In Den Haag startet ein historischer Prozess um islamistische Zerstörungen in Timbuktu

"Eiskalter Anschlag" auf religiöse Wurzeln

Veröffentlicht am 21.08.2016 um 14:01 Uhr – Von Annette Birschel und Sebastian Kunigkeit (dpa) – Lesedauer: 
Kultur

Den Haag ‐ Die Verwüstung historischer Mausoleen in der Oasenstadt Timbuktu durch Islamisten löste 2012 Entsetzen aus. Nun hat der Angriff auf das Kulturerbe ein juristisches Nachspiel vor dem Weltstrafgericht.

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Mit Schaufeln und Äxten hatten Islamisten vor vier Jahren das jahrhundertealte Kulturerbe von Timbuktu kaputtgeschlagen. In Timbuktu im Norden des westafrikanischen Mali zerstörten Extremisten von Ansar Dine jahrhundertealte Heiligtümer. Ein Aufschrei ging durch die Welt, ähnlich wie im vergangenen Jahr bei den Zerstörungen in der syrischen Oasenstadt Palmyra durch Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).

"Hier geht es nicht nur um Mauern und Steine"

Die Anklage will mit dem an diesem Montag beginnenden Prozess ein Zeichen setzen. "Hier geht es nicht nur um Mauern und Steine", erklärte Chefanklägerin Fatou Bensouda. "Es geht um einen eiskalten Anschlag auf die Würde und Identität der Bevölkerung und ihre religiösen und historischen Wurzeln." Das von Tuareg-Völkern gegründete Timbuktu am Niger-Fluss war im 15. und 16. Jahrhundert ein wichtiges Zentrum für Handel, Wissenschaft und Religion und spielte eine große Rolle bei der Verbreitung des Islams in Afrika. Die Oasenstadt, auch als "Perle der Wüste" und "Stadt der 333 Heiligen" bekannt, diente lange als Bindeglied zwischen dem Mittelmeerraum und Westafrika.

Linktipp: Kulturelle Säuberungen im "Islamischen Staat"

Die bestialischen Morde der Terrormiliz des "Islamischen Staats" sorgen weltweit für Entsetzen. Doch in ihrer barbarischen Lust an der Vernichtung zerstören die Islamisten auch immer mehr antike Kulturgüter.

2012 hatten radikale Islamisten teilweise die Kontrolle über den Norden Malis übernommen. In Timbuktu zerstörten Dschihadisten 14 von 16 mittelalterlichen Heiligengräber - um neun dieser Mausoleen und eine Moschee geht es nun in dem Verfahren in Den Haag. Der Rebellenführer Al Faqi al Mahdi, auch als Abu Tourab bekannt, soll die Zerstörung geplant, vorbereitet und ausgeführt haben.

Der etwa Anfang 40-Jährige war im vergangenen Jahr in Niger festgenommen und dem Gericht übergeben worden. Er will sich schuldig bekennen, und auch das ist bisher einzigartig in der Geschichte des Gerichtes. Daher könnte der Prozess schon in einer Woche beendet werden. Das wäre für das Gericht, das wegen seiner schleppenden, oft jahrelangen Prozesse heftig in der Kritik ist, endlich mal eine positive Nachricht.

Für die UN-Kulturorganisation Unesco ist der Prozess ein wichtiger Präzedenzfall - ein Zeichen, dass die Weltgemeinschaft gegenüber den Zerstörungen nicht völlig ohnmächtig ist. "Dies ist ein nachhallendes Signal gegen Straffreiheit, auch mit Blick auf Syrien und den Irak", sagte Unesco-Chefin Irina Bokowa im Juni bei einem Besuch in Den Haag. Aktuell will die Organisation mit Sitz in Paris sich unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht näher äußern.

