Was eine Reliquie mit den "Avengers" zu tun hat
Die Ähnlichkeit ist verblüffend: Zwei Artefakte von unschätzbarem Wert – und beide haben die Form einer linken Hand aus bräunlichem Metall, am unteren Ende jedes der fünf feingliedrig gestalteten Finger findet sich ein farbiger Edelstein und in der Mitte des Handrückens gibt es eine ovale Einkerbung. Trotz der offensichtlichen Übereinstimmungen stammen die beiden Darstellungen einer Hand doch aus sehr unterschiedlichen Welten. Die Rede ist einerseits vom "Infinity Gauntlet", einem Handschuh, der im Universum der Comic-Verfilmungen rund um die Superhelden "Avengers" schier allmächtige Kräfte verleiht. Dieser besondere Handschuh ist etwa im Film "Avengers: Endgame" zu sehen, der derzeit in den Kinos läuft. Andererseits handelt es sich um ein Reliquiar aus dem 17. Jahrhundert, das die Hand der heiligen Teresa von Ávila enthält.
Auch wenn es keine Bestätigung von "Marvel Comics" gibt, die die Rechte an den "Avengers" halten, so stimmen doch viele katholische Blogs und Nachrichtenseiten, besonders aus den USA, darin überein, dass das spanische Reliquiar Pate für das Design des "Infinity Gauntlet" gestanden haben muss. Die äußere Übereinstimmung liegt auf der Hand. Doch im Gegensatz zum fiktiven Handschuh der Comic-Verfilmung hat das Reliquiar eine bewegte reale Vergangenheit hinter sich.
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Die "Unverweste Hand der heiligen Teresa von Jesús", wie die Reliquie in Spanien genannt wird, befindet sich heute in einer Kirche im andalusischen Ronda. Begonnen hat ihre Geschichte jedoch vor mehr als 400 Jahren mit dem Tod Teresas von Ávila. Zehn Monate nach ihrem Ableben im Oktober 1582 wurde ihr Leichnam exhumiert. Dabei stellte man fest, dass die Verwesung noch nicht begonnen hatte und Teresas Körper komplett intakt war – traditionell ein Zeichen für die Heiligkeit eines Verstorbenen. Zur Förderung der Verehrung Teresas wurden ihre Gliedmaßen abgetrennt und in Reliquiare aus Edelmetall und kostenbaren Steinen eingefasst, wie auch ihre linke Hand, die den Unbeschuhten Karmelitinnen in Ávila übergeben wurde. Dieses Kloster hatte Teresa bei ihrer Reform des Karmeliterordens als erstes geründet und selbst dort lange Jahre gelebt.
Putschisten retteten die Reliquie
Nachdem die Reliquie vom später eigens dafür angefertigten Reliquiar aus vergoldetem Silber umfasst worden war, kam sie in den Konvent der Karmelitinnen in Lissabon. 1910 mussten alle Unbeschuhten Karmelitinnen infolge der Revolution das Land verlassen. Sie gründeten gemeinsam einen neuen Konvent im spanischen Ronda – und nahmen auch die Hand ihrer Ordensgründerin dorthin mit. Im Spanischen Bürgerkrieg gelangte die Reliquie 1936 in die Hände der Republikaner. Die Verfechter der Demokratie waren der Kirche gegenüber feindlich eingestellt und wollten das Reliquiar zerstören, das sie inzwischen nach Málaga gebracht hatten. Doch die Eroberung der andalusischen Stadt durch die rechtsgerichteten Putschisten rettete die "Unverweste Hand".
General Francisco Franco, der mit seinen faschistischen Militärs als Sieger aus dem Bürgerkrieg hervorging, bekam von der Kirche die Erlaubnis, das Reliquiar in seiner Privatkapelle im Pardo-Palast nordwestlich von Madrid aufzubewahren. Dort hatte der "Caudillo" zahlreiche geraubte Kunstschätze gesammelt. Die Hand der heiligen Teresa verehrte der Katholik Franco jedoch besonders. Er scheint sie als eine Art Talisman angesehen zu haben, der auf „wundersame Weise“ in seinen Besitz gelangt war. Er soll das Reliquiar zudem auf Reisen mit sich geführt und in einem eigens angefertigten Möbelstück neben seinem Bett platziert haben. Dort scheint die Hand Berichten zufolge auch gewesen zu sein, als der Diktator 1975 starb.
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Nach Francos Tod gaben seine Witwe und seine Tochter die Reliquie von Teresa dem Karmelitinnen-Kloster in Ronda zurück. Doch zuvor wurde auf Wunsch der Familie Francos auf dem Handrücken der Reliquie eine "Erinnerung" an den Militärdiktator eingefügt: Der Ferndinandsorden, eine hohe spanische Auszeichnung für verdiente Soldaten, den Franco tagtäglich an seiner Uniform trug, ist jetzt dort zu sehen.
Ob sich die Marvel-Zeichner George Pérez und Ron Lim tatsächlich bei ihrem Entwurf des "Infinity Gauntlet" aus dem Jahr 1991 von der Gestaltung des teresianischen Hand-Reliquiars haben inspirieren lassen, bleibt im Dunkeln. Fall es jedoch so wäre, müsste man dies als Anspielung auf Franco verstehen, der während des Bürgerkriegs und seiner Herrschaft über Spanien, Oppositionelle brutal unterdrückt und zahlreiche Tote zu verantworten hat. In den Erzählungen der "Avengers" ist es schließlich ebenfalls ein Bösewicht, der den mächtigen Handschuh für seine Missetaten benutzt: Der Superschurke Thanos löscht mit seiner Hilfe die Hälfte allen Lebens im Universum aus – etwas, das Franco, Gott sei Dank, nicht gelungen ist.