Das Beten wieder beibringen
Nicht nur, dass der schmale Landstrich durch die israelische Blockadepolitik für seine 1,8 Millionen Bewohner einem Freilichtgefängnis gleicht. Christ sein unter der islamischen Hamas-Regierung heißt für viele, weitere Einschränkungen der begrenzten Möglichkeiten in Kauf zu nehmen.
"Was ist schön an Gaza, wenn Frauen selbst am Strand eine Abaja tragen?" Die Frage von Jaoud zum islamischen Obergewand ist rhetorisch - denn was der junge Katholik und seine Freunde über Gaza denken, ist klar: Es mangelt an allem, was sie sich wünschen - Bewegungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Zukunftsperspektiven. Wer kann, wandert aus. Geblieben sind nach den jüngsten Zahlen 170 Katholiken und 1.200 Orthodoxe. Allein im vergangenen halben Jahr haben mehr als ein Dutzend Katholiken Gaza verlassen, bestätigt Mario da Silva die anhaltende Tendenz zur Abwanderung. Der Brasilianer von der Gemeinschaft "Verbo Incarnado" ist seit einem Dreivierteljahr Vikar in Gaza.
"Glaubensweitergabe unter diesen Umständen ist schwierig"
Manchmal fragen Jaoud und seine Freunde, ob sie im Hof der Pfarrei übernachten können. Dass die Jugendlichen so viel Zeit rund um ihre Kirche verbringen, liegt auch an mangelnden Alternativen - darüber macht sich Vikar da Silva keine Illusionen. Abgesehen von der christlichen Jugendorganisation YMCA mit ein paar Freizeitaktivitäten wie Tischtennis oder Fußball gibt es nicht viele Orte, an die sie gehen können. Die Glaubensweitergabe unter diesen Umständen ist schwierig, sagt da Silva. Ein Grund mehr, warum die Ordensleute verstärkt die Kinder- und Jugendarbeit in der kleinen Gemeinde aufbauen möchten.
Zum Beispiel mit der Sommerschule, in der es neben kreativen Aktivitäten vor allem um Katechese, Glaubensweitergabe, geht. Von den 150 Kindern in der Sommerschule sind die allermeisten griechisch-orthodox - eine Differenzierung, die in Gaza allerdings nur für die kirchliche Hierarchie eine Rolle spielt. Der Status als Minderheit lässt die konfessionellen Unterschiede in den Hintergrund treten.
"Die Menschen hier verstehen die Trennung zwischen katholisch und orthodox nicht. Nur auf Amtsebene gibt es manchmal Schwierigkeiten", sagt Schwester Nazareth. Auf der Ebene der Pfarrei haben es die Ordensleute mit anderen Glaubensfragen zu tun. Vielen fehle das Verständnis für die Eucharistie; auch der sonntägliche Gottesdienstbesuch sei längst nicht mehr bei allen Gläubigen selbstverständlich. "Wir versuchen, den Kindern das Beten wieder beizubringen", sagt Schwester Nazareth.
Der Pessimismus behält die Oberhand
Auf der Bühne tanzen die kleinsten der Sommerschüler währenddessen ein Jesuslied. Die Größeren erzählen in szenischer Darstellung das Gleichnis vom verlorenen Sohn, bevor Eltern und Kinder nach gemütlichem Beisammensein in die Sommerferien entlassen werden. Jaoud und seine Freunde bleiben noch bis lange nach Mitternacht im Hof der Pfarrei und helfen den Ordensleuten beim Aufräumen. Anders als beim Gleichnis in der Bibel und auf der Bühne behält bei den Jungs im Pfarrhof der Pessimismus die Oberhand. Sie fühlen sich mehr und mehr auf verlorenem Posten.
Wie es nach den Sommerferien aussehen wird, ist ungewiss: Sollte die Hamas-Regierung die Geschlechtertrennung an Schulen durchsetzen, sieht es schlecht aus für die christlichen Bildungseinrichtungen: Jungen und Mädchen werden dort seit jeher gemeinsam unterrichtet.
"Gaza wird immer religiöser", sagen die jungen Christen frustriert, und sie meinen damit: immer islamischer. Die Verlockung, sich der Mehrheitsreligion zuzuwenden, ist groß. Wer zum Islam übertritt, heißt es, findet schnell Arbeit und eine Frau. Auch davon können viele der gut ausgebildeten jungen Christen nur träumen.
Von Andrea Krogmann (KNA)