Eine Huldigung
Fußball verbindet Generationen, Kulturen, Schichten. Der Bauarbeiter liebt ihn genauso wie der Banker, der Postbote so wie der neue Papst. Zeit für einen kleinen Rückblick auf 50 Jahre Bundesliga. Es war der 24. August 1963, als Friedhelm "Timo" Konietzka – er erhielt den Spitznamen durch seine vermeintliche Ähnlichkeit mit dem sowjetischen General Timoschenko – nach 58 Sekunden das erste Tor der Bundesligageschichte erzielte.
Dumm nur, dass es außer den Stadionbesuchern niemand gesehen hat. Denn Fernsehkameras gab es bei dem Duell zwischen Borussia Dortmund und Werder Bremen nicht. Unvorstellbar in Zeiten, wo selbst die unsportlichen Tresen-Kicker ihr Aschenplatz-Gepöhle mit dem Smartphone für die Ewigkeit festhalten – inklusive einstudiertem Torjubel.
Den Siegeszug in deutsche Wohnzimmer angetreten
Dennoch hat "König Fußball" mit diesem ersten Tor seinen Siegeszug in die deutschen Wohnzimmer angetreten. Das Transistorradio wurde quasi zum Smartphone des vordigitalen Mannes. Ob in den eigenen vier Wänden oder in der Kneipe um die Ecke, ob beim Rasenmähen hinter oder beim Autowaschen vor dem Haus: Das Radio war dabei, denn samstags um 15.30 Uhr lief die Bundesligakonferenz. Wer die Ergebnisse des Spieltags nicht kannte, dem war die Teilnahme am sozialen Leben nur schwer möglich. Zumindest einen verächtlichen Blick oder ungläubiges Kopfschütteln musste er ertragen.
Heute entfacht der Fußball auch bei immer mehr Frauen Begeisterung, gerade weil das weibliche Geschlecht Titel sammelt (wie gerade wieder bei der Europameisterschaft), während die Männer lediglich zweite und dritte Plätze verbuchen. In den Anfängen der Bundesligageschichte konnten aber gerade die Ehefrauen der schönsten Nebensache der Welt nicht immer etwas abgewinnen. Einmal, weil sie für ihre Gatten auch mal zur Hauptsache wurde. Und dann, weil ein Berti Vogts rein optisch eben kein Michael Ballack war. Er hatte andere Qualitäten. Doch so war das eben. Der Fußball bediente – taktische Finessen hin oder her – die niederen männlichen Instinkte.
Da waren die beinharten Spieler, die zum Vorbild ganzer Generationen wurden. Spieler wie Friedel Rausch, der im Derby zwischen Dortmund und Schalke – das war 1969 – von einem Polizeihund in das Hinterteil gebissen wurde. Nach einer kleinen Tetanusspritze spielte er jedoch weiter.
Bundesliga bietet knallharte Idole
Oder Dieter Hoeneß: Der Bruder von Steuerfachmann und Bayern-Präsident Uli ging mit seinem Tor im Pokalfinale 1982 in die Geschichtsbücher ein. Ein Tor mit dem Kopf zu erzielen ist erst einmal nichts Ungewöhnliches. Wenn den Kopf allerdings eine riesige Platzwunde schmückt, die notdürftig und einem Turban ähnlich verbunden worden ist, ist das Ganze schon beeindruckender. Zumal heute eine leichte Überdehnung des Syndesmosebandes bei Spieler und Verantwortlichen Reaktionen wie bei einer schweren Kriegsverwundung auslösen.
Damals wie heute wurden Fußballer schnell zu Idolen von Jung und Alt, bekamen coole, charmante oder furchteinflößende Spitznamen. Horst Hrubesch zum Beispiel. Der kickte in den 70er- und 80er-Jahren unter anderem für den Hamburger SV und bestach mit seinen ungewöhnlichen Aktionen "zu Luft". Die Folge: Das "Kopfballungeheuer" wurde geboren. Oder Gerd Müller, der das Tor auch mit verbunden Augen – und wahrscheinlich auch Beinen – traf. Er bekam den Beinamen "Bomber der Nation". Seine Torquote ist in Deutschland bis heute unerreicht. Und Franz Beckenbauer: Der wurde noch lange nach dem Ende der Monarchie zum "Kaiser" gekrönt.
Doch die Bundesliga hat dem Fan noch mehr gegeben: und zwar eine grundsolide Allgemeinbildung und Weisheiten, die selbst einem Konfuzius Tränen in die Augen getrieben hätten. So beschrieb der bereits genannte Hrubesch sein Zusammenspiel mit Manni Kaltz, berühmt für seine "Bananenflanken", kurz und knackig mit den Worten: "Manni Banane, ich Kopf – Tor." Rhetorik für Genießer, die mit dem Verzicht auf Verben und Artikel schon fast an die heutige Jugendsprache erinnert.
"Ob Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien"
Auch im Fach Mathematik musste man schon genau aufpassen, um den Anschluss nicht zu verlieren. "Das Tor gehört zu 70 Prozent mir und zu 40 Prozent dem Wilmots", resümierte der damalige Schalker Ingo Anderbrügge nach einem Spiel. Das also meinen Fußballer, wenn sie mehr als 100 Prozent geben. Andreas Möller hingegen versuchte sich in Geographie. Der Verein war ihm dabei egal: "Ob Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien." Als Reiseführer möchte man Herrn Möller sicherlich nicht an seiner Seite wissen.
Und selbst wenn sich seit dem Bundesligastart viel getan hat, aus knochenharten Kickern "Schwalbenkönige" oder "Heulsusen" geworden sind, lockt der Fußball heute mehr Zuschauer in die Stadien und vor die Fernsehgeräte als je zuvor. Der Grund ist simpel: Fußball ist ein unkompliziertes Spiel mit dem einzigen Ziel, mindestens ein Tor mehr zu schießen als der Gegner. Das hat sich bis heute nicht geändert - im Gegensatz zu horrenden Spielergehältern, überteuerten Fanartikeln oder unübersichtlichen TV-Rechten. Und weil die Bundesliga auch nach 50 Jahren noch immer so viel Spaß macht, bleibt am Ende nur noch der große Horst Hrubesch zu zitieren, der in seiner Abschiedsrede messerscharf formulierte: "Ich sage nur ein Wort: Vielen Dank!"
Von Björn Odendahl