"Wir haben voll ins Schwarze getroffen"
Die Einrichtung sei stets ausgebucht gewesen, sagt Müller nicht ohne Stolz. In Zahlen sind das rund 1.600 Besucher in den dreimonatigen oder einmonatigen Kursen, in denen kirchlichen Mitarbeitern etwa bei Burnout oder Zweifeln an ihrer Berufung geholfen wird. Außerdem verweist der Noch-Leiter auf 400 Einzelkontakte. Das Haus wird von der Abtei und inzwischen neun deutschen Diözesen getragen, das sind immerhin doppelt so viele wie zum Start.
"Angst und Unsicherheit" hätten den ersten Kurs begleitet, weiß Müller. Was, wenn sich Priester reihenweise zum Austritt entscheiden? Geben die Verantwortlichen dann dem Recollectio-Haus die Schuld? Ja, mancher Kursteilnehmer verlässt im Anschluss seinen Orden oder gibt den Priesterberuf auf. Die Bistümer könnten das aber einordnen, sagt der Therapeut. Auch sie wüssten, dass es besser sei, wenn Geistliche ihre Lebenssituation in Ruhe erforschten und dann in Frieden gingen. Auf etwa fünf Prozent schätzt der Theologe ihren Anteil unter den Priestern und Ordensleuten bei seinen Gästen. Von den Laien, die seit zehn Jahren ebenso Kurse besuchen können, wechselten zwei bis drei Prozent den Beruf.
Am Anfang stand Überzeugungsarbeit
Doch viele sind eben auch in ihrer Kirche geblieben, hätten gar Karriere gemacht, berichtet Müller. So werde der vierwöchige Kurs für Mitarbeiter, die vor neuen Aufgaben stünden, zu 80 Prozent vom Erzbistum München und Freising bezahlt. Während er vor 25 Jahren die "Verantwortlichen manchmal noch bewegen musste, für ihre Leute etwas zu tun", sorgten sich diese nun um ihre Beschäftigten.
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Erreichbar sein, trösten können, spirituelle Orientierung geben: Die Anforderungen an Seelsorger sind hoch. Vielleicht zu hoch? Das wollten Wissenschaftler durch eine deutschlandweite Stress-Studie herausfinden, an der rund 8.600 katholische Seelsorger teilgenommen haben.Auch die Themen haben sich laut Müller verändert. Anfangs spielten noch Zölibat und Sexualität eine große Rolle. Das sei heute nicht mehr das Problem. Er habe das Gefühl, viele hätten sich mit der Situation arrangiert. "Vom Entweder-oder zu einem Sowohl-als-auch." Heute seien viele Kursteilnehmer mit der allgemeinen kirchlichen Situation nicht mehr zufrieden. Wenn es etwa um die immer größeren Gemeindestrukturen gehe, wo die eigentliche Seelsorge immer schwieriger werde. Auch das schwindende Ansehen für Priester kratze am Selbstbewusstsein. "Ist es noch sinnvoll, was ich tue?" sei eine häufige Frage.
Hier setzt das ganzheitliche Recollectio-Konzept an. Die Teilnehmer wohnen im Haus, kümmern sich um Mahlzeiten, Wäsche und Freizeit. Geboten werden neben der Psychotherapie auch Angebote für den Körper: Mitarbeit in den Werkstätten der Abtei, Reiten, Walking oder Aikido. Besonders ist die spirituelle Seite durch die enge Anbindung ans Kloster, wie Müller betont. Immerhin gehe es um geistliche Menschen, die auch Ressourcen aus ihrer Berufung schöpfen könnten.
Unterstützung von den Mönchen
Überhaupt sei die Einrichtung nicht ohne die Münsterschwarzacher Benediktiner zu denken. Es sei ein "Glücksfall" gewesen, dass Anselm Grün sein in einem Brief formuliertes Anliegen sofort aufgegriffen habe, erzählt Müller. Im zurückliegenden Vierteljahrhundert konnte er sich der Unterstützung und Loyalität vonseiten der Mönche sicher sein. Auch dann, wenn der Recollectio-Haus-Leiter mal wieder zum Thema Zölibat oder Homosexualität öffentlich Stellung bezog.
"Unsere Aufgabe besteht darin, was wir als strukturelle Probleme sehen, auch zu benennen", sagt Müller. Dass daraus ein politisches Statement werden kann, streitet er nicht ab. Es gehe aber darum, die Not der Menschen zu beseitigen. Gerade beim Thema Missbrauch sei das nicht immer einfach gewesen.