Wenn eine Frau die Gemeinde leitet
Bärbel Bloching (55) ist Pastoralreferentin in St. Johann Baptist Affaltrach in Obersulm. Seit gut einem Jahr ist Bloching nun in der neuen Funktion als Pfarrbeauftragte angestellt und damit an der Spitze der Kirchengemeinde. Ein Leitungsmodell, das sich auf can. 517,2 im Kirchenrecht bezieht und von der Diözese unterstützt wird. Zurzeit gibt es vier Pfarrbeauftragte in Rottenburg-Stuttgart.
Seit 1995 ist die Theologin Bloching in der Kirchengemeinde in Obersulm angestellt. Eine Kirchengemeinde mit 4000 Katholiken, verteilt auf mehrere Ortschaften. Ein großes Seelsorgegebiet in der Diaspora, das heißt, die Katholiken sind weit weniger als die Protestanten.
"Irgendwann fehlte bei uns der Pfarrer", erzählt Bloching. "Nachdem wir eine Zeitlang eine Vakanz überbrückt hatten, blieben uns zwei Möglichkeiten: Entweder wir bilden mit der Nachbargemeinde eine große Seelsorgeeinheit oder wir übernehmen ein neues Leitungsmodell. Die neue große Seelsorgeeinheit wäre untragbar gewesen." Denn sonntags verbringe sie ohnehin schon viel zu viel Zeit im Auto. Die große Gemeinde hätte keine wirkliche Ansprechperson vor Ort, weil die Wege einfach zu weit wären. Daher fiel dem Kirchengemeinderat die Entscheidung leicht. "Wir haben dem Ordinariat daher vorgeschlagen: Lieber bleiben wir alleine und ohne einen neuen Pfarrer als in einer großen Seelsorgeeinheit aufzugehen", so Bloching. Das war durchaus eine mutige Entscheidung, blickt sie heute zurück. Sie war aber auch ein Ergebnis des diözesanen Prozesses "Kirche am Ort", der die Gemeinden ermutigt, quer zu denken und neue Wege zu gehen.
Rottenburg unterstützte es sehr, das neue Seelsorgemodell auszuprobieren, der Bischof stimmt zu und Bärbel Bloching wurde als Pfarrbeauftragte eingestellt. "Die Beauftragung erfolgte in einem Gottesdienst", berichtet sie. Ich spürte, wie die Gemeinde das mittrug.
Bloching übernimmt mit der Beauftragung sämtliche seelsorgliche Aufgaben in der Gemeinde, also Erstkommunion, Firmung, Beerdigungsdienste, die Gestaltung der Karfreitagsliturgie, Wortgottesfeiern, Predigtdienste, das Spenden des Sterbesegens sowie der Krankenkommunion. Mit der neuen Funktion hat sie zudem Aufgaben in der Verwaltung übernommen. Denn als Personalverantwortliche ist sie auch Vorgesetzte von Kirchenmusiker, Kindergartenleiterinnen, Mesner, Hausmeister, Sekretärinnen und Ehrenamtskoordinatoren. "Ich stelle Personal ein, ich unterschreibe sämtliche Verträge sowie Rechnungen und ordne Überweisungen an", berichtet sie.
Außerdem lädt sie ihre Mitarbeiter alle zwei Wochen zum Dienstgespräch ein. Dazu gehört auch der gewählte Vorsitzende des Kirchengemeinderates der sie mit Tat und Rat unterstützt. "Als Frau habe ich damit eine beachtliche Verantwortung in der Kirche", findet sie. Sie übernehme aber auch viele repräsentative Aufgaben. Nach außen sei sie die offizielle Vertreterin der katholischen Seite. Daher werde sie ab und zu auch als Frau Pfarrerin oder Gemeindeleiterin angesprochen. Das sei typisch für die evangelisch geprägte Gegend. "Das kennen die Leute halt", meint sie.
Dennoch sieht sich Bloching in einer Sonderrolle. Während ihre drei anderen Kollegen im Bistum als Pfarrbeauftragte jeweils einen leitenden Pfarrer an die Seite gestellt haben, ist das bei ihr anders. Der Pfarrer der Nachbargemeinde ist zwar offiziell ihr Vorgesetzter, also leitender Pfarrer, aber sie arbeite sehr selbständig. "Wir haben keine Dienstgespräche, nur ein gutes Vertrauensverhältnis", sagt sie.
Die liturgischen Dienste sowie die Sakramentenspendung in der Gemeinde übernimmt ein Pfarrvikar, der aus Afrika stammt. Er akzeptiert die Rollenverteilung. Die Leitung von Pfarreien durch Laien sei in Afrika sehr verbreitet, daher habe er keine Probleme mit mir, glaubt Bloching. "Ab und zu greife ich ihm auch unter die Arme und teile ihn für Dienste ein". Sonntags wechseln sie sich beim Predigen und bei der Gestaltung der liturgischen Feiern ab. Andere Aufgaben, wie das Open-Air-Kino, sämtliche Veranstaltungen mit Jugendlichen, die Ökumene oder kulturelle Aufgaben teilen sie unter sich auf. Außerdem sei die Gemeinde gesegnet mit vielen engagierten Ehrenamtlichen. „Bei uns zeigt sich, was in Kirche möglich ist“, so Bloching.
Am Wochenende habe sie daher selten frei, erklärt sie. Wie sich das mit ihrer Familie verträgt? Ihr Mann, der auch Pastoralreferent war, ist vor zehn Jahren verstorben. Die drei Kinder sind alle über 19 Jahre alt und aus dem Gröbsten raus, erzählt sie. Das Familienhaus steht zwischen Gemeindehaus und Pfarrhaus. "Unsere Tür ist immer offen". Man gehe eher zu Blochings als ins Pfarrhaus. Das sei manchmal schwierig. Auch wenn sie gerne mit Menschen zusammenarbeite, sei die Aufgabe in einer Gemeinde endlos. Der Wechsel zwischen den einzelnen Terminen sei anstrengend, wenn sie vom Sterbefall zur Mutter-Kind-Gruppe oder von der Erstkommunionvorbereitung zum Trauergespräch eile. Abends sei sie oft müde.
Sie müsse halt lernen, öfters mal Nein zu sagen, gibt sie zu. Heute versuche sie sich einen Tag in der Woche frei von Terminen zu halten, damit sie nicht ausbrenne. Einmal stand sie schon kurz davor. Dennoch sei es der richtige Beruf für sie, sagt Bloching. Vor allem bei Beerdigungen fühle sie sich sehr nahe bei den Menschen. "Ich bin Seelsorgerin von ganzem Herzen und mit Leib und Seele." Nach drei Jahren soll es im Ordinariat gemeinsam mit den anderen Berufskollegen eine Auswertung des Seelsorgemodells geben. Sie fände es gut, wenn sie diese Aufgabe weiterhin behalten könnte. Jetzt sei sie richtig drin und wolle auch etwas daraus machen, sagt Bloching.