Bei der Religiösen Kinderwoche kann man spielerisch den Glauben lernen

"Houston, wir haben kein Problem"

Veröffentlicht am 20.08.2016 um 00:01 Uhr – Von Tobias Glenz – Lesedauer: 
Glaube

Mannheim ‐ Mit Spiel und Spaß zum Glauben finden? Kein Problem für die Veranstalter der Religiösen Kinderwoche. Das Projekt, das aus der Diaspora im Osten stammt, wurde auch nach Mannheim exportiert.

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Das Basteln und Fliegenlassen der Raketen ist einer von vielen Programmpunkten in der Religiösen Kinderwoche (RKW). Bei der RKW der Seelsorgeeinheit Mannheim Südwest werden die jungen Teilnehmer zu Raketen-Konstrukteuren und Kirchen-Architekten. Von Pfingstmontag an leben die Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 14 Jahren eine Woche lang zusammen in den Gemeinderäumen der Pfarrei Maria Hilf. Spiel, Gemeinschaft und vor allem der Glaube stehen dabei im Zentrum.

"Mit Glauben unter Gleichaltrigen nicht alleine"

Eigentlich sind die RKW ein Phänomen, das vorrangig in der ostdeutschen Diaspora anzufinden ist. Seit 60 Jahren werden sie dort durchgeführt, um junge Menschen spielerisch an den Glauben heranzuführen. Seit sechs Jahren organisiert Gemeindereferentin Sandra Nitsche die RKW auch in Mannheim - und somit nicht unbedingt auf klassischem Diasporagebiet. "Ich komme aus dem Bistum Magdeburg und habe die RKW gewissermaßen hierher importiert", sagt die 34-Jährige mit einem Augenzwinkern.

Ministranten, KjG, Pfadfinder: In ihrer Seelsorgeeinheit sei zwar vor den RKW schon gute Kinder- und Jugendarbeit geleistet worden, doch etwas habe gefehlt - etwas mit einer klaren religiösen Ausrichtung. Diese "Lücke" wollte Nitsche mit den RKW schließen. Nicht zuletzt, weil der Glaube auch im Südwesten Deutschlands immer weniger verbreitet sei. "Bei uns lernen viele Kinder erst, dass sie mit ihrem Glauben unter Gleichaltrigen nicht alleine sind", sagt Nitsche.

Bild: ©Tobias Glenz/bonifatiuswerk.de

Feuerwehr? Schreinerei? Gemeindereferentin Sandra Nitsche notiert die Interessen der Kinder für einen Aktionstag.

Eine Morgen- und Abendrunde in der Kirche mit Gesang, Beten und geistlichen Impulsen geben den Rahmen vor. Dazwischen liegen gemeinsames Essen, gemeinsames Spülen und Putzen, das lockere Spielen rund um die Kirche, stille Zeiten zur Ruhe und Besinnung sowie täglich besondere Aktionen - zu denen der Bau der Raketen aus leeren PET-Flaschen und bunter Pappe zählt. Übernachtet wird in Schlafsäcken verteilt auf die Gemeinderäume. "Mindestens dreimal am Tag gehen wir bewusst in die Kirche", sagt Sandra Nitsche. Dort reflektiert die Gruppe, was hinter ihr liegt, und schaut nach vorne, was am Tag noch Spannendes auf sie zukommt.

Jugendliche helfen den Kindern beim "Kirchenbau"

An diesem frühen Nachmittag - bevor sie auf dem Sportplatz abgefeuert werden - wird noch einmal über die Raketen gesprochen. "Was braucht eine Rakete alles?", fragt Nitsche in den Sitzkreis. "Einen Antrieb", "Stabilität, damit sie im Flug nicht kippt", lauten die Antworten. "Und was ist euer Antrieb? Was gibt euch Stabilität im Leben?" - "Gott", "mein Glaube", "meine Familie", "meine Freunde", sagen die Kinder.

