Widerstand als "einzige und höchste Pflicht"
Robert Scholl sollte recht behalten: "Ihr werdet in die Geschichte eingehen", sagte Scholl seinen beiden Kindern Hans und Sophie bei ihrer letzten Begegnung am 22. Februar 1943 im Münchner Gefängnis Stadelheim. Nach ihrer Verurteilung durch den Volksgerichtshof wenige Stunden zuvor waren die Geschwister gemeinsam mit ihrem Freund Christoph Probst hierher gebracht worden. Und nur kurze Zeit später wurden die drei Studenten hier als erste Mitglieder der Widerstandgruppe "Weiße Rose" vom NS-Regime hingerichtet.
Besiegelt worden war das Schicksal der Geschwister Scholl und ihrer Gruppe vier Tage zuvor. Am 18. Februar frühstücken Hans und Sophie Scholl gemeinsam, bevor sie gegen 10 Uhr zur Ludwig-Maximilians-Universität aufbrechen. Bei sich tragen sie einen Koffer, darin das sechste Flugblatt der "Weißen Rose": "Im Namen der ganzen deutschen Jugend fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen hat", heißt es in dem Schreiben.
Abgeführt vom Hausmeister der Universität
Während die Vorlesungen im Hauptgebäude der Universität noch andauern, verteilen Hans und Sophie Scholl die Flugblätter auf den menschenleeren Treppen, Fensterbänken und Mauervorsprüngen. Vermutlich spontan werfen sie schließlich die letzten Papiere von der Balustrade des Lichthofes im Foyer des Hauptgebäudes. Während die Flugblätter noch Richtung Erdboden flattern, öffnen sich die Hörsäle. Die Studenten strömen heraus, und auch die Geschwister Scholl rennen die Treppen hinunter. Doch der Hausmeister Jakob Schmid hat die beiden beobachtet. Das SA- und NSDAP-Mitglied kommt Hans und Sophie Scholl entgegen, packt sie am Arm und schreit mehrmals: "Sie sind verhaftet!"
Die Mitglieder der "Weißen Rose"
Den inneren Kreis der "Weißen Rose" bildeten die beiden Geschwister Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst, Willi Graf, Alexander Schmorell sowie der Universitätsprofessor Kurt Huber. Darüber hinaus sind der Gruppe weitere Mitarbeiter und Unterstützer zuzurechnen. Zu ihnen gehörten Traute Lafrenz, Hans Conrad Leipelt, Marie-Luise Jahn, Hans Hirzel, Susanne Hirzel, Heinz Brenner, Franz J. Müller, Eugen Grimminger, Jürgen Wittenstein, Lilo Ramdohr, Gisela Schertling und der später auch als Regisseur bekannt gewordene Falk Harnack. Hinzu kamen Harald Dohrn, der Schwiegervater von Christoph Probst, der Architekt Manfred Eickemeyer, in dessen Atelier sich die "Weiße Rose" traf, der Kunstmaler Wilhelm Geyer, der Eickemeyers Atelier mietete und Hans Scholl den Schlüssel zu den Räumen überließ, sowie der Buchhändler Josef Söhngen, dessen Keller als Versteck für die Flugblätter diente.Alle Ausgänge der Universität waren zwischenzeitlich gesperrt worden, erinnerte sich später eine Studentin. Wer ein Flugblatt an sich genommen hatte, musste es abgeben. Zwei Stunden hätten alle auszuharren gehabt, bis Hans und Sophie Scholl auf einmal von der Gestapo mit gefesselten Händen an ihnen vorbeigeführt worden seien.
Zunächst leugneten die Geschwister noch, Urheber der Flugblätter zu sein; doch die NS-Behörden konnten sie schnell überführen. Einen Tag später wurde auch Christoph Probst in Haft genommen, weil die Gestapo einen Flugblatt-Entwurf von ihm bei Hans Scholl gefunden hatte. Dann ging alles ganz schnell: Nur vier Tage später machte der eigens aus Berlin angereiste Präsident des Volksgerichshofs, Roland Freisler, im Münchner Justizpalast mit den drei Verhafteten kurzen Prozess: Angeklagt wegen "Wehrkraftzersetzung", "Feindbegünstigung" und "Vorbereitung zum Hochverrat" verurteilte er sie zum Tod durch das Fallbeil.
