Auch Petrus hatte eine Frau

Von Anfang an umstritten: Die Geschichte des Zölibats

Veröffentlicht am 19.08.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Bis heute fällt er vor allem dann auf, wenn gegen ihn verstoßen wird: der Zölibat. Umstritten ist er schon lange, doch mindestens genauso lange hält die Kirche an ihm fest. Woher kommt die Enthaltsamkeitsregelung? Ein geschichtlicher Überblick.

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Wer sonntags hinter dem Altar steht und das Brot bricht, lebt zölibatär, heiratet also nicht und gründet keine Familie. Bis heute ist die sexuelle Enthaltsamkeit das Ideal des Priesterdaseins in der katholischen Kirche. Viele Priester halten sich jedoch nicht ihr ganzes Leben daran, wie unter anderem die vom Vatikan veröffentlichten Leitlinien für Priesterkinder zeigen. Außerdem ist der Zölibat einer der Gründe für den akuten Priestermangel: Beim von den deutschen Bischöfen verabschiedeten "synodalen Weg" wird er deshalb ebenso Thema sein wie auf der Amazonas-Synode im Oktober. Dort soll ausdrücklich die Priesterweihe von "viri probati", also verdienten, verheirateten Männern, diskutiert werden. So vehement, wie manche seine Abschaffung fordern, betonen andere aber seine Bedeutung für die Kirche. Doch der Zölibat ist in der Kirche nicht erst seit Neuestem umstritten – sondern ziemlich genau so lange, wie er von Priestern verlangt wird.

Doch von Anfang: Schon in der Bibel ist die Ehelosigkeit Thema. Jesus sagt zu seinen Jüngern: "Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein." (Luk 14,26) Über Jesu eigene Lebensumstände und Sexualität hält sich die Bibel allerdings bedeckt. Später beschäftigt die Ehelosigkeit vor allem Paulus. Der ist mit seinem Junggesellendasein recht allein unter den Jüngern – Petrus, immerhin der "erste Papst", und viele andere gehen an der Seite einer Frau durchs Leben. Für Paulus ist der Zölibat ein Charisma, also eine Gnadengabe Gottes, die man entweder hat oder eben nicht. "Ich wünschte, alle Menschen wären unverheiratet wie ich. Doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so." (1Kor 7,7) Der Apostel hält fest: "Was aber die Unverheirateten betrifft, so habe ich kein Gebot vom Herrn. Ich gebe euch nur einen Rat als einer, den der Herr durch sein Erbarmen vertrauenswürdig gemacht hat." (1 Kor 7,25) Der Zölibat ist im Neuen Testament also ein Ideal, aber längst keine Verpflichtung.

So existieren dann auch in den ersten Jahrhunderten der Kirche verheiratete und nicht verheiratete Gemeindevorsteher nebeneinander. Doch das ändert sich irgendwann. Bei der Synode von Elvira, die verbreiteten Schätzungen zufolge etwa um das Jahr 300 in der Nähe der spanischen Stadt Granada stattfindet, wird Priestern auferlegt, sich im Dienst ihrer Ehefrauen "zu enthalten". Noch weiter geht das Zweite Laterankonzil 1139: Die Ehen geweihter Männer sollen ab jetzt laut Canon 7 des Abschlussdokuments sogar "getrennt" werden. Das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert und das Zweite Vatikanische Konzil in den 1960er Jahren bekräftigen den Zölibat wiederum. Als 1917 erstmals das weltweit verbindliche Kirchenrecht festgelegt wird, steht die Ehelosigkeit der Priester dort schwarz auf weiß.

