Wissenschaftlerin Andrea Graf über das Phänomen Tiergottesdienst

"Das ist was fürs Herz"

Veröffentlicht am 19.09.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ein Esel schaut in die Kamera, hinter ihm steht ein Priester mit einem Kreuz.
Bild: ©
Gesellschaft

Bonn ‐ Hund und Katze in der Kirchenbank. Landauf, landab erfreuen sich Tiergottesdienste einer zunehmenden Beliebtheit. Doch warum ist das so? Andrea Graf, wissenschaftliche Volontärin beim Landschaftsverband Rheinland, hat sich des Phänomens angenommen. Herausgekommen ist der Film "Mit Gebet und Gebell". Im Interview mit katholisch.de spricht Graf über ihren Film und erläutert, was Tiergottesdienste und -segnungen über das Verhältnis von Mensch und Tier verraten.

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Frage: Frau Graf, warum beschäftigt sich eine Kulturanthropologin mit Tiergottesdiensten?

Graf: Mir ging es nicht darum, das Phänomen aus einer theologischen Perspektive zu thematisieren. Vielmehr habe ich mich als Kulturanthropologin gefragt, welche Menschen solche Gottesdienste besuchen und was sie Ihnen bedeuten.

Frage: Und was für Menschen besuchen Tiergottesdienste?

Graf: Absolute Durchschnittsbürger, Hunde-, Katzen- oder Pferdehalter, die aus unterschiedlichen Beweggründen für ihr Tier durch den Segen das Beste möchten. Das können Vereinsmitglieder sein wie bei der im Film zu sehenden Wallfahrt der Dackelfreunde. Die gemeinsame Wallfahrt ist auch ein sozialer Aspekt. Man unternimmt etwas in der Gruppe und tauscht sich aus. Ein anderes Beispiel ist klassischer Heiligenglaube, wenn Menschen sich an den heiligen Franziskus wenden, weil ihr Tier krank ist. Dazu kommen noch Personen, die in Beruf oder Sport eng mit ihrem Tier verbunden sind, und nicht wollen, dass ihnen etwas passiert. Natürlich gibt es auch Menschen, die zu Tiersegnungen gehen, weil sie sich denken: Das ist schön, das ist was fürs Herz.

Frage: In dem kleinen Begleitbuch zum Film schreiben Sie, dass Tiersegnungen "eine aktuell neue gesellschaftliche Relevanz" zukommt. Welche ist das?

Graf: Nur wenige der aktuell stattfindenden Tiergottesdienste haben eine so lange Tradition wie die Pferdesegnung in Goch-Kessel am Niederrhein, die seit 1650 jährlich stattfindet. Anderswo wurden diese irgendwann aufgegeben, weil sie für die Menschen keine Bedeutung mehr hatten. Dass sie seit zehn, 15 Jahren wiederkommen, steht für eine veränderte Beziehung zwischen Mensch und Tier sowie eine neue Relevanz, die Haustiere haben. Menschen sprechen ihren Tieren eine große Bedeutung zu. Das zeigt sich nicht nur in den Gottesdiensten. Um Tiere herum ist eine ganze Industrie entstanden.

„Menschen sprechen ihren Tieren eine große Bedeutung zu. Das zeigt sich nicht nur in den Gottesdiensten“

—  Zitat: Andrea Graf

Frage: Aber ist es nicht seltsam, wenn Menschen einerseits ihr Tier mit in den Gottesdienst nehmen, andererseits durch ihr Konsumverhalten Massenhaltung und Tierquälerei unterstützen?

Graf: Das ist genau das Problem und wird im Film ja auch deutlich angesprochen. Tiergottesdienste sind von Kirchenvertretern aus unterschiedlichen Gründen initiiert worden. Der evangelische Tiergottesdienst in Aldenhoven im Kreis Düren, der ja auch im Film vorkommt, wurde vom dortigen Pfarrer ins Leben gerufen, um auf das Leid von Tieren aufmerksam zu machen, das Problem zumindest einmal im Jahr mit der Gemeinde zu thematisieren und ein kritisches Bewusstsein zu schaffen. Bewusstsein für die Schöpfung und den Konsum klang aber in vielen Gottesdiensten an, die ich besucht habe.

Frage: Tiergottesdienste scheinen gerade einen Boom zu erleben. Ist das nur ein vorübergehendes Phänomen oder werden sie sich fest in der Gesellschaft etablieren?

Graf: Ich kann mir vorstellen, dass sich Tiergottesdienste in einem gewissen Maß wieder etablieren werden. Das Bedürfnis danach besteht bei den Menschen. Viele Interviewpartner, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass sie öfters in die Kirche gehen würden, wenn sie ihr Tier mitnehmen könnten.

Das Interview führte Christoph Meurer

Hinweis:

Der Film "Mit Gebet und Gebell" von Andrea Graf ist über das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Endenicher Straße 133, 53115 Bonn, Tel. 0228/9834-0, Mail: zum Preis von 15 Euro zu kaufen.