Am späteren Nachmittag dürfen sich die Kinder als Architekten ausprobieren: Kirchen bauen lautet die Aufgabe. Dafür stehen viele kleine, rote Steinchen zur Verfügung, die wie Mini-Ausgaben von Backsteinen wirken. Dazu Leim als Mörtel, bunte Pappe für Dächer und Turmhelme, farbiges Transparentpapier für die Fenster sowie kleine Glühbirnen zur Beleuchtung. Ganz schön knifflig, doch die RKW-Teilnehmer haben Hilfe: Elf ehrenamtliche "Teamer" stehen Sandra Nitsche bei der Betreuung der Kinder zur Seite. Darunter Alexander Gaddum (19), seine Schwester Laura und Emma Rumpf (beide 15). Alle haben schon mehrfach an den RKW teilgenommen. Warum sie dabei geblieben sind? "Es macht mir einfach Spaß, hier mit den Kindern zu arbeiten", beschreibt Azubi Alexander Gaddum seine Motivation. "Es wird nicht gesagt 'Lest mal die Bibel durch', sondern der Glaube wird auf entspannte Weise vermittelt", sagt Laura. Und Emma ergänzt: "Normale Gottesdienste können für Kinder oft langweilig sein, die RKW dagegen bieten etwas Neues und Frisches."

Bild: ©Tobias Glenz/bonifatiuswerk.de

Helfen ehrenamtlich bei der Betreuung mit: Laura Gaddum, Alexander Gaddum und Emma Rumpf (von links) mit ihren Schützlingen.

Als ein "Highlight unserer Seelsorgeeinheit" beschreibt Pfarrer Martin Wetzel die RKW in Maria Hilf. Sie seien inzwischen eine feste Größe im Gemeindeleben - und eine erforderliche Größe: Klassische Gruppenstunden seien in Zeiten von Ganztagsschulen schwierig geworden. Zudem gebe es immer mehr Ungetaufte an den Schulen. "Daher brauchen wir so etwas mit missionarischem Charakter, eine neue Form der Kinder- und Jugendarbeit", sagt Wetzel. Er freue sich deshalb auch besonders über den Erfolg der RKW: Von anfangs 35 Teilnehmern habe sich die Zahl stetig vergrößert und mit heute 62 fast verdoppelt. Viele der Teilnehmer kommen laut dem Pfarrer immer wieder, leiten heute Jugendgruppen in der Pfarrei und bereiten in Liturgiekreisen Familien- und Jugendgottesdienste vor. Auch Kinder aus wenig religiösen Familien und Nicht-Getaufte nähmen gerne an den RKW teil und lernten so Glaube und Kirche (neu) kennen. "Die RKW tragen also wirklich Früchte", betont Wetzel.

"Man merkt sich dadurch alles viel leichter"

Was lernt man bei der RKW? "Dass ich immer in Beziehung zu Gott stehe",  sagt Johanna (11) ohne zu zögern. "Selbst wenn ich mal nicht an ihn denke, ist er trotzdem für mich da." Für Annika (13) ist "total wichtig", dass sie hier Gemeinschaft im Glauben erlebt. Anders in der Schule: "Die meisten in meiner Klasse finden es komisch, dass ich an der RKW teilnehme." Und "RKW" klinge zugegebenermaßen auch etwas seltsam - "von wegen zehnmal am Tag in den Gottesdienst gehen", sagt Annika. Dabei werde der Glaube, das religiöse Lernen hier mit Spiel und Spaß verknüpft. "Man merkt sich dadurch alles viel leichter", sagt Paul (7). "Und man lernt hier neue Freunde kennen, die man sonst nie sehen würde", ergänzt Louisa (8). Da bräuchte es dann auch eine Woche lang kein Handy, das die Altersgenossen ja ständig in der Hand hätten, wie Johanna betont. "Wir können hier gut darauf verzichten."

Die große Bedeutung einer derartigen Kinder- und Jugendarbeit hat auch das Bonifatiuswerk früh erkannt und die RKW in der Diaspora von Beginn an unterstützt. Allein im Jahr 2015 flossen aus Spendenmitteln über 450.000 Euro in die Angebote. "Drei Wochen nach einer RKW bekomme ich die ersten E-Mails von Eltern, die ihre Kinder schon für das nächste Jahr anmelden möchten", sagt Sandra Nitsche. Grund genug für sie, ihren erfolgreichen "Import" weiterzuverbreiten. Mit 1.000 Flyern pro Jahr macht sie für die RKW Werbung an den Schulen der Umgebung. Für das Erzbistum Freiburg hat sie vor einiger Zeit einen Einführungstag zum Thema gehalten, bei dem auch ein Film über die RKW in Mannheim gezeigt wurde. Seitdem gebe es das Angebot bereits in mehreren anderen Gemeinden der Diözese. Und Nitsche ist sicher, dass sich die Zahl noch vergrößern wird. Denn die RKW sind offensichtlich ein wirkliches Erfolgsmodell von Kinderkatechese - auch und vielleicht gerade 60 Jahre nach ihrer Einführung. Oder um im Bild der Rakete zu bleiben: "Houston, wir haben kein Problem."

Von Tobias Glenz