Was die Kirche von der Einführung des Frauenwahlrechts hielt
Am 19. Januar 1919 wurde die verfassunggebende Nationalversammlung gewählt – zum ersten Mal vom gesamten Volk, samt der weiblichen Bevölkerung. Häufig ist die Meinung zu hören, in kirchlichen Kreisen sei man vor 100 Jahren gegen das Wahlrecht der Frau gewesen, weil die Frau zu ihrer Familie und nicht in die Politik gehöre. Den Satz kann die Historikerin Maria Anna Zumholz so nicht unterstreichen und fragt zurück: "Wer ist gemeint mit 'die Kirche'?" Sie unterscheidet nicht nur zwischen evangelischer und katholischer Kirche, sondern auch zwischen den damaligen Bischofskonferenzen, den einzelnen Bistümern, die autonom waren, den Theologen, der katholischen Verbänden und der Zentrumspartei.
Allgemein sei die katholische Kirche weitaus entspannter an die Frage des Frauenwahlrechts gegangen als die evangelische, so Zumholz von der Arbeitsstelle Katholizismus- und Widerstandsforschung der Uni Vechta. Grund sei das Frauenbild, das die Protestanten von Martin Luther übernommen hätten. Demnach ist es die Bestimmung von Menschen, zu heiraten, um die Sexualität zu kontrollieren – und der Platz der verheirateten Frau war das Haus. Bei den Katholiken habe es hingegen schon immer eine hohe Wertschätzung für Frauen gegeben, die ehelos lebten. Sie konnten etwa als Äbtissin, Lehrerin oder Krankenschwester im öffentlichen Raum wirken. So gab es seit dem 19. Jahrhundert katholische Lehrerinnen- und Frauenverbände, die laut Zumholz mit einem großen Selbstbewusstsein ausgestattet waren und sich gegen Widerstände auch Rechte erkämpft hatten. "Das Wahlrecht mussten die Frauen in der katholischen Kirche nicht mehr gegen die Männer erkämpfen!", sagt sie.
"Grundrechte, die dem mittelmäßigsten Bürger zugesprochen sind"
Sie verweist auf katholische Männer die öffentlich für das Frauenwahlrecht eintraten, etwa den Münsteraner Priester und Professor für Moraltheologie und Apologetik, Joseph Mausbach (1861-1931). Er schrieb bereits 1906, dass es schwer zu sagen sei, "welche Grundsätze unserer Moral der Frau die Ausübung eines solchen ‚allgemeinen Bürgerrechts‘ verbieten sollten". Es gebe "keine kirchliche Glaubens- oder Sittenlehre, welche die Frauen von der politischen Betätigung ausschlösse", so Mausbach. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg sei zudem der "Männerstaat" des Kaiserreichs in einen "Volksstaat" umgewandelt worden. Daher ließe sich "die weibliche Hälfte des Volkes nicht länger von gewissen Grundrechten, die auch dem mittelmäßigsten Bürger zugesprochen sind, ausschließen und fernhalten", argumentierte der Theologe. Seiner Ansicht nach würden Frauen in der Politik "ihr ganzes weibliches Empfinden machtvoll gegen das blutige Männermorden in die Waagschale werfen"; die Frau sei eine "Macht des Friedens".
In politischen Ämtern wollte Mausbach allerdings lieber nur ehelose Frauen sehen. In Übereinstimmung mit vielen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen seiner Zeit meinte er, dass das passive Wahlrecht mit dem Beruf der "Gattin und Mutter" kollidierte. Er erinnerte an das "katholische Frauenideal", nach dem berufsmäßiges geistiges und soziales Schaffen von Alters her "Jungfrauen" und "Witwen" zugewiesen worden sei. Es blieb bei dem frommen Wunsch des Priesters: Bereits unter den ersten gewählten katholischen Frauen waren auch Mütter. Die Historikerin Zumholz erinnert an Maria Brand, eine achtfache Mutter und Zentrumspolitikerin, die im Dezember 1919 in den oldenburgischen Landtag einzog – als ihre jüngste Tochter drei Jahre alt war.
Am 19. Januar 1919 gaben über 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen ihre Stimme ab. Damals kandidierten 300 Frauen. 37 von ihnen zogen letztendlich in die 423 Abgeordnete zählende Nationalversammlung ein – es gab also einen Frauenanteil von 8 Prozent. Von den 37 Abgeordneten gehörten sechs der "katholischen Partei", dem Zentrum, an: Die Gründerin des "Sozialdienstes katholischer Frauen", Agnes Neuhaus; Marie Schmitz, Helene Weber, Hedwig Dransfeld, Christine Teusch und für die Bayerische Volkspartei Marie Zettler.
Kaum Biografien zu den ersten katholischen Politikerinnen
Aber die Forschung zu den sechs Frauen ist bislang dürftig: Nur zu Teusch liegt eine aktuelle politische Biographie vor. Markus Raasch und Andreas Linsenmann, die Herausgeber des 2018 erschienenen Buchs "Die Frauen und der politische Katholizismus", betonen, dass das Thema der katholischen Frauen in der Politik hinsichtlich des Kaiserreichs eine "terra incognita" darstelle und für die Weimarer Republik "viele dunkle Flecken" aufweise.
Auch Historikerin Zumholz weist auf "weitgehend unbearbeitete Felder" hin. "Es bedarf einer sorgfältigen Quellenanalyse, wie einzelne Bischöfe, die die Fuldaer und die Bayerische Bischofskonferenz und nicht zuletzt die Zentrumspartei zum Thema Frauenwahlrecht standen". Letztlich wurden sie Ende 1918 mit der Einführung des Frauenwahlrechts vor vollendete Tatsachen gestellt und versuchten anschließend, das Beste daraus zu machen. Das Ziel von Bischöfen und katholischen Verbänden bestand darin, der Zentrumspartei möglichst viele Stimmen zu sichern, und dazu benötigte man von nun an die Frauen.
So steht etwa in der ersten Ausgabe der "Mutter", der Verbandszeitung der christlichen Müttervereine, des Jahres 1919, der Satz: "Darum kann ich am 19. Januar der Liste des Zentrums ruhig meine Stimme geben". Als Themen, auf die die erstmals wählenden Frauen achten sollten, wurden die Möglichkeit der religiösen Erziehung der Kinder, konfessionelle Volksschulen, Religionsfreiheit und die Stellung des Staates zu Religion und Kirche genannt.
100 Jahre später feiern die katholischen Frauenverbände die Vorgängerinnen, "die in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche beharrlich und gegen viele Widerstände für die Rechte von Frauen gekämpft haben", wie es die KDFB-Präsidentin Maria Flachsbarth ausdrückt. Vor ihnen und vor denen, die bis heute auf allen Ebenen politisch denken und handeln, zieht der Frauenbund mit einer großen Foto-Aktion sprichwörtlich den Hut. Die kfd hingegen unterstützt die Kampagne #mehrFrauenindieParlamente des Deutschen Frauenrats. Schließlich sind im Deutschen Bundestag derzeit mit 30,9 Prozent so wenige Frauen vertreten wie zuletzt im Jahr 1998.
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