Das kann Erzbischof Fernandez nicht gemeint haben.

Von Alexander Brüggemann (KNA)