Umstrittene Entwicklung

Doch wie kommt es zu dieser Entwicklung? Da scheiden sich die Geister. Die Theorien über Herkunft und Wege des Zölibats sind vielfältig. Auf konservativer Seite gehört der Neutestamentler Klaus Berger zu denjenigen, die sich schon seit vielen Jahren mit dem Zölibat auseinandersetzen. Seine These: Mit dem Zölibat spiegelt der Priester Gott selbst wider, der außerhalb menschlicher Kategorien wie Arbeit und Freizeit, Mann und Frau steht. Der Priester widmet sein ganzes Leben seiner Berufung, ohne seine Zeit etwa mit einer Familie zu teilen. Berger nennt das eine "Totalexistenz" und sieht die Priester in der Nachfolge alttestamentlicher Propheten wie Elija, Elisa, Jeremia oder Daniel, die alleine wirkten. Seiner Ansicht nach gehört die zölibatäre Lebensweise zu den Begabungen, die ein Priester für sein Amt mitbringt. Den Übergang vom Nebeneinander verheirateter und zölibatärer Priester hin zum rein ehelosen Priestertum erklärt er damit, dass die Kirche schlicht genug fähige Bewerber zur Auswahl hatte, um daraus jene auswählen zu können, die den Zölibat leben wollten.

Bild: ©Reiner Just / KNA

Der Neutestamentler Klaus Berger meint: Mit dem Zölibat steht der Priester in der Nachfolge alttestamentlicher Propheten wie Elija, Elisa, Jeremia oder Daniel.

Ganz anders sieht das der Kirchenhistoriker Hubert Wolf, der erst kürzlich ein Buch mit 16 Thesen zum Zölibat geschrieben hat. Geht es nach ihm, rührt die Karriere der priesterlichen Ehelosigkeit aus der Verbindung zweier Bewegungen her, die lange unabhängig voneinander bestanden haben. Zum einen bilden sich in der frühen Kirche asketische Gemeinschaften, die aus Protest aus den Gemeinden ausziehen. Ist das Christentum in seinen ersten Jahren noch sehr darauf fokussiert, dass Jesus bald auf die Erde zurückkehrt – die sogenannte Naherwartung –, tritt dieser Gedanke nach und nach in den Hintergrund. Die Religion wird bürgerlicher. In der Tradition der bescheiden und asketisch lebenden Stoiker aus dem antiken Griechenland, die wohl auch Paulus beeinflusst haben, ziehen diese asketischen Gemeinschaften nun aus und verzichten auf Luxus und Sex. Die Vorläufer des Ordenslebens entstehen. Sie begreifen sich aber dezidiert als Laien. Mit der kirchlichen Hierarchie wollen sie nichts zu tun haben und auch Ämter streben sie nicht an.

Die zweite Bewegung hat mit der Wahrnehmung der Eucharistiefeier zu tun. Anfangs noch vorrangig als gemeinsames Brotteilen verstanden, wird ihr über die ersten Jahrhunderte immer mehr ein kultischer Charakter beigemessen. Zu kultischen Handlungen gehören kultisch reine Priesterinnen oder Priester, das kannte man etwa aus dem Judentum oder von den Heiden so.

Zwei Bewegungen wachsen zusammen

Ab etwa dem dritten Jahrhundert wachsen diese beiden Tendenzen laut Wolf immer mehr zusammen, bis sie etwa im sechsten oder siebten Jahrhundert verschmelzen. Doch in dieser Phase ist der Zölibat nicht das, was wir heute darunter verstehen. Der Historiker hat Anzeichen dafür gefunden, dass der Beschluss der Synode von Elvira lediglich darauf abzielt, verheirateten Priester nur am Tag der Eucharistie ("im Dienst") den Sex mit ihrer Ehefrau zu untersagen. Erst später wird daraus die Vorgabe der Ehelosigkeit. Im Osten ist man übrigens einen anderen Weg gegangen: Auch schon vor der Kirchenspaltung gibt es dort ganz bewusst verheiratete Priester. Die zitierten Synodenbeschlusse werden dort als häretisch verworfen.

Doch auch im Westen ist der Zölibat von Anfang an mehr als umstritten: Zahlreiche Dokumente über Jahrhunderte hinweg lassen erahnen, dass sich Priester in Massen nicht an ihn halten, sondern trotz der Synodenbeschlüsse heiraten. In diesem Befund sind sich Berger und Wolf einig. Für die Kirche ist das allerdings ein Problem: Denn der Zölibat hat den Vorteil, dass Priesterdynastien verhindert werden – und dadurch Nachkommen von Kirchenmännern, die Erbansprüche stellen. Doch der Plan der Kirche geht nicht auf: Noch aus dem 18. Jahrhundert hat Wolf zahlreiche Belege für massenweise Dispensen vom Zölibat gefunden, weil Bischöfe anscheinend nicht gegen die vielen Verstöße vorgehen konnten – oder wollten.

