Zwischen alten Problemen und neuen Wegen
Ginge es nach der Fläche, wäre das Bistum Hildesheim ganz vorne mit dabei: Mit 30.000 Quadratkilometern zählt die norddeutsche Diözese zu den Spitzenreitern. Sie ist doppelt so groß wie das Nachbarbistum Münster, dreimal so groß wie das ebenfalls angrenzende Bistum Fulda und das kleine Bistum Essen würde sogar 16 Mal Platz auf dem Hildesheimer Gebiet finden. Allein das Erzbistum Hamburg umfasst in Deutschland ein noch etwas größeres Gebiet.
Gemessen an der weitaus wichtigeren Katholikenzahl liegt Hildesheim jedoch im Mittelfeld der 27 deutschen Diözesen. Zuletzt wurden im Gebiet zwischen Nordsee und Nordhessen 610.216 Gläubige gezählt. Ihr Anteil von etwa 11 Prozent an der Gesamtbevölkerung liegt weit unter dem Bundesdurchschnitt; Hildesheim ist in weiten Teilen Diasporabistum. Lediglich um die Bischofsstadt selbst und im Eichsfeld an der südöstlichen Diözesangrenze bilden Katholiken regional die Mehrheit.
Heide, Hafen, Hochschulstädte
Zum Diözesangebiet zählen dabei gleich eine Reihe bedeutender Industriestandorte. Allen voran sind Wolfsburg und Salzgitter im Osten zu nennen. Im Süden finden sich zudem Hochschulstädte wie Göttingen oder die ehemalige Bergbaustadt Clausthal-Zellerfeld, die Landeshauptstadt Hannover liegt in der Mitte des Bistums. Im Norden gehört Bremerhaven mit einem der größten Häfen der Welt ebenfalls zur Diözese. Rund um die urbanen Zentren ist das Hildesheimer Gebiet zwischen Lüneburger Heide und Weserbergland jedoch weit überwiegend ländlich geprägt.
Die imposante geographische Ausbreitung rührt auch daher, dass gleich mehrere untergegangene Bistümer im Lauf der langen Geschichte zur Kirche von Hildesheim hinzukamen. Im Jahr 2015 feierte man in Niedersachsen schließlich 1.200 Jahre Bistumsgründung. Der Überlieferung nach war es Kaiser Ludwig der Fromme, Sohn und Nachfolger Karls des Großen, der 815 die bis heute bestehende Diözese ins Leben rief. Auf den frommen Frankenkönig geht auch die für Hildesheim konstitutive Legende vom 1.000-jährigen Rosenstock zurück. Bei einer Jagdgesellschaft im Wald soll Ludwig einst ein wunderbares Zeichen der Gottesmutter erfahren haben. An dieser Stelle sei später der Hildesheimer Mariendom gebaut worden, an dessen Wand noch heute die – vermutlich nicht ganz 1.000 Jahre alte – Rose wächst.
So blumig die Hildesheimer Diözesangeschichte daherkommt, so dornig ging es besonders in der jüngeren Vergangenheit zu. Ein Beispiel ist der Dom selbst. Zum Bistumsjubiläum 2015 sollte das Unesco-Welterbe nebst angrenzenden Gebäuden umfangreich renoviert wurden. Dieser Teil des Plans ging auf. Nicht jedoch die finanzielle Strategie: Mit über 43 Millionen Euro stand das Projekt am Ende fünf Millionen Euro teurer als geplant in den Büchern, wobei der Anteil der Diözese sogar um fast sieben Millionen Euro höher lag als geplant. Als Gründe wurden später neben höheren Baukosten auch frühe Planungsfehler identifiziert.