Die Bulgarin Bokowa, die sich derzeit um die Nachfolge von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bewirbt, hat in den vergangenen Jahren immer wieder für den Kampf gegen die Zerstörung von Welterbestätten in Konfliktgebieten geworben. Sie verurteilt die Angriffe als Teil einer Strategie der "kulturellen Säuberung". "Die vorsätzliche Zerstörung von Welterbe ist ein Kriegsverbrechen, das als Kriegstaktik eingesetzt wird, um Furcht und Hass zu verbreiten." Bokowa meint: "Die Zerstörung von Erbe ist nicht zu trennen von der Verfolgung von Menschen."

Die Mausoleen von Timbuktu stehen heute wieder. Frankreich schickte Anfang 2013 auf Bitte der malischen Regierung Truppen, die die Islamisten zurückdrängten - auch wenn im Norden weiterhin Terrorgruppen aktiv sind. Inzwischen bemühen sich die Vereinten Nationen um eine Stabilisierung der Lage. Im Rahmen der UN-Mission sind auch 300 Soldaten der Bundeswehr in der nördlichen Stadt Gao stationiert.

Die Heiligengräber wurden mit einem Unesco-Programm wieder aufgebaut, auch mit finanzieller Hilfe der EU. Kurz vor der Fertigstellung im vergangenen Jahr sagte die Vorsitzende des Welterbekomitees, Maria Böhmer: "In einer Zeit, wo Welterbe von bewaffneten Gruppen angegriffen wird, gibt der Wiederaufbau der Mausoleen von Timbuktu uns Anlass zu Optimismus."

Linktipp: "Die Steine erzählen die Geschichte"

Das Kloster Deir Mar Elian in Syrien war eine Begegnungsstätte für Christen und Muslime. Zu Kriegsbeginn wurde es zur Anlaufstelle für Hilfesuchende. Heute liegt es in Trümmern. Ein Besuch.

Zerstörtes Kulturerbe

Timbuktu, Palmyra, Ninive - schon viele wertvolle Kulturdenkmäler sind religiösen Fanatikern zum Opfer gefallen. Katholisch.de listet einige bekannte Fälle auf:

  • Timbuktu: In der Oasenstadt im Norden Malis zerstörten islamische Ansar-Dine-Rebellen 2012 mehrere Jahrhunderte alte muslimische Mausoleen. Sie begründeten ihre Taten damit, die Stätten mit den Überresten islamischer Gelehrter hätten der Heiligenverehrung gedient. Die Mausoleen konnten nach Unesco-Angaben wieder aufgebaut werden.
  • Palmyra: Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zertrümmerte im syrischen Unesco-Weltkulturerbe 2015 unter anderem den rund 2.000 Jahre alten Baal-Tempel, den Baal-Schamin-Tempel, mehrere einzigartige Turmgräber sowie den Triumphbogen.
  • Mar Elian: 2015 machte der IS das christliche Kloster aus dem 5. Jahrhundert in Zentralsyrien dem Erdboden gleich. Im Internet zeigten die Extremisten, wie sie mit Planierraupen die Mauern niederrissen.
  • Ninive: Anfang 2015 zertrümmerte der IS im Museum der nordirakischen Stadt Mossul und an der Grabungsstätte Ninive Jahrtausende alte Statuen aus assyrischer Zeit. Die historische Stadt Nimrud südlich von Mossul sollen die Dschihadisten mit Bulldozern überfahren haben. Auch Teile der Unesco-Weltkulturstätte Al-Hadra sprengten sie.
  • Bamian-Tal: In Afghanistan sprengten die radikalislamischen Taliban 2001 zwei monumentale Buddha-Statuen. Die in den Fels geschlagenen Figuren waren Zeugen der präislamischen Vergangenheit Afghanistans.
  • Ayodhya: Fanatische Hindus verwandelten 1992 die Babri-Moschee im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh in ein Trümmerfeld, um an deren Stelle einen Tempel zu bauen. Angeblich wurde die Moschee 1528 an einem Ort errichtet, wo zuvor ein Hindutempel gestanden hatte.
Von Annette Birschel und Sebastian Kunigkeit (dpa)