Das ändert sich im 19. Jahrhundert. Die Französische Revolution erschüttert das Glaubensleben schwer, die katholische Kirche steht vielerorts vor einem Scherbenhaufen oder hört auf, in ihren bisherigen Strukturen zu existieren. An diesem Tiefpunkt beginnt sie, herauszustellen, was sie einzigartig macht. Dazu gehören, im Gegensatz zu den verheirateten Pastoren der Protestanten, auch zölibatäre Priester, die Gott viel näher sein sollen als der normale Gemeindechrist. Dies wiederum in Abgrenzung zum originär evangelischen Verständnis des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen.

Bild: ©Andreas Kühlken/KNA

Kirchenhistoriker Hubert Wolf spricht von einer "erfundenen Tradition".

Ein überhöhtes Priesterbild wird aufgebaut und als "erfundene Tradition" festgesetzt, so sieht es Wolf. Damit einher geht der Aufbau eines klerikalen Systems aus den übergeordneten Priestern, die sich vom Kirchenvolk absetzen. Zentraler Teil dieser Überhöhung ist der Zölibat und die damit einhergehende kultische Reinheit des Priesters. Dieses noch recht junge Gebilde wird schließlich auch im Codex Iuris Canonici 1917 kirchenrechtlich und erstmals mit universaler Gültigkeit festgeschrieben. Gezielte päpstliche Diskussionsverbote – etwa beim Zweiten Vatikanischen Konzil – erhalten es bis zum heutigen Tag aufrecht.

Eine Anweisung gibt es nicht

Die Geschichte des Zölibats hat letztlich auch Einfluss auf die Frage, ob er denn wieder abgeschafft werden könnte. Berger und Wolf sagen beide: Ja, das ist möglich. Berger verweist jedoch auf weltkirchliche Probleme, wenn etwa der "synodale Weg" in Deutschland oder die Amazonas-Synode auf Sonderregelungen zusteuern sollten: "Ihn regional aufzuheben wäre ein Unding. Die Theologie ist international, das wäre ein zu großer Substanzverlust." Außerdem bestreitet er, dass sich eine regionale Lösung durchhalten ließe. "Das würden sofort alle nachmachen", konstatiert er.

Anders sieht das Wolf. "Es hat immer unterschiedliche Modelle gegeben, die die Einheit der Kirche nicht gestört haben", sagt er und verweist etwa auf die mit Rom unierten Ostkirchen, die verheiratete Priester haben. Die Geschichte des Zölibats nennt er eine Geschichte der Güterabwägung. Wo in manchen Regionen Lateinamerikas Gläubige wegen akuten Priestermangels nur einmal im Jahr zur Eucharistie gehen könnten, sei es wichtiger, Messe zu feiern als den Zölibat hochzuhalten, sagt er.

Auch die deutschen Oberhirten diskutieren darüber: So haben sich jüngst etwa die Bischöfe Felix Genn (Münster) und Rudolf Voderholzer (Regensburg) für den Erhalt des Pflichtzölibats ausgesprochen, weil er die Nachfolge Christi symbolisiere.  Der Trierer Bischof Stephan Ackermann fürchtet, dass die "wertvolle Lebensform" verschwinden würde, wenn sie nicht mehr verpflichtend wäre. Offen für eine Diskussion zeigte sich dagegen etwa der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf: "Der Zölibat ist nicht die vollkommenere Form der Christusnachfolge, als die er manchmal vertreten worden ist." Auch der Limburger Oberhirte Georg Bätzing befand: "Ich glaube, es schadet der Kirche nicht, wenn Priester frei sind, zu wählen, ob sie die Ehe leben wollen oder ehelos leben wollen." Die Auseinandersetzungen über den Zölibat werden weitergehen.

Von Christoph Paul Hartmann

Buchtipp

Hubert Wolf: Zölibat. 16 Thesen. Verlag C.H.Beck, München 2019, 190 Seiten, 14,95 Euro. ISBN: 978 3 406 74185 2.