"Ich bereue meine Handlungsweise nicht"
Grundlage für die Todesurteile waren die Protokolle der Gestapo-Vernehmungen. Die Kommissare Anton Mahler und Robert Mohr hatten Hans und Sophie Scholl tagelang getrennt voneinander verhört. Erst als Sophie Scholl vom Geständnis ihres Bruders erfuhr, gab auch sie ihre Beteiligung an den Flugblatt-Aktionen der "Weißen Rose" zu. "Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen", sagte die 21-Jährige zum Schluss der Befragungen.
Mit ihren Flugblättern wollte die "Weiße Rose" die Deutschen wachrütteln, um sie auf den erhofften Sturz des NS-Regimes vorzubereiten. Im Mai 1942 erschien das erste Blatt. Darin thematisierten sie die Schuld, mit der sich jeder beschäftigen müsse, der "als Mitglied der christlichen und abendländischen Kultur nicht für die Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Diktatur des Bösen" eintrete. Aufgrund des verbrecherischen Charakters des Regimes sei passiver Widerstand die "einzige und höchste Pflicht". Bereits im zweiten Schreiben verurteilten die Studenten dann die Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Die Gruppe rief dazu auf, die Flugblätter weiterzuverbreiten "bis auch der letzte von der äußersten Notwendigkeit" des Widerstands überzeugt sei. "Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!", schrieben sie.
Eine wesentliche Motivation für ihren Widerstand gegen Hitler und den Nationalsozialismus zogen die Geschwister Scholl – die zunächst durchaus begeistert in den NS-Jugendorganisationen aktiv gewesen waren – aus ihrem christlichen Glauben. Sich für eine gerechte Sache einzusetzen, hätten sie in ihrem liberal-protestantischen Elternhaus gelernt, so der Theologe Robert M. Zoske, der sich in der gerade erschienenen Biografie "Flamme sein!" Hans Scholl und der "Weißen Rose" gewidmet hat. Vater Robert habe im Ersten Weltkrieg etwa nicht an der Waffe gedient, sondern als Sanitäter gearbeitet. Und Mutter Magdalene sei evangelische Krankenschwester gewesen, die Opferbereitschaft gelobt habe.
Die christliche Grundhaltung der Geschwister Scholl und deren Wirkung auf ihren Widerstand findet sich in zahlreichen ihrer Schriften. So schrieb Hans Scholl einmal: "Es muss ein sichtbares Zeichen des Widerstandes von Christen gesetzt werden. Sollten wir am Ende dieses Krieges mit leeren Händen vor der Frage stehen: Was habt ihr getan?"
Berührung mit den Schriften von John Henry Newman
Geprägt wurden Hans und Sophie Scholl in ihrem Widerstand auch von Theodor Haecker. Der Übersetzer der Werke des seligen John Henry Newman, der 1921 zum Katholizismus konvertiert war und laut dem Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon "zu den bedeutendsten katholischen Schriftstellern zwischen den beiden Weltkriegen" gehört, war ein wichtiger Mentor der Geschwister. Haecker brachte ihnen die Schriften Newmans näher und war auch inhaltlicher Ideengeber für die ersten Flugblätter der "Weißen Rose", in denen zahlreiche christliche Begriffe und Bilder auftauchen. So heißt es zum Beispiel im vierten Flugblatt: "Jedes Wort, das aus Hitlers Munde kommt, ist Lüge: Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg, und wenn er in frevelhaftester Weise den Namen des Allmächtigen nennt, meint er die Macht des Bösen, den gefallenen Engel, den Satan."
Mit der Hinrichtung der Geschwister Scholl und von Christoph Probst am 22. Februar 1943 verstummte die "Weiße Rose". Die drei Widerstandskämpfer fanden auf dem Friedhof am Perlacher Forst ihre letzte Ruhe. Später im Jahr wurden mit Willi Graf, Alexander Schmorell und Kurt Huber drei weitere Mitglieder der Gruppe vom NS-Regime hingerichtet.