Auf dem Papier kommt die Abweichung bei der Domrenovierung verglichen mit ähnlichen Großprojekten noch recht glimpflich daher. Gleichwohl verdient sie mit Blick auf die besondere Situation in Hildesheim besondere Beachtung, denn finanziell sieht es für das Bistum nicht eben rosig aus. Zuletzt standen einem Eigenkapital von gut 90 Millionen Euro mehr als doppelt so hohe Schulden, Pensionsverpflichtungen und andere Verbindlichkeiten gegenüber.
Wenn die Volkswagen-Aktie die Bistumskasse beeinflusst
Fluch und Segen für die Bistumskasse kommen insbesondere aus dem Osten des Diözesangebiets, aus Wolfsburg. Gleich fünfmal wird der Volkswagen-Konzern im aktuellen Finanzbericht des Bistums erwähnt. Aus gutem Grund: Konjunkturelle Schwankungen bei VW machen sich über die Kirchenlohnsteuer der Mitarbeiter stets auch in der kirchlichen Kasse bemerkbar. So war etwa das Steuerwachstum zuletzt unterdurchschnittlich; eine Folge der angespannten Lage bei VW.
Das komplizierte Verfahren zur interdiözesanen Verteilung der Kirchensteuern sorgt zudem dafür, dass die Diözese Hildesheim hohe Rücklagen bilden und mit großen Ausfallrisiken rechnen muss. Die Kirchensteuer der Katholiken steht eigentlich den Bistümern zu, in dem diese leben. Die Finanzämter zahlen das Geld jedoch an die Bistümer aus, in denen die Arbeitgeber ihren Sitz haben. Die Diözesen müssen später untereinander die Gelder entsprechend verteilen, was in manchen Bistümern zu erheblichen Abweichungen führen kann.
Linktipp: Das Bistum Hildesheim hat einen neuen Bischof
Sieben Monate nach dem Rücktritt von Bischof Norbert Trelle hat das Bistum Hildesheim einen Nachfolger gefunden. Der war bislang Generaloberer der Kongregation der Herz-Jesu-Priester und davor Schulleiter.Neben finanziellen Engpässen hatte die Bistumsführung zuletzt jedoch vor allem mit der Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs zu kämpfen. Ein im Oktober 2017 vorgestelltes unabhängiges Gutachten ging mit den ehemaligen und teils amtierenden Verantwortlichen hart ins Gericht. Diese seien in der Vergangenheit überfordert gewesen, hätten nicht ausreichend gut mit externen Stellen zusammengearbeitet und teilweise eher die Täter als die Opfer geschützt. Um erneute Fehler zu vermeiden, ging das Bistum zuletzt umso forscher vor – was zu einem Tadel von Seiten der Staatsanwaltschaft führte, überhastete Transparenz schade nur den Ermittlungen.
Schon vor seinem Amtsantritt kündigte der neue Bischof Heiner Wilmer an, bei der Aufklärung des Missbrauchs auf unabhängige Kontrolleure setzen zu wollen. Außerdem sollten alle, die in der katholischen Kirche mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, an den bereits vorhandenen Präventionskursen teilnehmen, so Wilmer. "Ich ahne, der Umgang mit Missbrauch wird meine Nagelprobe", erklärte er in einem Interview mit der "Zeit".
Zugleich machten die Niedersachsen immer wieder mit zukunftsweisenden Projekten von sich reden. Seit gut fünf Jahren trägt das Bistum gemeinsam mit der evangelischen Landeskirche von Hannover die Bewegung "Kirche²". Ebenfalls ökumenisch angelegt ist der Bereich "Lokale Kirchenentwicklung". In beiden Fällen geht es vor allem um die Frage, wie eine gelingende Pastoral in postkonfessionellen Zeiten aussieht. Beispiele und Vorbilder finden die Hildesheimer Akteure dabei oft im Ausland. Ihnen dürfte die Expertise ihres künftigen Bischofs – der in Rom studierte und in Kanada und den USA arbeitete – wohl sehr gelegen kommen.
31.08.2018, 17.30 Uhr: ergänzt um Aussagen Heiner Wilmers.
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals am 06.04.2018.