Die Deutung der Zahlen ist schwierig

Was die Missbrauchsstudie aussagen kann – und was nicht

Veröffentlicht am 20.09.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ In fünf Tagen will die Deutsche Bischofskonferenz ihre große Missbrauchsstudie veröffentlichen. Der Forschungsansatz soll weltweit einzigartig und vielschichtig sein. Und dennoch wird eine Auswertung der Zahlen schwierig sein.

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Am Dienstag wollen die deutschen Bischöfe in Fulda die Ergebnisse ihrer Studie über sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Geistliche vorstellen. Vorab wurden viele Details bekannt. Schon jetzt zeigt sich, wie schwierig eine Auswertung der Zahlen ist. Was die Studie aussagen kann - und was nicht, beschreibt die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA). Diese erste Analyse bezieht sich ausschließlich auf die bisher bekanntgewordenen Daten.

Was haben die Wissenschaftler untersucht?

Sie haben im Auftrag der Bischöfe Daten aus 38.156 Personal- und Handakten aller 27 deutschen Bistümer ausgewertet. Die Akten betreffen Anschuldigungen aus den Jahren 1946 bis 2014, also aus mehr als 70 Jahren. Hinzu kommen Interviews mit Betroffenen sowie beschuldigten und nicht beschuldigten Klerikern, Vergleichsanalysen sowie eine anonymisierte Befragung von Betroffenen. Außerdem wurden Strafakten analysiert und Präventionskonzepte unter die Lupe genommen.

Warum wurden keine Originalakten ausgewertet?

Die Forscher hatten keinen direkten Zugriff auf die Originalakten - zum Schutz auch jener kirchlichen Mitarbeiter, die nichts mit Missbrauchsvorwürfen zu tun haben. Mitarbeiter aus den Bistümern oder beauftragte Anwälte haben die Akten durchgesehen und die Informationen nach Vorgabe der Wissenschaftler anonym auf Erfassungsbögen übertragen.

Eine Reihe schwarzer Aktenordner.
Bild: ©GaToR-GFX/Fotolia.com

Nach Angaben der Forscher ist die Personalaktenführung beim Thema Missbrauch "heterogen und ohne einheitliche Standards".

Sind die Akten vollständig?

Nach Angaben der Forscher gibt es Hinweise darauf, dass "relevante Personalakten oder andere Dokumente zu früheren Zeiten vernichtet oder manipuliert" wurden. Die exakte Zahl dieser Akten sei nicht mehr zu ermitteln. Auch sei insgesamt die Personalaktenführung beim Thema Missbrauch "heterogen und ohne einheitliche Standards".

Ist die genaue Zahl der Täter und Opfer bekannt?

Da die Einzelfälle nicht juristisch bewertet wurden, spricht die Studie nur von "Beschuldigten" und "Betroffenen". Zu den "Beschuldigten" gehören überführte Einmaltäter und Mehrfachtäter genauso wie zu Unrecht beschuldigte Geistliche und solche Fälle, bei denen nichts mehr geklärt werden kann. Analog gehören zu den "Betroffenen" alle Missbrauchsopfer, aber auch Betroffene, bei denen sich die Vorwürfe als unzutreffend erwiesen haben, und solche, bei denen die Vorfälle nicht mehr geklärt werden konnten.

Themenseite: Missbrauch

Der Missbrauchsskandal erschütterte die katholische Kirche in ihren Grundfesten. Seit 2010 die ersten Fälle bekannt wurden, bemüht sich die Kirche um Aufarbeitung der Geschehnisse. Katholisch.de dokumentiert die wichtigsten Etappen.

Was sagt die Studie über Zölibat und Homosexualität?

Die Forscher betonen, alle Befunde seien lediglich beschreibend. Aufgrund der Methodik sei "ein statistischer Nachweis kausaler Zusammenhänge zwischen einzelnen Phänomenen oder Variablen nicht möglich". Allenfalls könnten auf der Grundlage vorliegender Befunde Vermutungen geäußert werden. So schreiben die Wissenschaftler, dass "weder Homosexualität noch Zölibat eo ipso Ursachen für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen" seien.

Allerdings "könnten spezifische Strukturen und Regeln der katholischen Kirche ein hohes Anziehungspotenzial für Personen mit einer unreifen homosexuellen Neigung haben". Außerdem legten einige Befunde nahe, "sich mit der Frage zu befassen, in welcher Weise der Zölibat für bestimmte Personengruppen in spezifischen Konstellationen ein möglicher Risikofaktor für sexuelle Missbrauchshandlungen sein kann".

Welche Aussagekraft hat die Studie?

Der Forschungsansatz ist nach Angaben der Wissenschaftler weltweit einzigartig, weil kriminologische, psychologische, soziologische und forensisch-psychiatrische Aspekte einbezogen wurden. Insofern ist sie vielschichtiger als die ähnlich umfangreiche, aber rein kriminologische Missbrauchs-Studie im Auftrag der US-Bischofskonferenz aus dem Jahr 2004.

Von Gottfried Bohl (KNA)