Sozialpsychologe Keupp für engere Zusammenarbeit von Kirche und Staat

Zur Missbrauchsbekämpfung: Braucht es ein neues Konkordat?

Veröffentlicht am 23.01.2019 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN

München ‐ Opfer sexuellen Missbrauchs würden durch die Kirche nach wie vor nicht ausreichend unterstützt: Die Lösung sieht Sozialpsychologe Heiner Keupp im Abschluss eines neuen Konkordats zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl.

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Der Münchner Sozialpsychologe Heiner Keupp plädiert für eine engere Zusammenarbeit von Staat und Kirche bei der Missbrauchsbekämpfung. "Ich würde mir ein neues Konkordat wünschen, in dem das klar vereinbart wird", sagte Keupp am Dienstagabend in München. So würden Opfer nach wie vor nicht ausreichend durch die Kirchen in dem unterstützt, was sie bräuchten. Viele wüssten zum Beispiel nicht, wie sie eine Therapie bezahlen sollen.

Der Experte sprach sich außerdem für weitere und tiefergehende Untersuchungen des Problems in jeder einzelnen Diözese aus. Die Mängel der von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen und im September 2018 veröffentlichten Studie seien nicht von den Wissenschaftlern zu verantworten, sondern hingen mit der eingeschränkten Auftragsvergabe zusammen. So hätten sie keinen unabhängigen Zugang zu den Akten gehabt, die Ordensgemeinschaften seien nicht untersucht worden und bei den mutmaßlichen Tätern seien nur Männer im Blick gewesen.

"Ein delikater Punkt"

"Wir werden nicht um klare Untersuchungsaufträge herumkommen, die auch zu Namen führen", sagte Keupp. Diese würden bisher nur von den Betroffenen geliefert. Die Dinge müssten "bis in die letzte Fuge hinein" untersucht werden. Ob die Namen aller Täter dann auch veröffentlicht werden sollten wie im US-Bundesstaat Pennsylvania, sei "ein delikater Punkt", bei dem er sich noch nicht festgelegt habe.

Der Wissenschaftler lobte Papst Franziskus für die Einberufung aller nationalen Bischofskonferenzvorsitzenden zu einem Missbrauchsgipfel in einem Monat in Rom. Es sei wichtig, dass Leitfiguren der Kirche das Thema weiter behandelten. Dann könnten auch andere Mitglieder der Institution das Thema nicht von sich wegschieben.

Kardinal Reinhard Marx
Bild: ©picture alliance / Rolf Vennenbernd/dpa

Dem Münchner Kardinal Reinhard Marx bescheinigte Keupp mit Blick auf den Missbrauchsskandal ein "inzwischen vorhandenes entsprechendes Problembewusstsein".

Dem Münchner Erzbischof und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bescheinigte Keupp ein inzwischen vorhandenes entsprechendes Problembewusstsein. "Wir werden ihn weiter beobachten", fügte er hinzu. Mit Nachdruck forderte der Sozialpsychologe die katholische Kirche auf, das Thema Sexualität zu "entgiften" und die weit verbreitete Sprachlosigkeit in diesem Zusammenhang zu überwinden.

Gegenwärtig mit Vorkommnissen in Hildesheim beschäftigt

Keupp hat seit 2010 mit seinem Team sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige in mehreren Institutionen untersucht, darunter das bayerische Kloster Ettal, das österreichische Stift Kremsmünster und die hessische Odenwaldschule. Gegenwärtig ist er mit Vorkommnissen im Bistum Hildesheim befasst. Der 75-jährige emeritierte Münchner Professor gehört außerdem der Unabhängigen Aufarbeitungskommission der Bundesregierung an.

Keupp äußerte sich bei einer gemeinsamen Veranstaltung des Hochschulforums an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München mit dem Lehrstuhls für Moraltheologie und der Münchner Pfarrgemeinde Sankt Ludwig.

Die deutschen Bischöfe hatten auf ihrer Herbstvollversammlung in Fulda eine von ihnen in Auftrag gegebene Missbrauchs-Studie vorgestellt. In den kirchlichen Akten der Jahre 1946 bis 2014 hatte das Forscherteam Hinweise auf 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute gefunden. Die Experten gehen zudem von weiteren Fällen aus, die nicht in den Akten erfasst sind. (tmg/KNA)